# taz.de -- Schinkels erstes Meisterwerk: Milchtrinken in der Basilika
       
       > Bei Neuhardenberg steht das Molkenhaus Bärwinkel. Der Berliner Architekt
       > Frank Augustin rettete Schinkels Frühwerk vor dem Verfall
       
 (IMG) Bild: Schinkels Molkerei diente dem Adel
       
       Um 1800 war Preußens Welt noch in Ordnung. Noch weit waren die Niederlage
       gegen Napoleon, der Einmarsch der Franzosen durchs Brandenburger Tor oder
       der Frieden von Tilsit 1807, bei dem Preußen ein Drittel seines
       Staatsgebiets verlor. Gleichwohl war die Jahrhundertwende auch eine
       Zeitenwende. „Vor allem der Adel war nicht besonders amüsiert von der
       relativ fortschrittlichen Politik des Königs“, erklärt Frank Augustin.
       „Deshalb wollte er einen Geheimbund gründen und eine Gegenpolitik
       forcieren.“
       
       Frank Augustin ist Architekt und Schinkelfreund. Doch wenn er über das
       Molkenhaus in Bärwinkel spricht, geht es erst einmal nicht um das zweite
       Gebäude, das der junge Schinkel 1800–1802 unweit von Neuhardenberg gebaut
       hat, sondern um das Drumherum. Denn der Zweckbau auf dem Vorwerk des Gutes
       Quilitz wirft einige Rätsel auf. Warum entstand er in Gestalt einer
       frühchristlichen Basilika? Ließ sich der junge Architekt von den
       konservativen Adelsfamilien wie denen von Prittwitz oder von der Marwitz
       instrumentalisieren? Und was hatte das alles mit der Milchproduktion zu
       tun?
       
       Zumindest Letzteres kann Frank Augustin schnell erklären. „Milch trinken
       war damals Mode. Die Adligen trafen sich auf dem Lande, deklamierten
       Rousseau und sein ‚Zurück zur Natur‘ und nippten an frischer Milch.“
       
       So gesehen steht die Molkerei in Bärwinkel in einer Reihe mit der Meierei,
       die auf der Berliner Pfaueninsel entstanden ist und die zu den
       Lieblingsorten der Königin Luise gehörte. Um 1804 zählte man auf den
       adligen Gütern der Mark bereits 116 Meiereien.
       
       ## Schinkel und die DDR
       
       Und die anderen Fragen? Da muss Frank Augustin weit ausholen, bis hin zu
       seinem Architekturstudium in den siebziger Jahren. Damals war er auf einer
       Exkursion zum Thema Landschaftsgärten in der DDR unterwegs. „Unser
       damaliger Professor hat gesagt, dass er uns noch etwas Besonderes zeigen
       will“, erinnert sich Augustin. „Also fuhr er mit uns in strömendem Regen
       nach Bärwinkel und sagte: Hier steht es, Schinkels erstes Hauptwerk.“
       
       Von der Molkerei aus dem Jahre 1802 war freilich nicht mehr viel zu sehen.
       Schon um 1900 war das nördliche Seitenschiff aufgestockt und zu einem
       Wohnhaus umgebaut worden. Der Rest war verfallen.
       
       Hinzu kommt, dass das Land 1948 im Rahmen der Bodenreform aufgeteilt wurde.
       „Eine der neuen Grundstücksgrenzen führte mitten durch Schinkels Molkerei“,
       sagt Augustin. Zwar gab es 1981 die erste große Schinkelausstellung in der
       DDR, und auch Schloss Neuhardenberg, wo Schinkel unter anderem seine
       klassizistische Dorfkirche baute, wurde in den achtziger Jahren saniert.
       Der wichtigste Frühbau des preußischen Großarchitekten aber war in
       Vergessenheit geraten.
       
       Doch dann kam die Wende, und Bärwinkel wurde für Frank Augustin zu einer
       Art Lebensaufgabe. Sowohl was die Forschung und die offenen Fragen angeht
       als auch die Rekonstruktion des umgebauten und vergessenen Molkenhauses.
       
       ## Ein geheimer Tempel
       
       „Das Ganze (ein Molkenhaus) hat die Form einer Basilika: ein Hochschiff und
       zwei niedrige Seitenschiffe“, schreibt Fontane in seinen „Wanderungen“ über
       Schinkels Frühwerk. „Wenn aber eine Basilika die prachtvolle breite
       Giebelwand nach vorne stellt, und dieselbe als Portal benutzt, so hat
       Schinkel bei diesem Bau das umgekehrte Arrangement getroffen.“
       
       Die Giebelwand war also eine Schauwand, und der Eingang zum Molkenhaus
       befand sich dort, wo bei einer Basilika die Apsis ist. „Schinkel hat mit
       den Formen gespielt, das konnte er gut“, sagt Frank Augustin. Außerdem
       passte das Versteckspiel auch zur Nutzung. Denn neben der Milchproduktion
       sollte die Molkerei ein Treffpunkt konservativer Adliger werden, um Pläne
       gegen den König und die Idee der Bauernbefreiung zu schmieden.
       „Politikgeschichtlich betrachtet, ist das der Anfang des organisierten
       Konservatismus in Preußen“, sagt Augustin.
       
       Doch das war 1809 vorbei. General von Prittwitz, der Quilitz samt dem
       Bärwinkel bekommen hatte, weil er im Siebenjährigen Krieg Friedrich den
       Großen gerettet hatte, gab das Gut an die Krone zurück. Denn inzwischen
       waren auch die Bauern aufmüpfig geworden. Ab 1815 gehörte das Gut dann dem
       preußischen Reformer und Staatsminister Hardenberg – und aus Quilitz wurde
       Neuhardenberg. Im Salon wurden nun keine reaktionären Reden mehr
       geschwungen, es wurde nur noch Milch getrunken.
       
       ## Stein für Stein
       
       Von Schinkel selbst ist über seine Molkerei wenig überliefert. Allerdings
       wissen wir von dem Kunsthistoriker Gustav Friedrich Waagen, der 1844 über
       Bärwinkel schrieb, dass er die Molkerei von seinen frühesten Bauten als das
       „erheblichste“ sah und auch „von eigenthümlicher Anlage“.
       
       Das betrifft auch das Material. „Schinkel verwendete sogenannten
       Raseneisenstein, der nach der Trockenlegung des Oderbruchs unter der
       Grasnabe zu finden war“, weiß Frank Augustin. Als sich der Berliner
       Architekt nach 1990 daranmachte, Fördermittel zu akquirieren und das
       Molkenhaus zu rekonstruieren, durfte nur dieser Stein verwendet werden.
       Denn inzwischen wacht auch der Denkmalschutz über das Kleinod bei
       Neuhardenberg.
       
       Bald war die erste Etappe geschafft. Inzwischen blickt Augustin auf zehn
       Jahre Dauerausstellung über Schinkels Frühwerk in der Molkerei zurück. Nur
       der Nordflügel blieb bislang von den Restaurierungsarbeiten ausgespart. Der
       nämlich gehört wegen der Grundstücksteilung 1948 immer noch einer Familie,
       die in dem aufgestockten Teil des nördlichen Seitenschiffs lebt. „Aber ohne
       diese Familie könnten wir den Ausstellungsbetrieb gar nicht stemmen“, sagt
       Frank Augustin. „Denn sie schließen die Molkerei an den Wochenenden für die
       Besucher auf.“
       
       24 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uwe Rada
       
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