# taz.de -- Rechte Übergriffe in Ost-Berlin: Am Stadtrand tobt der Mob
       
       > Die Zahl der rechten Übergriffe ist in Marzahn-Hellersdorf 2015
       > dramatisch gestiegen – vor allem rund um Flüchtlingsheime. Aber auch die
       > Zivilgesellschaft zeigte Präsenz.
       
 (IMG) Bild: Keine Nazis? Demo gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Marzahn
       
       Angriffe auf Flüchtlinge und Migranten, aber auch auf politische Gegner des
       Rechtsextremismus haben im Bezirk Marzahn-Hellersdorf 2015 stark
       zugenommen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl aller rechtsextremer
       und rassistischer Vorfälle von 83 auf rund 300. Das ist das Ergebnis des
       „Jahresberichts für Demokratieentwicklung in Marzahn-Hellersdorf“, den
       Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD) und die „Bezirkliche
       Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklungam Ort der Vielfalt – Polis“
       am Freitag im Rathaus des Bezirks vorstellten. „Gleichzeitig hat aber auch
       die Zivilgesellschaft einen großen Sprung gemacht: Es gab viel mehr
       Engagement bei Flüchtlingshilfe und gegen den Rechtsextremismus“, sagte
       Polis-Koordinator Raiko Hannemann.
       
       Polis wurde gegründet, nachdem 2006 ein ehemaliger Vertragsarbeiter aus
       Vietnam im Bezirk von Rechtsradikalen ermordet worden war. Seit 2008 werden
       von dieser Stelle rechtsextreme, antisemitische und rassistische Vorfälle
       erfasst. Seit 2015 habe auch die Alice-Salomon-Hochschule ein
       entsprechendes Register, man arbeite gut zusammen, so Hannemann.
       
       Das bezirkliche Verzeichnis ist Teil der so genannten „Berliner Register“,
       die solche Vorfälle – zusätzlich und unabhängig von der Polizei – erfassen.
       Deren Zahlen werden am Dienstag vorgestellt, berichtete Hannemann; im
       Vorgriff könne er aber schon jetzt sagen, dass Marzahn-Hellersdorf
       berlinweit die meisten Vorkommnisse zu verzeichnen habe. Und: „Wir hängen
       natürlich davon ab, was die Leute uns zutragen“, erklärte er – es gebe also
       sicher eine höhere Dunkelziffer.
       
       Als Ursache für den starken Anstieg 2015 nannten Bezirksbürgermeister Komoß
       und Hannemann die Flüchtlingsdebatte. Es sei auffällig, dass sich die
       Vorfälle – dazu zählen Angriffe, Bedrohungen, Propagandadelikte sowie
       Sachbeschädigung und rechtsextreme Veranstaltungen – vor allem rings um
       neue Flüchtlingsheime zutragen würden. So sei ab Ende 2014 vor allem die so
       genannte „Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf“ am Blumberger Damm aktiv
       geworden: Damals war bekannt geworden, dass dort ein Containerdorf
       entstehen würde, erklärt der Polis-Koordinator.
       
       „Bis in den Sommer hinein gab es wöchentliche so genannte Montagsdemos“, 31
       habe man gezählt. Zu Beginn, ergänzte Komoß, hätten daran einige Hundert,
       „dem Augenschein nach auch besorgte Bürger“, nicht nur organisierte
       Rechtsextreme, teilgenommen. Im Sommer 2015 sei dies abgeflaut; danach
       kamen jeden Montag lediglich noch der harte Kern von 20 bis 30
       organisierten Rechtsextremen. Als in der zweiten Jahreshälfte weitere
       Flüchtlingsunterkünfte im Ortsteil Marzahn-Mitte entstanden seien, hätten
       sich die Proteste dorthin verlagert, berichtete Hannemann.
       
       Er wie auch der Bezirksbürgermeister betonten jedoch, dass es zur gleichen
       Zeit eine „vielfache, so nicht erwartete Unterstützung der Flüchtlinge“
       gegeben habe. Viele BürgerInnen zeigten große Spendenbereitschaft,
       engagierten sich in den Heimen und kämen zu Gegenprotesten gegen
       Neonazi-Montagsdemos.
       
       Auf die Stärkung dieser Zivilgesellschaft müsse man sich konzentrieren,
       betonte Komoß. „Die Rechtsextremen wird man nie erreichen können“, wohl
       aber die große, oft stille Mehrheit – vor allem jene Bürgerinnen und
       Bürger, die in der Wendezeit auf die Straße gegangen seien, sich dann aber
       ins Private zurückgezogen hätten.
       
       Ein Beispiel dafür, dass man „besorgte Bürger“ – zumeist Anwohner neuer
       Flüchtlingsunterkünften – überzeugen könne, „dass nicht die Welt
       zusammenbricht durch die neuen Nachbarn“, sehe man an der
       Carola-Neher-Straße. Als dort im Sommer 2013 eine Heim für Flüchtinge
       entstehen sollte, formierte sich eine „Bürgerbewegung“ dagegen, deren
       „Nein-zum-Heim“-Kampagne bis heute bundesweit als Blaupause für ähnliche
       Proteste gilt. Der Bezirk habe mit zahlreichen Informationsangeboten,
       Veranstaltungen und Festen reagiert, so Komoß. Heute sei es dort ruhig.
       
       Vielleicht, ergänzte der Integrationsbeauftragte des Bezirks, Thomas
       Bryant, haben die Menschen inzwischen auch besser gelernt, die Situation zu
       akzeptieren. Denn heute gebe es an den künftigen Standorten für „Modulare
       Unterkünfte für Flüchtlinge“ weit weniger Proteste als 2013. „Aber es gab
       schon immer eine Ablehnung durch die direkt betroffenen Anwohner“, gab
       Komoß zu.
       
       Trotzdem könne keine Rede davon sein, „dass im Bezirk keine weiteren
       Flüchtlingsunterkünfte mehr gebaut werden“. Eine entsprechende Äußerung der
       Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Antje Kapek, „haben wir mit Unverständnis
       zur Kenntnis genommen“.
       
       4 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Memarnia
       
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