# taz.de -- Sachbuchautor über „besorgte Bürger“: „In einem kontrafaktischen Raum“
       
       > Von A wie Abendland bis Z wie Zionisten: Der Leipziger Politologe Robert
       > Feustel erklärt die vielen Kampfbegriffe der „besorgten Bürger“.
       
 (IMG) Bild: Eine Pegida-Anhängerin trägt eine Deutschland-Fahne als Kopftuch. Allerdings eher unordentlich
       
       taz: Herr Feustel, Sie haben in Ihrem „Wörterbuch des besorgten Bürgers“
       150 Wörter aufgedröselt wie „Abendland“ oder „Lügenpresse“. Zwischen
       welchen Gruppen wollen Sie damit beim Übersetzen helfen? 
       
       Robert Feustel: Wir wissen natürlich, dass wir die „besorgten Bürger“ mit
       dem Wörterbuch nicht erreichen werden: Sie befinden sich bereits in einem
       kontrafaktischen Raum, mit sachlichen Argumenten lässt sich da nicht mehr
       intervenieren. Aber die Sprachgewalt, mit der etwa AfD und Pegida arbeiten,
       ihre verbalen Zumutungen, haben mittlerweile eine Breitenwirkung erreicht.
       Daher möchten wir über diese Rhetorik und ihre Fallstricke aufklären.
       
       Wenn Sie die „besorgten Bürger“ nicht erreichen und alle anderen sich eh
       einig sind – wer braucht dann ein solches Wörterbuch? 
       
       Niemand ist sich einig, das ist genau der Punkt. Auch in den etablierten
       Parteien sind falsche Pauschalisierungen und xenophobe Muster zu finden.
       Sehr viele glauben wie selbstverständlich an die Existenz einer
       Flüchtlingskrise. Deshalb müssen wir über rhetorische Vorsicht reden. Wir
       haben die Hoffnung, dass man sich in Diskussionen mit unseren Erklärungen
       bewaffnet, um die Nebelbomben, die die „Besorgten“ rhetorisch zünden, zu
       entlarven. Auch jenseits dieser Kreise ist deren schroffe Kriegsrhetorik
       längst salonfähig – es ist daher an der Zeit, dafür zu sensibiliseren, was
       diese Sprache anrichtet.
       
       Na ja – Sie sprachen gerade selbst davon, man müsse sich mit Worten
       bewaffnen. 
       
       Erwischt, Sie haben recht, das ist schwierig. Aber wir sind der Meinung,
       dass das, was die Gewalttätigkeit der Sprache impliziert, rechtfertigt, von
       einem „Kampf um Begriffe“ zu reden.
       
       Einige Begriffe auf Ihrer Liste – „Mainstream“, „Fachkräfte“, „Feminismus“
       – sind ja in anderen Zusammenhängen anders konnotiert. 
       
       Das stimmt. Es gibt Begriffe, bei denen es sich lohnt, den Kampf
       aufzunehmen, und die wir verteidigen müssen – da sind wir wieder in der
       Kriegsrhetorik. Bei anderen Wörtern wie „Umvolkung“ geht es in erster Linie
       um Aufklärungsarbeit. Man muss verstehen, was sie bezeichnen, um in der
       Debatte bestehen zu können.
       
       Was hinter „Umvolkung“ steckt, zeigen Sie in Ihrem Buch: Im
       Nationalsozialismus meinte man die Vertreibung aller „Nicht-Arier“, heute
       benutzen es die Rechten, um gegen die vermeintliche „Entdeutschung“ des
       Landes zu protestieren. 
       
       Ja, die Identitären etwa behaupten, dass die Umvolkung des Landes aktiv
       betrieben wird, der Versuch eines „großen Austauschs“. Auch andere Begriffe
       haben sich in ihrer Nutzung gewandelt: „Asylkritik“ war früher ein linker
       Terminus, um gegen die unlautere Einschränkung der Asylgesetzgebung zu
       protestieren. Nun haben ihn Leute gekapert, die einen harten Ausschluss von
       Asylbewerbern fordern: ein Euphemismus für ganz harte Ausgrenzungspraxis.
       
       Ihr Wörterbuch bezieht klar Position gegen jene, die sich sorgen. Das
       klingt fast herablassend. Ist das nicht kontraproduktiv? 
       
       Ich weise zurück, dass wir uns darüber erheben. Die Formulierung „besorgte
       Bürger“ ist eine Selbstbeschreibung, sie halten sich für die bürgerliche
       Mitte – aber hinter dem Etikett tauchen xenophobe Formulierungen und
       Deutschtümeleien auf, die man aus den 30er Jahren kennt, etwa „völkisch“.
       Sich als „besorgt“ zu bezeichnen ist perfide.
       
       Muss man nicht den Begriff der Sorge „retten“? 
       
       Es ist doch völlig berechtigt, sich in der Phase ökonomischer und
       politischer Instabilität, in der Spätphase des Neoliberalismus Sorgen um
       die Zukunft zu machen. Doch jene Kreise projizieren eine ökonomische und
       soziale Problematik auf Menschen, die hierherkommen – und damit noch
       weniger Schuld an der Situation haben. Aus Sorgen werden Opfermythen. Der
       weiße deutsche Mann ist aber nicht per se Opfer.
       
       Was ist Ihr Ziel mit diesem Projekt? 
       
       Wir wollen aufzeigen, wie viele gefährliche Deutungen schon im politischen
       Alltag angekommen sind, unter anderem die Junge Union und die CSU fischen
       rhetorisch am rechten Rand. Gerade Medien sollten sich genauer damit
       beschäftigen, was Worte eigentlich aussagen – und nicht in den Modus der
       Agitation verfallen. Nehmen Sie ein Wort wie „Flüchtlingsfrage“, das oft
       auftaucht. Mal abgesehen davon, dass eine konkrete Frage nie gestellt wird:
       Die Assoziation mit der „Judenfrage“ der NS-Zeit ist doch offensichtlich.
       So werden schleichend Konzepte aus dem nationalistischen Gedankengut
       rehabilitiert.
       
       Was wäre eine gute Alternative für „Flüchtlingsfrage“? 
       
       Für solche Begriffe brauchen wir keine Alternative. Es handelt sich um ein
       leeres Wort, eine Art Container für Emotionen. Wir streifen die Grenzen
       dessen, was Sprache abbilden kann – damit bricht die
       Kommunikationsfähigkeit bisweilen zusammen. Begriffe tragen nicht mehr,
       eine Verständigung wird zunehmend schwieriger. Die Kraft der
       Entdifferenzierung ist so stark, dass ihr oft sogar linke Kreise erliegen.
       Bestimmte Deutungsangebote sind schon von allen Seiten zu hören, etwa dass
       Taten von Menschen in erster Linie auf ihren kulturellen Hintergrund
       zurückzuführen sind.
       
       Auch die Debatte über die Abkürzung „Nafri“, die die Kölner Polizei im
       Zusammenhang mit der Silvesternacht benutzt hat, um ihr Racial Profiling zu
       erklären, zeigt: Sprache ist im Ausnahmezustand angekommen. 
       
       Ja, auch wenn alle Statistiken etwas anderes sagen, regiert eine Art
       Sicherheitsparanoia. Und ruft solche bitteren Begriffe auf. Mit „Nafri“
       werden Menschen aus sieben Ländern umschrieben, von denen zwei – Syrien und
       der Libanon – noch nicht einmal in Nordafrika liegen. Zudem assoziiert der
       Begriff unweigerlich, dass alle Menschen aus dieser Region eine
       Gemeinsamkeit haben: Sie sind – potenziell – kriminell. Schon klar, dass
       die Kölner Polizei aktiv werden musste und vor einem Dilemma stand. Aber es
       so anzugehen und zu kommunizieren ist ein Indiz für gefährliche Zeiten.
       Über Racial Profiling und Begriffe wie „Nafri“ als Ausdruck von
       Sippenhaftung müssen wir streiten.
       
       Also doch Streit über Diskurs statt Kampf? 
       
       Das ist der Schwachpunkt der ganzen Kriegsrhetorik. Wenn Sie mich nochmals
       fragen würden, würde ich nicht von „bewaffnen“ sprechen. Selbstredend
       machen wir auch Fehler, aber wir lassen uns auf die Debatte ein. Darin
       liegt ein Unterschied zu den „besorgten Bürgern“, die den Anspruch erheben,
       die absolute Wahrheit zu formulieren. Sie tun so, als setzten sie sich über
       Sprechverbote hinweg, die es gar nicht gibt. Damit heben sie die eigenen
       Aussagen in einen vermeintlichen Wahrheitsstatus. Ein Mimikry eines
       Tabubruchs.
       
       Welche Wörter haben es nicht ins Buch geschafft? 
       
       Wir haben schon eine kleine Liste beisammen, die wir nachliefern wollen:
       „Unangenehme Wahrheit“ oder „Staatsversagen“ aber vor allem das Wort
       „Obergrenze“ – das war uns durchgerutscht. Meiner Meinung nach steckt darin
       letztlich schon ein Tötungsbefehl.
       
       Ist das Grund, weshalb Politiker nie konkretisieren, was eine „Obergrenze“
       praktisch bedeutet? 
       
       Ja, es gibt einen ethischen Rückzug: Wir reden davon, können sie aber nicht
       benennen. Denn sie impliziert: Wenn die Obergrenze erreicht ist, lassen wir
       die Menschen sterben. Auch „Kontingent“ ist nur eine weitere Nebelkerze wie
       „Transitzone“: Beides klingt nicht so hart.
       
       Können Sie sich überhaupt noch über Begriffe aufregen? 
       
       Vor zwei Jahren wäre manches ein Aufreger gewesen, aber in unsere Sprache
       haben sich schleichend immer mehr Zumutungen eingeschrieben. Das finde ich
       beängstigend. Dass eine Frau Kudla [CDU-MdB aus Leipzig, Anm. d. Red.] von
       „Umvolkung“ spricht, ohne dass das einen Parteiauschluss zur Folge hat, ist
       schon sehr aussagekräftig. Da haben sich Sachen normalisiert, die
       keineswegs normal sind.
       
       24 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anne Haeming
       
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