# taz.de -- Angela Merkels Reaktion auf die Attacken: Keep calm und macht mal weiter
       
       > Die Kanzlerin gibt sich nach den Anschlägen betont nüchtern und
       > unaufgeregt. Welche Strategie steckt dahinter?
       
 (IMG) Bild: Die Kanzlerin nimmt Stellung, in den Mittelpunkt stellen will sie sich nicht
       
       Angela Merkel bleibt ganz die Alte, und das ist wirklich eine gute
       Nachricht. Die Welt scheint verrückt geworden zu sein, aber die
       Bundeskanzlerin weigert sich, auch nur einen Millimeter nachzugeben.
       
       Ein 17-jähriger Afghane, der sich zum IS bekennt, hackt in Würzburg mit
       einer Axt auf chinesische Touristen ein. Ein Deutschiraner, der Hitler
       verherrlicht, erschießt in München Jugendliche. Ein psychisch kranker Syrer
       sprengt sich in Ansbach auf dem Gelände eines Musikfestivals in die Luft.
       
       Merkel schaut an diesem Donnerstagmittag aus kleinen Augen in den
       klimatisierten Saal der Berliner Bundespressekonferenz. Vor ihr sitzen
       dicht gedrängt Journalisten und kritzeln in ihre Blöcke, dahinter Dutzende
       Kameras. War ihr „Wir schaffen das“ im September 2015 ein Fehler?
       
       Merkel erklärt in aller Ruhe noch einmal den Kontext ihres Zitates. Sie
       habe ja schon damals darauf hingewiesen, dass die Bundesrepublik mehrmals
       große Leistungen vollbracht habe – und im Übrigen nie behauptet, dass es
       einfach werde.
       
       Dann wiederholt sie ihren optimistischen Satz: „Wir schaffen das. Und wir
       haben im Übrigen in den letzten elf Monaten sehr, sehr viel bereits
       geschafft.“ Merkels ganzer Auftritt kultiviert stoische Unaufgeregtheit.
       Keep calm and carry on. Sie versteht diesen Satz als Aufmunterung und wohl
       auch als Selbstverständlichkeit. Was wäre eine Regierung wert, die zugäbe,
       es nicht zu schaffen? Da wäre der Abschied von Politik. Aber natürlich ist
       der Satz auch eine Provokation. Viele Bürger, nicht nur rechte, halten ihn
       inzwischen für weltfremd.
       
       ## Bloß keine Befindlichkeiten
       
       Dass ihr diese emotionalen drei Worte beinahe zum Verhängnis wurden, ist
       eigentlich nur folgerichtig. Die Kanzlerin hasst Befindlichkeiten. Ihre
       Reden haben stets etwas Verschraubtes, sie schachtelt technokratische Sätze
       ineinander und zerlegt das große Ganze in langweilige Details.
       
       Merkel, so eine gängige These, liefere den Menschen keine Erzählung zu dem,
       was sie für wichtig hält. Funktioniert das noch, wenn der blutige Terror
       vor der Haustür passiert? Wenn die Angst viele Deutsche packt? Nüchternheit
       muss, wie sich am Donnerstag zeigt, jedenfalls kein Nachteil sein. Die
       Kanzlerin tastet sich durch die Pressekonferenz wie eine Bergsteigerin
       durch eine Steilwand.
       
       Merkel liest vom Blatt, jede Silbe ihres Statements hat sie mit ihren
       Vertrauten besprochen und getestet. Dass zwei Flüchtlinge für die Taten von
       Würzburg und Ansbach verantwortlich seien, „verhöhnt das Land, das sie
       aufgenommen hat“, sagt sie. Es verhöhne die ehrenamtlichen Helfer und –
       Merkel schaut auf – auch die vielen Flüchtlinge, die friedlich leben
       wollten, nachdem sie woanders alles verloren hätten.
       
       Darin steckt eine unmissverständliche Botschaft. Der Terror richtete sich
       auch gegen die in Deutschland lebenden Flüchtlinge. Merkel weigert sich,
       das schlichte „Wir gegen die“ aufzumachen, das sich manche in der Union
       wünschen. Das ist der Kern. Merkel achtet auch später, als die Journalisten
       Fragen stellen, auf das Verbindende. Ja, sie tue alles, um Anschläge zu
       verhindern, sagt sie. Aber Angst könne nicht der Ratgeber für politisches
       Handeln sein. „Wir dürfen uns unsere Art zu leben nicht durch solche
       Menschen kaputt machen lassen.“
       
       ## Liberale Ansichten
       
       Das ist ein äußerst liberaler Sound für eine Konservative in einer Zeit, in
       der viele BürgerInnen tief verunsichert sind. Für Merkel verläuft die Front
       nicht zwischen Flüchtlingen und Deutschen, wie auch immer man diese
       definieren wollte. Sondern zwischen der aufgeklärten Demokratie und
       gewaltbereitem Terrorismus. Deutschland sei im Kampf gegen den IS, sagt sie
       – „oder meinetwegen auch in einem Krieg.“
       
       Meinetwegen Krieg. Diese Formulierung ist neu bei Merkel, wenn es um den
       Kampfeinsatz der Bundeswehr gegen den IS in Syrien geht. Aber auch hier
       bleibt sie vorsichtiger als andere, François Hollande hat früh und offensiv
       vom „Krieg gegen den Terror“ gesprochen.
       
       Noch etwas ist bemerkenswert: Merkel hat sich entschieden, den Bürgern eine
       einfache, aber wichtige Wahrheit zu sagen. Absolute Sicherheit existiert
       nicht – und hat nie existiert. Diese Botschaft, die banal ist, aber auf
       viele verstörend wirkt, sendete das Kanzleramt früh.
       
       An dem Freitagabend, als nicht klar war, ob es München mit einem
       Terroristen zu tun hat, war Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) im
       „heute-journal“ zugeschaltet. Moderator Claus Kleber fragte ihn, wie er,
       ein Mann an der Schaltstelle der Macht, damit fertigwerde, dass der Staat
       solche Taten trotz aller Anstrengungen nicht verhindern könne.
       
       Der rhetorische Vollprofi hätte ausweichen können, tat es aber nicht. In
       der globalisierten Welt, in der sich Terrorismus weltweit vernetze, müssten
       alle „damit leben, dass wir den Ort und die Stunde von Anschlägen nicht
       immer kennen“, sagte Altmaier. Dann fügte er natürlich hinzu, dass die
       Regierung die Polizei stärken wolle.
       
       Diese Art der Kommunikation ist nur redlich. Ratlos zu sein, ist für
       Politik keine Option, sie muss Lösungen anbieten. Sie darf aber nicht
       suggerieren, diese seien Allheilmittel. Merkel und Altmaier folgen dieser
       komplizierten, aber richtigen Philosophie. So, wie sie es auch während der
       sogenannten Flüchtlingskrise hielten, als die Rechtspopulisten brüllten,
       die Grenzen müssten geschlossen werden.
       
       ## Keine Schnellschüsse
       
       Merkel bleibt auch in einem anderen Punkt ganz bei sich. Sie wartet lieber
       ab, als sich vorschnell zu äußern. Nach dem Münchner Attentat am
       Freitagabend ließ sie ihr Statement auf Samstag, 14.30 Uhr, ansetzen – da
       hatten US-Präsident Barack Obama und Hollande längst kondoliert. Ihr
       Auftritt in Berlin fand ganze drei Tage nach dem Anschlag in Ansbach statt.
       In der Hyperaktualität von heute, in der in sozialen Medien in Echtzeit
       kommentiert wird, sind das halbe Ewigkeiten. Merkel will sich erst dann
       verhalten, wenn ausreichend Informationen vorliegen.
       
       Ihre Zurückhaltung hat den Nachteil, dass sie auf viele Menschen kühl
       wirkt. Wer sich Trost oder Orientierung von der Kanzlerin wünscht, ist bei
       ihr an der falschen Adresse. Hollande fuhr zum Beispiel sofort nach
       Saint-Étienne-du-Rouvray, wo mutmaßliche islamistische Terroristen einen
       Priester ermordeten – und umarmte den geschockten Bürgermeister. Solche
       Bilder wird es mit Merkel nie geben. Sie fährt zur Trauerfeier nach
       München, das hält sie für den angemessenen Ort.
       
       Der Mangel an zur Schau gestellter Empathie lässt sich aber auch positiv
       deuten, nämlich als angenehme Bescheidenheit. Kein Kanzlerinnenbesuch stört
       die Helfer, kein prominenter Auftritt beansprucht die Aufmerksamkeit für
       sich. Dass Berlin den Bayern und der Münchner Polizei die
       Öffentlichkeitsarbeit überließ, war bundesrepublikanisch im besten Sinne.
       Der Rechtsstaat, so die subtile Botschaft, funktioniert in Krisen immer,
       auch dann, wenn die Chefin absent ist.
       
       Die Zurückhaltung hat auch ein taktisches Kalkül. Die Taten in Bayern, so
       verstörend und tragisch sie waren, sind nicht vergleichbar mit strategisch
       koordinierten Anschlägen. Ansbach ist nicht Paris, wo Terroristen im
       November 2015 Besucher eines Fußballspiels, eines Rockkonzerts und Gäste in
       zahlreichen Bars attackierten. Merkel ist klar, sie braucht noch einen
       symbolischen Steigerungsraum. Wer weiß, was noch passiert.
       
       ## Zugeständnisse an die Hardliner
       
       Ganz so liberal, wie es scheint, agiert Merkel dann doch nicht. In dem
       Neunpunkteplan, den sie präsentierte, finden sich einige Zugeständnisse an
       die CSU – mit überschaubarem Nutzen. Neben altbekannten Projekten wie einer
       EU-Richtlinie für ein schärferes Waffenrecht oder einer Infostelle für die
       Entschlüsselung von Internetdaten gibt es auch Neues.
       
       Da in Würzburg und Ansbach Einzeltäter zuschlugen, die der Polizei zuvor
       nicht aufgefallen waren, soll ein Frühwarnsystem her. Sobald es in
       Asylverfahren Hinweise auf eine Radikalisierung gebe, sollten Behörden
       tätig werden. Wie das gehen soll, bleibt unklar – Zivilpolizisten in
       Flüchtlingsunterkünften?
       
       Am wichtigsten ist für Hardliner in der Union jedoch der Einsatz der
       Bundeswehr im Inneren. Sie soll nun mit der Polizei die Zusammenarbeit in
       terroristischen Großlagen üben.
       
       Lässt Merkel solche Einsätze in Zukunft zu, dann hätten die Terrorattacken
       Deutschland doch relevant verändert. Und nicht zum Besseren.
       
       29 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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