# taz.de -- „Professor Bernhardi“ an der Schaubühne: Drehen am Populismus
       
       > Passt ins Beuteschema: Thomas Ostermeier inszeniert Schnitzlers Stück an
       > der Schaubühne Berlin – und operiert dabei teils selbst populistisch.
       
 (IMG) Bild: Joerg Hartmann als Dr. Bernhardi an der Schaubühne Berlin
       
       „Ich habe einfach in einem ganz speziellen Fall getan, was ich für das
       Richtige hielt“, sagt der Titelheld am Ende. „Das war eben das Falsche“,
       entgegnet ein Regierungsbeamter ihm, bevor er den tief gefallenen einstigen
       Klinikchef Professor Bernhardi allein auf der Bühne zurücklässt und das
       Stück zu Ende ist.
       
       Bernhardi war nach seiner Haftentlassung ins Büro des Gesundheitsministers
       gekommen, um verlorenen Titel und verlorene Approbation zurückzuerhalten.
       Der „ganz spezielle Fall“, der ihn beides kostete, ist der Fall einer
       Achtzehnjährigen, die nach einer illegalen Abtreibung an einer
       Blutvergiftung sterbend in seine Klinik eingeliefert wird. Das
       Pflegepersonal ruft einen Priester für die letzte Ölung. Doch um der von
       ihrem Tod nichts ahnenden jungen Frau die Todesangst zu ersparen,
       verweigert Bernhardi dem Priester den Zugang. Die Frau stirbt, während
       Priester und Arzt noch streiten.
       
       Dann verselbstständigen sich die Dinge in dem Stück von Arthur Schnitzler.
       Denn Bernhardi ist Jude, und der Fall wird erst von den nichtjüdischen
       Konkurrenten in der Klinik, bald aber auch von der klerikalen
       antisemitischen Fraktion in der Politik als jüdische Feindseligkeit gegen
       das Christentum instrumentalisiert. Und Bernhardi, der sich im Strudel der
       Ereignisse nicht instrumentalisieren lassen will, nicht von seinen Feinden
       und auch nicht von seinen Freunden, muss erkennen, dass das kranke System
       stärker ist als er.
       
       Schnitzlers Stück verhandelte um 1900 am Fall dieses Professors den
       institutionalisierten Antisemitismus im österreichischen Kaiserreich, aber
       auch die unterschiedlichsten Verhaltensfacetten der diskriminierten
       Minderheit selbst: wie sie überangepasst und gelegentlich an der Grenze der
       Selbstverleugnung teils selbst zu Kollaborateuren der antisemitischen
       Verhältnisse werden. Das Stück, in dessen Originalfassung zwölf Professoren
       sowie verschiedene staatliche Honoratioren und Vertreter der Presse in
       Erscheinung treten und die einzige Frauenrolle die einer hysterischen
       Krankenschwester ist (die sterbende Frau bleibt im Off), ist auch ein
       subtiles Drama aus dem Kosmos der von der verwalteten Männerwelt
       zugerichteten Charaktere und ihrer Leistungsträger (sowie ihrer Opfer).
       
       ## Verletzte religiöse Gefühle
       
       Damit passt es ganz gut ins Beuteschema der Berliner Schaubühne, wo Thomas
       Ostermeier und sein Dramaturg Florian Borchmeyer es für Lebens- und
       Arbeitswelt der Gegenwart aufbereitet haben. Aus zwei Ärzten wurden zwei
       Ärztinnen. Allerdings sind Dr. Adler und Dr. Wenger (Eva Meckbach, Veronika
       Bachfischer) fürs dramatische Gefüge nicht besonders bedeutend, so dass die
       Besetzung eher kosmetisch ist. Die Männerwelt bleibt eine
       Mainstreammännerwelt, die bei Schnitzler ja nicht nur am jüdischen
       Professor, sondern auch an der ungewollt schwanger gewordenen Frau ein
       religiöses Exempel statuieren will. Statt der Klerikalen und Antisemiten
       dräuen an der Schaubühne nun Populisten am Horizont, die die vermeintliche
       Verletzung religiöser Gefühle rasch für ihre Zwecke zum Skandal hochjazzen
       und gegen Andersdenkende und Andersabstammende in Stellung bringen.
       
       In unzähligen Krisensitzungen geht es in großen und kleinen Runden hoch
       her, wird um Karrieren, politischen Einfluss, Subventionen und
       Sponsorengelder gefürchtet, intrigiert und um Posten geschachert. Und immer
       wieder abgewogen, inwieweit das eigene Handeln dem Populismus in die Hände
       spielt.
       
       Während bei Schnitzler Antisemitismus und rechtsnationaler Klerikalismus
       noch relativ klar umreißbare Phänomene sind, bleibt an der Schaubühne der
       sie ersetzende Begriff „Populismus“ nebulös. Journalisten wie der
       schmierige Kulka (David Ruhland), dessen Zeitung sich auf Bernhardis Seite
       schlagen will, oder politische Funktionsträger wie Minister Flint
       (Hans-Jochen Wagner als deftige Sigmar-Gabriel-Karikatur) sind so in Szene
       gesetzt, wie auch Donald Trump in seinem Wahlkampf Vertreter der Medien
       oder der herrschenden Politikerkaste beschrieb: nämlich als korrupte,
       verlogene und stets nur auf den eigenen Machterhalt, Auflagen oder
       Einschaltquoten bedachte Elite. Damit aber operiert die Inszenierung mit
       ihrer vermeintlichen Kritik am Populismus im Grunde selber populistisch.
       
       Schnitzlers Originalstück ist in der Schattierung seiner Figuren und der
       Schilderung ihrer Verstrickungen deutlich komplexer. Bei Ostermeier sind
       Jörg Hartmann als Bernhardi und Laurenz Laufenberg als junger Priester die
       Einzigen, die ihre Figuren einigermaßen ambivalent anlegen. Auf seinen
       besten Strecken ist der visuell spektakulär gerahmte Abend ein spannendes
       Konversationsstück. Zwischendurch aber werden die knapp drei pausenlosen
       Stunden ziemlich lang.
       
       21 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Slevogt
       
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