# taz.de -- Brandenburg trifft Belarus: Spreewälder Einsichten
       
       > Veronika Radchenko aus Wizebsk lernt bei Bauer Buduschin in Brandenburg.
       > Sie erfährt, dass Landwirtschaft mehr ist als Monokultur.
       
 (IMG) Bild: „Mit Damen macht es mehr Spaß“, sagt Landwirt und Angus-Züchter Siegbert Budischin. Veronika Radchenko ist seine dritte Praktikantin
       
       MÜSCHEN taz | Am Abend, als die Sonne tief durch die Erlen scheint, wird
       Veronika auf der Koppel zeigen, wie man ganz unkonventionell den Strom im
       Weidezaun prüfen kann. Ihr werden dabei die Haare ins Gesicht fallen und
       sie wird lachen. Jetzt sitzt sie etwas steif unter der Linde und hört
       Siegbert Budischin zu. „Kilometerlang bin ich durch Sumpfgebiete gefahren“,
       sagt der Bauer über seine Reise nach Belarus und sein Blick geht in die
       Ferne, dabei ist der Hof von Ziegelbauten begrenzt.
       
       Belarus, ein Landstrich, „da ist Napoleon schon steckengeblieben“, fährt
       Budischin fort. Vor ihm scheint sich eine Tolstoi’sche Kulisse zu erheben,
       in der Napoleons Armee mitsamt Kriegskasse versank, eine Flusslandschaft
       wie der Spreewald, aber grenzenlos. So kam der Bauer aus Brandenburg zur
       Staatlichen Akademie für Veterinärmedizin in Wizebsk. „Ich habe versucht,
       die Beste auszuwählen“, schließt Budischin und schaut zu Veronika. Ein
       Lächeln huscht über ihr Gesicht.
       
       Veronika Radchenko ist die dritte Studentin, die Budischin mit Hilfe des
       Berliner Vereins Apollo in sein Heimatdorf Müschen geholt hat. Der Verein
       organisiert die Kontakte nach Belarus und in die Ukraine und vergibt, vom
       Land Brandenburg unterstützt, jährlich 30 Praktikumsplätze. Der erste, der
       2013 in den Spreewald kam, war ein Student. Danach hat sich Budischin für
       Studentinnen entschieden. „Mit den Damen macht es mehr Spaß“, sagt er. „Die
       sind zuverlässiger.“
       
       „Nika, hol doch mal …“, sagt Budischin, steht dann aber selbst auf und
       verschwindet mit gebeugtem Schritt im Keller. Er nennt die 20-Jährige
       „Nika“, sie ruft ihn „Chef“. „Es ist meine erste Erfahrung in
       Landwirtschaft“, sagt Veronika und erzählt, dass sie ein Stadtkind aus Lida
       im Norden von Belarus ist. 100.000 Einwohner, eine Großbrauerei, Mutter
       Lehrerin, Vater Ingenieur. Nein, nicht einmal die Großeltern haben eine
       Kuh, sagt sie und lacht das erste Mal. Dabei ist diese Art von
       Selbstversorgung in Belarus gar nicht selten.
       
       ## Studium der Tierpharmazie
       
       Der Familienhund hatte in ihr den Wunsch geweckt, Tierärztin zu werden. Die
       Eltern empfahlen allerdings Veterinärpharmazie. Und so studiert Veronika
       alle Nutztiersorten, die es in den Institutsställen daheim gibt, und
       erzählt, wie sie Pferden, Kühen oder Kaninchen Blut abnimmt und Puls, Herz,
       Atmung prüft. Veronika redet dabei mal elegant auf Russisch, mal stockender
       auf Deutsch.
       
       Von der Linde haben sich Marienkäfer mit gelb lackiertem Rücken fallen
       lassen. Sie steuern den Berg Äpfel auf dem Tisch an, krabbeln zum Stiel,
       krabbeln zum Kelch, verschwinden zwischen den Früchten. Sie untersuchen wie
       Kontrolleure Budischins Ernte, alte Sorten, Gravensteiner, Kaiser Wilhelm,
       dieses Jahr, es war trocken, schrumpelig wie Quitten, doch umso
       schmackhafter. Wo gibt es in Belarus Öko-Lebensmittel zu kaufen?
       „Eigentlich nur in Minsk“, sagt Veronika. „Wir fangen langsam, langsam an.
       Aber Bio hat Perspektiven.“ Die Menschen sind jedenfalls schon seit Jahren
       sensibilisiert, erzählt sie. „Nach Tschernobyl wurde das wichtig.“ Weil
       nach der Explosion im Atomkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986 der Wind
       nordwärts wehte, ging der radioaktive Fallout über Belarus nieder und
       verseuchte Landstriche im Südosten. „Das hat unsere Bevölkerung beeinflusst
       bis heute.“
       
       Trotzdem ist der Markt für Öko-Lebensmittel winzig. Kein Wunder, wenn schon
       Milch und Fleisch – konventionell erzeugt – oft genug das Haushaltsbudget
       übersteigen. Die Inflation in Belarus liegt seit Jahren deutlich über zehn
       Prozent. Immerhin gebe es das „Grüne Netz“, erzählt Veronika, ein
       Zusammenschluss von ökologischen Initiativen, Experten, Aktivisten und
       Anbietern von Öko-Tourismus.
       
       Für ökologischen Tourismus wirbt inzwischen auch Alexander Lukaschenko.
       Doch über den Präsidenten, der Belarus seit 1994 mit eisenharter Hand
       regiert, verliert die Studentin kaum ein Wort. „Er ist der Präsident“, sagt
       sie und blickt ein wenig hilflos, als hätte man sie zu den
       Sumpflandschaften befragt. Sie sind da, so wie die Wälder, die
       Lenin-Denkmäler und die Störche. Was gibt’s noch zu sagen?
       
       ## Seine Tiere sind nie krank
       
       Der 62-jährige Lukaschenko, der in den Achtziger Jahren ein Staatsgut
       leitete, der noch heute gern Traktor fährt, Möhren erntet und mit stets
       belegter Stimme Monologe hält über die Lagerung von Kartoffeln und die
       Wartung von Mähdreschern, scheint zum Inventar geworden. Als Veronika
       geboren wurde, war er Präsident, jetzt ist er es immer noch.
       
       Ein Heupferdchen hockt auf Veronikas Kragen. Es scheint ihm zu behagen. Weg
       will es jedenfalls nicht, so sehr sie den Kragen auch schüttelt. Tiere
       fühlen sich bei der angehenden Veterinärpharmazeutin wohl. Siegbert
       Budischin kommt zurück. Er trägt einen Karton unterm Arm. Eigentlich
       braucht er gar keine Pharmazeutin. „Im ökologischen Betrieb gibt es fast
       keine Probleme mit Tierkrankheiten“, sagt er. Seine Kühe müssen nur selten
       behandelt werden. Mal eine Entzündung der Klauen, die oft von selbst heile,
       mal – „selten, sehr selten!“ – eine Eutererkrankung. Budischin stellt den
       Fünf-Liter-Karton auf den Tisch und lässt Veronika den Zapfhahn bedienen.
       Augenblicklich schießt Apfelsaft in die Gläser.
       
       Wie heißt eine Hähnchenfarm auf Russisch? „Ptizefabrika – Vogelfabrik“,
       sagt Veronika und lacht. Budischin runzelt die Stirn. „Vogelfabrik?“
       Seelenloser lässt sich Massentierhaltung kaum beschreiben. Budischin hält
       das Glas ins Licht und nimmt einen Zug. So muss Apfelsaft sein: eigene
       Ernte, keine Zusätze, kein Verschnitt. Budischin lehnt sich zurück und legt
       die Hände auf den Bauch. Ökologische Landwirtschaft geht durch den Magen.
       
       Das sollen die jungen Landwirtschaftsstudenten aus Belarus schmecken, die
       Budischin hier empfängt. Ökologische Landwirtschaft ist was anderes als
       Vogelfabriken und Fleischkombinate. Budischin kennt die sowjetischen
       Methoden, die den Alltag in Belarus prägen. War er doch in der DDR selbst
       Abteilungsleiter einer LPG, einem Agrarbetrieb mit mehreren tausend Hektar,
       mit Monokulturen und Massentierhaltung, so wie im sowjetischen Staatsgut,
       das Alexander Lukaschenko einst führte. Da sprach man auch in Müschen wie
       selbstverständlich von „Tierproduktion“, als würde man Glühbirnen
       ausstoßen.
       
       ## Kürbisse mit Bananengeschmack
       
       „Das war das ganze Gegenteil von dem, was ich heute mache“, sagt der
       Landwirt. Heute baut er Gurken, Paprika, Tomaten an, beliefert kleine
       Mühlen, kultiviert Rispenhirse, eine alte Getreidepflanze. Budischin kann
       lange reden über Hirse, Dinkel und Lichtkorn, eine Roggenart.
       Wahrscheinlich ist es auch seine sorbische Herkunft, die ihn zurückgeführt
       hat zu den Wurzeln. Die Sorben, die sich hier im Spreewald Wenden nennen,
       haben die Region mit den kargen Böden einst besiedelt. Und Budischin, der
       Slawe, der auch Sorbisch spricht, ist verlässlicher Mittelsmann nach Osten
       geworden. Nein, Veronika ist hier richtig, obwohl Budischins Rinder kaum
       Medizin benötigen.
       
       Genug gesessen. Budischin treibt zur Eile. Drei Kilometer von hier liegen
       Kürbisse im Kraut. Die Herbstsonne lacht. Aber wie lange noch? Wenig später
       wippt Veronikas Pferdeschwanz im Takt mit dem Trecker. Das rote Gefährt
       tuckert über Senken und Wiese, obenauf sitzt Veronika und blickt zum
       „Chef“, der mit den Armen rudert. Budischin hat sich einen Strohhut
       aufgesetzt, auf seinem Gesicht glänzt Schweiß. Es riecht nach Heu, Gänse
       schnattern.
       
       „Ist doch besser, wenn du näher ran fährst!“, ruft er zum Trecker. Dann
       reißt er einen Kürbis vom Strunk, der dick ist wie eine Nabelschnur.
       „Kürbis ist jetzt richtig hoch im Kurs“, beginnt Budischin ein Loblied und
       hebt den Koloss hoch. „Es gibt Kürbis mit Nussgeschmack, mit
       Bananengeschmack.“ Seine Kunden werden wenig davon haben. „Den essen wir
       selbst. Der Winter ist lang.“
       
       Es sind Veronikas letzte Tage im Spreewald. In Wizebsk hat bereits das
       Herbstsemester begonnen. Und es ist für beide ein Gewinn, für „Nika“ und
       den „Chef“. Der frische Blick auf Betrieb und Arbeit helfen ihm, Abläufe zu
       verbessern, hat Budischin bereits früh festgestellt.
       
       ## Fritz, der friedfertige Bulle
       
       Den heutigen Ablauf hat Budischin selbst optimiert. Die Sensation hat er
       für den Abend aufgespart. Sie steht hinter seinem Müschener Hof auf der
       Koppel, hört auf den Namen Fritz und ist ein Gebirge pulsierenden Lebens.
       135 Rinder der Rasse Deutsche Angus hat Budischin, aber nur einen Bullen
       wie Fritz. Der steht da, als hätte ihn der Herrgott persönlich geschaffen.
       Nur die Hörner fehlen. „Weggezüchtet“, sagt Budischin.
       
       „So, Nika, jetzt tu ihn mal oben auf dem Rücken kraulen.“ Budischin reicht
       Veronika ein Stöckchen, er selbst hält dem Bullen einen Eimer Schrot vor
       die Nase. Vorsichtig krault Veronika die braunen Löckchen im Nacken,
       zufrieden lässt Fritz mit seinen Nüstern das Schrot im Eimer stieben. Kühe
       und Kälber stehen ringsum. „Die müssten alle trächtig sein“, freut sich
       Budischin. Im März beginnen sie zu kalben. Der Bulle hat ganze Arbeit
       geleistet. „Pass auf, immer angucken!“ mahnt der Bauer. Die drei Menschen
       um Fritz herum wirken zerbrechlich wie Puppen, besonders Veronika. Eine
       kräftige Bewegung von Fritz, und sie würden umfallen. Doch Fritz bleibt
       friedfertig, heute besonders.
       
       Nach einer Weile zieht die Herde los. Fritz trabt hinterher. Früher oder
       später ist das alles Biofleisch, mit feiner Maserung und einmalig gutem
       Fettanteil, hatte Siegbert Budischin gerühmt. Veronika drückt mit ihren
       Gummistiefeln den elektrischen Koppeldraht zu Boden und steigt hinüber. In
       ihrer Gesäßtasche steckt ein Stromprüfer. Man könne auch ganz anders
       prüfen, ob der Zaun unter Strom steht. Anfassen etwa? Sie prustet, nimmt
       dann einen Grashalm zwischen die Fingerspitzen und schiebt ihn vorsichtig
       über den Draht, wie eine Violinistin. Und der Halm beginnt zu tanzen.
       
       18 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Gerlach
       
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