# taz.de -- Rechte von Sexarbeiterinnen: Versicherte Arbeit – wie jede andere
       
       > Haben SexarbeiterInnen die gleichen Rechte wie andere ArbeitnehmerInnen?
       > Darüber entscheidet jetzt das Hamburger Sozialgericht.
       
 (IMG) Bild: Welche Rechte haben Sexarbeiterinnen?
       
       Hamburg taz | Eine Frau springt aus dem Fenster des Appartements, in dem
       sie als Sexarbeiterin tätig ist. Sie verletzt sich schwer. Ein
       Arbeitsunfall, sagt ihre Anwältin. Und deshalb soll die gesetzliche
       Unfallversicherung bezahlen. Das Hamburger Sozialgericht wird am 23. Juli
       darüber entscheiden. Die Chancen stehen gut für eine Präzedenzentscheidung
       von besonderer Tragweite.
       
       2012 war Natalja Dineva (Name aus Personenschutzgründen geändert) aus
       Osteuropa nach Deutschland gekommen, gelockt von der Anzeige eines
       Escortservices. Es ging um Sexarbeit, darauf hatte sie sich eingelassen.
       Unterkunft und Kleidung wurden gestellt, der Arbeitgeber kümmerte sich um
       Werbung und Fahrt in Clubs zu potenziellen Kunden. Nach ein paar Tagen
       sagte der Mann, er müsse sich um ihre Papiere kümmern. Von Einsperren sagte
       er nichts.
       
       Noch blieb die Frau ruhig, in dem kleinen Appartement in Hamburg, in dem
       sie auch Kunden empfing. Am Telefon verschob sie Termine mit Freiern. Dann
       las sie im Internet von einer Frau, die vor dem Typen warnte. Da wollte
       Dineva nur noch weg und sprang aus dem Fenster, zweiter Stock. Mit
       gebrochenem Rücken und kaputten Beinen kam sie ins Krankenhaus. Inzwischen
       lebt sie wieder in ihrem Heimatland, noch immer berufsunfähig, weitere
       Behandlungen sind nötig.
       
       Die Hamburger Beratungsstelle Koofra und Katrin Kirstein, Dinevas Anwältin,
       erzählen die Geschichte der Prostituierten. Vorsichtig, nicht zu viele
       Details. Dineva selbst hat Angst, ihr Arbeitgeber hat ihr gedroht, er
       wisse, wo ihre Familie wohnt. Weil sie nicht direkt gegen ihn aussagen
       will, wurde das Strafverfahren eingestellt.
       
       „So passiert das häufig“, erzählt Katharina Meiser von Koofra. Bis zu 60
       Frauen melden sich jährlich bei der Hamburger Koordinierungsstelle gegen
       Frauenhandel. Die meisten kommen aus Rumänien, Bulgarien, Deutschland.
       Manche unter Zwang, viele freiwillig, so wie Dineva. Erst nach und nach
       werde häufig klar, dass die Arbeitsverhältnisse ausbeuterisch sind.
       
       ## Zugang zu grundlegenden Arbeitnehmerrechten
       
       Wollen die Opfer Entschädigung, blieben in der Vergangenheit nur zwei wenig
       aussichtsreiche Wege. Selbst wenn der Täter im Strafverfahren zu
       Schmerzensgeld verurteilt wurde, sei regelmäßig nichts zu holen, so
       Anwältin Kirstein, die seit Jahren Opfer von sexueller Ausbeutung vertritt.
       Bleibt noch das Opferentschädigungsgesetz, bei dem der Staat einspringt.
       Doch das greift bislang nur, wenn ein tätlicher Angriff zur Verletzung
       führte. Und auch dann erst nach Jahren, nach Ablehnungen, Widersprüchen und
       Prozessen.
       
       Im Fall von Natalja Dineva hatten Anwältin und Beratungsstelle 2012 Antrag
       auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung gestellt. Alle in
       Deutschland Beschäftigten sind automatisch versichert. Bei einem Unfall,
       der im Zusammenhang mit der Arbeit steht, zahlt die Unfallversicherung. Und
       zwar unter anderem Behandlung, Arbeitsausfall und, bei Arbeitsunfähigkeit,
       eine Rente.
       
       Die zuständige Berufsgenossenschaft lehnte ab. Es sei zwar ein Unfall, aber
       die Frau nicht abhängig beschäftigt. „Das ist ein weit verbreitetes
       Klischee über die Prostitution, in der angeblich alle selbstständig
       arbeiten“, so Kirstein. Den Prozess finanzierte ein eigens für solche Fälle
       eingerichteter Rechtshilfefond des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
       
       Nun verkündet das Hamburger Sozialgericht das Urteil. Dass es in erster
       Instanz zugunsten von Dineva ausfällt, hatte der Richter schon
       signalisiert. „Ein guter Beginn“, sagt Heike Rabe vom Deutschen Institut
       für Menschenrechte. Damit würde anerkannt, dass es abhängig Beschäftigte in
       der Sexbranche gibt, und Klarheit geschaffen für jene, die sich im
       Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung verletzen oder erkranken.
       „SexarbeiterInnen haben damit Zugang zu grundlegenden
       ArbeitnehmerInnenrechten“, hofft auch Anwältin Kirstein. Und für ihre
       Mandantin nach vier Jahren auf die ersehnte Entschädigung.
       
       23 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Heim
       
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