# taz.de -- Beyoncé mit neuem Album „Lemonade“: Zitronen für Black Power
       
       > Beyoncé macht die Veröffentlichung ihres Albums „Lemonade“ zum Ereignis.
       > Kulturpolitisch überzeugt es mehr als musikalisch.
       
 (IMG) Bild: Weniger Kreation als Kuration: Beyoncé
       
       Zitronen. Überall Zitronen. Im Social-Media-Zeitalter stehen die „Memes“ im
       Zentrum einer Promotionkampagne für ein Album. Die virtuellen
       Zitronen-Emojis, mit denen Hunderttausende Fans ihre Twitter- und
       Instagram-Feeds letzte Woche überfrachteten, sind das perfekte „Meme“.
       Jeder, für den Beyoncés neues Album „Lemonade“ ein popkulturelles Ereignis
       darstellt, weiß sofort, was mit den Zitronen gemeint ist. Für die anderen
       sind es nur Zitronen.
       
       Die Begeisterung ist berechtigt. Beyoncé hat ein beeindruckendes
       Gesamtkunstwerk aus Musik, Film und Design erschaffen. Natürlich ist sie
       eine außergewöhnliche Sängerin. Aber viel wichtiger ist, dass sie dank
       ihres vorzüglichen Geschmacks genau die richtigen Menschen ausgewählt hat,
       um an „Lemonade“ mitzuarbeiten.
       
       An einzelnen Songs wirkten bis zu 15 prominente Komponisten mit, als Gäste
       bestimmte sie etwa James Blake, The Weeknd oder Kendrick Lamar. Beyoncés
       Leistung scheint weniger Kreation als Kuration zu sein. Manche kritisieren
       Beyoncé gerade für diese gängige Praxis, doch im Gegensatz zu Kanye Wests
       „The Life of Pablo“, das über 100 beteiligte Songwriter auflistet, ist
       „Lemonade“ eine relativ überschaubare Angelegenheit.
       
       Ein großes Popalbum, an dem weniger als 20 Musiker mitwirkten, wird 2016
       die große Ausnahme bleiben. Popmusik wie die von Beyoncé bleibt der
       Gegenentwurf zum romantischen Idealbild der einsamen Künstlerin, ihrer
       Akustikgitarre oder ihrem Klavier. Das geht völlig in Ordnung.
       
       ## Das Album als Film
       
       Für sich genommen sind die zwölf Songs auf „Lemonade“ trotzdem nicht alle
       großartig. Besonders der Mittelteil wirkt schwächer als Auftakt und Finale.
       Die Adult-Contemporary-Ballade „Sandcastles“ gerät zu klischeehaft, den
       Neo-R’n’B von „Love Drought“ gibt es bereits hundertfach besser auf
       Soundcloud und der einfältige Country-Folksong „Daddy Lessons“ steht
       Beyoncé einfach nicht besonders gut.
       
       Dagegen sprechen herausragende Momente wie der Song „Formation“, den rechte
       US-Politiker vorschnell als polizeifeindlich gebrandmarkt haben und der
       Auftaktsong „Hold Up“, der mit Enya-Klanganmutung, Airhorns und 808-Bässen
       so progressiv daherkommt wie bisher weniges im Popjahr 2016.
       
       Für den Song „Freedom“, auf dem der gefeierte kalifornische Rapper Kendrick
       Lamar gastiert, verwendete HipHop-Produzent Just Blaze ein Sample der
       vergessenen mexikanischen Psychedelic-Folkband Kaleidoscope. Es sind solche
       Details, die deutlich machen, dass Beyoncé als Kuratorin eine ganze Menge
       anstößt.
       
       „Lemonade“ ist auch als „visuelles Album“ angelegt, daher gibt es nicht nur
       zu jedem Song ein Video, sondern diese Videoclips wurden durch
       Spoken-Word-Elemente zu einem einstündigen Film montiert. Beyoncé wird
       dabei als Co-Regisseurin geführt, neben Talenten und Meistern der
       Musikvideozunft wie Kahlil Joseph, Jonas Akerlund und Mark Romanek.
       
       ## Mutiges Black-Power-Statement
       
       Ihr Film zitiert viele Kapitel afroamerikanischer Geschichte und
       afrikanischer Symbolik: Von New Yorker Brownstones und Verandahäusern in
       New Orleans bis hin zu rituellen Körperbemalungen der Yoruba, die von der
       in New York lebenden nigerianischen Künstlerin Laolu Senbanjo angefertigt
       wurden. Zu James Blakes Klagegesang „Forward“ zeigt Beyoncé die weinenden
       Mütter der von Polizisten ermordeten Afroamerikaner Eric Garner, Michael
       Brown und Trayvon Martin, zu dem kämpferischen „Sorry“ eine twerkende
       Serena Williams – eine Verarbeitung von rassistischen Stereotypen.
       
       „Lemonade“ ist nicht nur ein mutiges Black-Power-Statement, es trägt auch
       Züge des gegenwärtigen Feminismus. Beyoncé schlägt die leistungsvernarrten
       Patriarchen mit ihren eigenen Waffen: Sie verdient mehr Geld, fährt
       schickere Autos, trägt teurere Kleider. Beyoncé ist Unternehmenschefin und
       beschäftigt zwei persönliche männliche Assistenten. Das sind Leitmotive des
       HipHop, die der Selbstermächtigung der Marginalisierten dienen. Es geht um
       Überlebenstechniken, die sich schwarze Frauen über Jahrhunderte aneignen
       mussten.
       
       Beyoncé verweist auch auf jene Stimmen, denen der Weg zur breiten Masse
       normalerweise verwehrt bleibt: Zum Beispiel zitiert sie die junge
       somalische Schriftstellerin Wasan Shire, die auf besonders anrührende Weise
       über Erfahrungen von Flucht und Migration schreibt. Beyoncés Pop ist das
       perfekte trojanisches Pferd, indem sie einem Mainstreampublikum mit
       Aufmerksamkeitsdefizit relevante Inhalte nahebringt – hübsch aufbereitet,
       als twittertaugliches Meme in Form einer Zitrone. Das schmälert ihr
       Anliegen aber um keinen Millimeter.
       
       28 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stephan Szillus
       
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