# taz.de -- Politik in Bayern: Sisyphos und seine Erben
       
       > Seit 59 Jahren regiert in Bayern die CSU. Die Opposition hat es schwer.
       > Woran liegt’s? Und wer tut sich das eigentlich an?
       
 (IMG) Bild: Machtlos: Margarete Bause und Ludwig Hartmann (Grüne) lauschen Horst Seehofers Regierungserklärung im Bayerischen Landtag
       
       München taz | Ja es gibt sie tatsächlich. Es gibt Menschen, die freiwillig
       Gesetzentwürfe am laufenden Band produzieren, von denen sie wissen, dass
       sie nie Gesetz werden, Wahlkämpfe bestreiten, die von vornherein
       aussichtslos sind, und sich obendrein noch von der regierenden Partei
       demütigen lassen – und das seit 59 Jahren. Es gibt eine Opposition in
       Bayern. Fragt sich: Warum eigentlich?
       
       Franz Maget weiß, was es heißt, in Bayern Opposition zu machen. 23 Jahre
       saß er im Landtag. Jetzt sitzt er in einem Café in der Münchner Innenstadt
       und ist unverschämt gut gelaunt. Ausgerechnet Maget. Wenn es einen
       bayerischen Politiker gibt, der ein einklagbares Anrecht auf Frust hätte,
       dann er.
       
       Er hat die SPD in der Zeit ihres schlimmsten Niedergangs begleitet, sich
       zweimal als Spitzenkandidat einspannen lassen, schien den Nimbus des ewigen
       Verlierers gepachtet zu haben. Aber nein: Dem Mann, den Dieter Hildebrandt
       den „Sisyphos aus Milbertshofen“ genannt hat, ist Frust völlig fremd. „Ich
       habe so viel machen dürfen, so viel erleben dürfen – das war ungewöhnlich
       für ein Arbeiterkind“, erklärt Maget. „Da kann man nur dankbar sein. Alles
       andere wäre Gotteslästerung.“ Ein zufriedener Sisyphos.
       
       Natürlich hätte sich auch Maget gefreut, wenn der Stein mal oben geblieben
       wäre. Wenn man die CSU aus der Regierung gekegelt hätte. Einmal, bei der
       Landtagswahl 2008, wäre es sogar möglich gewesen. Rechnerisch. Dann war es
       die FDP, die sich als Juniorpartnerchen der CSU in die Arme warf – und es
       fünf Jahre später nicht mehr in den Landtag schaffte.
       
       ## Einer wie Markus Rinderspacher
       
       Derzeit gibt es noch drei Oppositionsparteien im Landtag: SPD, Freie Wähler
       und Grüne. Natürlich hat es Magets SPD besonders schwer. Sie gilt nach wie
       vor als Arbeiterpartei, Bayern ist aber nun mal kein Arbeiter- und
       Bauernstaat, sondern allenfalls ein Bauernstaat. Zumindest auf dem flachen
       Land, wo noch immer ein Großteil der Wähler lebt.
       
       In vielen Städten sitzt die SPD dagegen seit langem fest im Sattel.
       „Heimat, Tradition, manchmal auch kirchliche Nähe – das spielt auf dem Land
       eine größere Rolle“, sagt Maget. Da hat es eine wertkonservative Partei wie
       die Grünen bei der ländlichen Bevölkerung leichter, in Konkurrenz zur CSU
       zu treten.
       
       Opposition in Bayern: Wer tut sich das schon freiwillig an? Einer wie
       Markus Rinderspacher zum Beispiel. Er führt als SPD-Fraktionschef die
       Opposition und verkörpert zugleich eines ihrer ewigen Probleme: das
       Personal. Ihr fehlt es an Köpfen.
       
       „Gerade die SPD“, bilanziert der Kabarettist Helmut Schleich, „hatte in den
       letzten Jahren kein glückliches Händchen bei der Auswahl ihrer
       Führungsfiguren. Das sind ja Leute, wo man gerade auf dem Land sagt: Was
       sind denn das für Kasperl?“
       
       ## Keine gestandenen Typen
       
       Wenn Rinderspacher im Parlament spricht, klingt das immer ein bisschen nach
       einer Mischung aus Oberlehrer und beleidigtem Kind. Als man ihn 2009 zum
       Nachfolger Magets machte, entsprang die Wahl wohl vor allem der Hoffnung
       auf das andere, das Neue.
       
       Rinderspacher ist kein Sozi-Gewächs, im Gegenteil: In der Partei war er
       damals erst seit sieben Jahren. Vor seinem Einzug in den Landtag 2008
       diente er drei Jahre als ehrenamtlicher Pressesprecher der Münchner SPD.
       Auch seine berufliche Karriere war eher untypisch, Rinderspacher war
       Redaktionsleiter bei ProSieben. Und er war mit 40 Jahren der Jüngste in der
       Fraktion. Ihn zum Chef zu küren war somit zumindest ein Zeichen.
       
       „Dass der Rinderspacher das Gegenteil eines Charismatikers ist, ist klar“,
       sagt Schleich. Auch sonst gebe es zu wenig gestandene Typen in der
       Opposition. Die Freien Wähler immerhin haben einen, der kann auch Bierzelt:
       ihren Vorsitzenden Hubert Aiwanger. Doch die Freien Wähler, das sagen nicht
       nur böse Zungen, seien auf Landesebene eigentlich eh nur eine One-Man-Show.
       
       Wie schwierig es ist, fähiges Personal für den Landtag zu rekrutieren, hat
       Franz Maget oft genug erfahren. „Wer auf dem Land ein bisschen erfolgreich
       ist, der geht dort gar nicht erst zur SPD“, erzählt er. Und in der Stadt
       sind oft die kommunalpolitischen Optionen deutlich attraktiver. So nimmt
       man, wen man kriegt.
       
       ## Beeindruckende Selbstreinigungskräfte
       
       Das Paradebeispiel für den volksnahen Oppositionspolitiker war der Grüne
       Sepp Daxenberger. Bauer, Katholik, Goaßlschnalzer, Lederhosen, Freiwillige
       Feuerwehr sowieso – Daxenberger hatte alles, womit man sonst bei der CSU
       Karriere macht.
       
       So wurde er Bürgermeister seines Heimatorts Waging, Chef der Bayern-Grünen
       und Fraktionschef im Landtag. Als er 2010 mit nur 48 Jahren an Krebs starb,
       war das nicht nur ein persönlicher Verlust für seine Parteifreunde. Einen
       Daxenberger Nummer zwei sucht man bis heute vergebens.
       
       Das Hauptproblem des Oppositionsdaseins heißt aber: CSU. „Wer hat, dem wird
       gegeben“, sagt Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung
       Tutzing. Und die CSU hat so viel, was die Opposition nicht hat. An
       allererster Stelle – keine Bundespartei. Die CSU kann sich als Wahrerin der
       bayerischen Interessen gerieren, sitzt in Berlin mit am Kabinettstisch.
       
       Zudem verfügt die CSU über beeindruckende Selbstreinigungskräfte, „Die
       Partei“, so Münch, „merkt schneller als andere, wenn ihr etwas ernsthaft
       schaden kann.“ Dann wird auch mal in aller Eile das Führungspersonal
       ausgetauscht: Streibl, Stoiber, Beckstein, Huber – während die Opposition
       noch zum Schlag gegen einen schwachen Ministerpräsidenten oder CSU-Chef
       ausholt, wird der schon von den eigenen Parteifreunden hinausgetragen.
       
       ## Berühungsängste zum Schützenverein
       
       Auch bei den Themen erweist sich die CSU als wendig. Den Klassiker
       beschreibt Susanna Tausendfreund, bis 2013 Abgeordnete der Grünen: „Es ist
       uns x-mal passiert, dass gute Vorschläge abgelehnt wurden, weil sie von den
       Grünen waren, und dann mit einer gewissen Schamfrist von der CSU als was
       Eigenes verkauft worden sind.“ Eine Klage, die man aus jeder der
       Oppositionsfraktionen hört.
       
       Heute ist Tausendfreund Bürgermeisterin im Münchner Vorort Pullach. „Der
       Job hier taugt mir viel mehr als dieses manchmal aufgesetzte Hickhack im
       Landtag“ , sagt die 53-jährige Juristin, „hier kann ich tatsächlich mit der
       Verwaltung zusammen die Sachen voranbringen.“ Kollegen von früher sagen,
       Tausendfreund sei wie ausgewechselt, viel gelöster.
       
       Tausendfreund hat eine klare Meinung, woran es der Opposition im Landtag
       fehlt: an Abgeordneten mit kommunaler Erfahrung. „Das ist vielleicht der
       wichtigste Schlüssel, um auch in der Landespolitik Erfolg zu haben.“
       Außerdem müsse man stärker in die Vereine, Präsenz und Interesse zeigen.
       Wer Berührungsängste zum Schützenverein habe, der habe Berührungsängste zu
       fast einer Million Wählern.
       
       „Wir kämpfen für unsere Überzeugungen, aber schauen viel zu wenig auf die
       Wählerstimmen“, mahnt auch Simone Strohmayr. Die SPD-Abgeordnete aus
       Augsburg, seit 13 Jahren im Landtag, gehört zu den wenigen, die aus ihrem
       Oppositionsfrust keinen Hehl machen. „Natürlich nimmt einen das mit“, sagt
       die 49-Jährige. Regierungsverantwortung? „Klar wäre das schön.“ Kampfgeist
       sieht etwas anders aus.
       
       ## „Man will es ja nicht einfach haben“
       
       „Mein Mann hat mich mal gefragt, ob man in die Opposition geht, weil man
       masochistisch ist“, erzählt Gabi Schmidt. Sie sitzt auf dem Balkon des
       Maximilianeums und raucht. Zu ihren Füßen liegt die Landeshauptstadt. „Aber
       es ist das Gegenteil: Das Schöne ist doch, dass man immer wieder den Finger
       in die Wunde legen kann.“
       
       Die 48-jährige Landwirtin aus Mittelfranken ist seit 2013 für die Freien
       Wähler im Landtag. „Ich wollte unbedingt politisch was machen“, erzählt
       sie.
       
       Aber warum dann Opposition? Als Politiker will man doch gestalten. „Ja,
       aber bei solchen Monstren der Macht wie der CSU hat man es als einzelner
       Abgeordneter auch nicht leichter, etwas zu verändern. Die verkaufen doch
       schon vorher ihre Ideale und laufen der Herde hinterher. Da ist man in
       einer kleinen Oppositionspartei schon flexibler.“
       
       Natürlich sei auch sie manchmal „stinksauer“ – etwa wenn die CSU mal wieder
       aus Prinzip eine Forderung der Opposition ablehne und es noch nicht einmal
       für nötig halte, das zu begründen. Aber: „Man will es ja nicht einfach
       haben. Je wütender ich werde, umso mehr Spaß habe ich“, sagt Schmidt.
       
       ## Ein Hang zum Anarchismus?
       
       Ein anderer Punkt, warum es der Opposition nicht gelingt, in Bayern Fuß zu
       fassen: Dem Land geht es zu gut. Ob der wirtschaftliche Erfolg nur der CSU
       zuzuschreiben ist, wie diese es gerne darstellt, darf zwar in Zweifel
       gezogen werden, ist aber auch nebensächlich.
       
       „Bayern ist extrem wohlhabend“, erklärt SPD-Generalsekretärin Natascha
       Kohnen, „die Wirtschaftsdaten sind bemerkenswert. Da kommt momentan keine
       Wechselstimmung auf.“ Gerade eine Partei wie die SPD, mit der man vor allem
       das Thema Soziale Gerechtigkeit verbindet, hat es da schwer.
       
       Irgendwie überrascht der Mangel an Opposition ausgerechnet in Bayern aber
       doch. So sagt man den Bayern ja durchaus einen Hang zum Anarchismus nach.
       Hier werden die Wilderer verehrt, nicht die Jäger.
       
       Könnte es also sein, dass der gemeine Bayer seine oppositionellen
       Bedürfnisse schlicht außerhalb der klassischen Parteienpolitik befriedigt?
       Das Land hat beispielsweise eine besonders starke Kabarettszene. Und es hat
       eine ausgeprägte Kultur der direkten Demokratie. „Da kriegt die CSU
       interessanterweise immer wieder eins drauf“, sagt Politologin Münch.
       
       ## „Der Bayer will seine Ruhe“
       
       Kabarettist Schleich kann dem vermeintlichen Anarchistengehabe wenig
       abgewinnen: „Das ist doch nur Folklore. Die Bayern geben sich gern als
       Rebellen, in Wirklichkeit sind sie aber sehr gute Untertanen“,
       diagnostiziert Schleich. „Im Grunde ist der höchste Gemütszustand für den
       Bayern, dass er seine Ruhe hat. Und das verträgt sich nun mal schlecht mit
       einer oppositionellen Haltung.“
       
       In den Oppositionsreihen hört man viel von langfristigem Denken, dicken
       Brettern und stetem Tropfen. Aber es gibt auch Optimisten. „Ich werde hier
       nicht ewig in der Opposition bleiben“, sagt Ludwig Hartmann, der gemeinsam
       mit Margarete Bause die Grünen-Fraktion leitet.
       
       Bause hat vor wenigen Monaten erklärt in den nächsten Bundestag einziehen
       zu wollen. Auf das Verständnis ihres Kollegen kann sie dabei nicht hoffen.
       „Hier die Zelte abzubrechen und zu sagen, ich gehe jetzt nach Berlin, davon
       halte ich nichts.“ Nur gibt es einen Unterschied zwischen Bause und
       Hartmann: Sie ist 1986 zum ersten Mal in den Landtag eingezogen, er 2008.
       
       ## Bayern-Fan? Das kann ja jeder!
       
       „Ich bin fest überzeugt: Da tut sich was in Bayern“, sagt Hartmann. Und es
       stimmt ja: Die letzten Umfragen sehen die CSU bei um die 45 Prozent, es
       könnte sein, dass sie nach der nächsten Landtagswahl wieder auf einen
       Partner angewiesen ist.
       
       Das heißt: Schwarz-Grün? „Es ist nicht wahrscheinlich, aber komplett
       ausschließen würde ich es auch nicht. Wir wären bestimmt der schwierigste
       Partner für die CSU, aber auch der fortschrittlichste.“ Naja, die Hoffnung
       – auch dies eine Phrase, die man unter Oppositionspolitikern häufig hört –
       stirbt zuletzt.
       
       Und überhaupt: „Bewundernswert das sind doch die, die sich ohne den
       teuersten Trainer und die teuersten Spieler durchbeißen“, sagt Gabi Schmidt
       von den Freien Wählern und nimmt noch einen tiefen Zug. „Bayern-Fan – das
       kann jeder.“
       
       15 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominik Baur
       
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