# taz.de -- Argentinischer Kino-Film „El Clan“: Zuhause als Versteck und Folterraum
       
       > Der Thriller „El Clan“ von Pablo Trapero erzählt eine Familiengeschichte
       > mit Aufbruch und Untergang. Am Ende stehen Dekadenz und Paranoia.
       
 (IMG) Bild: Trügerisches Familienidyll.
       
       Die Luft wird immer dünner. Alex sitzt mitten in der Nacht in seinem Laden
       für Surfer, an das Mundstück eines Sauerstoffgeräts gekoppelt. Sein Atem
       füllt den ganzen Raum aus. Zug um Zug bläst er in sich hinein, und doch
       gewinnt man dabei nicht den Eindruck, dass sich sein Zustand bessert. Sein
       Blick ist nach innen gerichtet. Die Panik steht ihm ins Gesicht
       geschrieben.
       
       Alex ist der zweitälteste Sohn der Puccio-Familie. Eigentlich hätte er alle
       Bausteine für einen glücklichen Start in ein eigenes Leben in Griffnähe.
       Argentinien hat sich gerade aus der eisernen Faust der Militärdiktatur
       befreit und befindet sich 1983 auf dem unebenen Übergang zur Demokratie.
       Beim Rugby ist der junge Mann mit dem schulterlangen Haar bereits eine
       kleine Berühmtheit, bald wird er sich auch Hals über Kopf verlieben.
       
       Wäre da nicht sein Vater, Arquímedes Puccio. Er entstammt der Nomenklatura
       des alten Regimes, für das er lange die Schmutzarbeit erledigte und
       missliebige Kontrahenten verschwinden ließ. Die neuen Zeiten halten ihn
       nicht davon ab, diese Tätigkeit fortzusetzen. Allein die Ausrichtung hat
       sich ein wenig verschoben: Statt auf Regimegegner richtet sich sein
       Augenmerk nun auf die oberen Zehntausend, welche die durch den Kurswechsel
       entstandenen Einkommenseinbußen kompensieren sollen. Er ist einer der
       „Arbeitslosen“.
       
       Der argentinische Regisseur Pablo Trapero hat mit dem Fall der
       Puccio-Familie ein Stück Realgeschichte verfilmt, das in seiner Heimat in
       guter Erinnerung ist. Das ist wohl ein Grund dafür, dass sich der Film dort
       bereits im Sommer zum Kassenhit entwickelt hat, bevor er international auf
       Festivals wie Toronto und Venedig reüssierte.
       
       ## Alex hat hemmungslos Sex im Auto
       
       Noch mehr hat der Erfolg aber mit dem ungewöhnlich dreisten Zugriff auf die
       Geschichte zu tun, der nicht zu Unrecht mit Filmen von Martin Scorsese
       verglichen wurde. Trapero verbindet man als Vertreter des neuen
       argentinischen Kinos eigentlich mit veristischen Stilansätzen. Doch „El
       Clan“ kleidet er wie ein „period piece“ ein, das sich sowohl über
       Genre-Versatzstücke als auch stark über den Look definiert.
       
       Eklektisch ist vor allem die Musikauswahl, oft verleihen Crooning-, Pop-
       und Rocknummern den Szenen eine anderen Drall. Am auffälligsten vielleicht
       in dieser Sequenz: Alex hat mit seiner Freundin im Auto hemmungslos Sex,
       parallel dazu wird einem Entführungsopfer der Garaus gemacht, während im
       Hintergrund ein lateinamerikanischer Punksong den Takt dazu vorgibt. Nein,
       so subtil wie bei Scorsese, der die Nummern ja immer auch als
       popkulturelles Fundament begreift, gelingt es bei Trapero nicht.
       
       ## Im Herzen ein Familienfilm
       
       Die Stelle ist aber auch noch in anderer Hinsicht bedeutsam. Sie zeigt, wie
       konsequent „El Clan“ das Nebeneinander von jugendlicher Lebenslust und
       eiskalter Gewalt auf die Spitze treibt. Aufbruch und Untergang wohnen hier
       im selben Haus, deshalb ist „El Clan“, so seltsam es klingen mag, im Herzen
       ein Familienfilm.
       
       Trapero hatte von Anfang an ein gutes Auge für soziale Bande. Sein Debüt
       „Mundo grúa“ (1999) erzählte von einem Mann ohne festes Einkommen, der mit
       seinem Sohn die Liebe zur Musik teilt; in der Komödie „Familia rodante“
       (2004) begleitet er eine Großfamilie im Wohnmobil auf eine Reise, bei der
       sich dann auch die Verhältnisse der einzelnen Mitglieder zueinander neu
       ordnen.
       
       Auch in „El Clan“ gibt es keine Instanz, die von außen eindringt, keinen
       Polizisten oder anderen Ermittler. Auf diese Weise wird schnell
       ersichtlich, dass das Regime von Arquímedes auf Angst beruht und totale
       Unterordnung bedingt. Nur dem ältesten Bruder der Familie ist die Flucht
       gelungen. „Geht es dir gut, Alex“, fragt der Vater den Sohn, nachdem er
       gerade einen seiner Rugbykollegen im Kofferraum untergebracht hat.
       
       Jeder Anflug von familiärer Zuwendung hat in „El Clan“ schon eine perverse
       Note, weil das eigene Heim zugleich Versteck und Folterraum ist. Darauf
       lässt sich keine natürliche Harmonie begründen. Die Logik des Vaters läuft
       jener des Sohnes, der ein normales Leben führen will, drastisch zuwider.
       Deshalb inszeniert Trapero die Szenen am Familientisch schon wie auf dem
       halben Weg zur Groteske.
       
       ## Arquímedes blinzelt niemals
       
       Arquímedes Puccio wird immer wieder zentral ins Bild gerückt, manchmal
       sieht man zunächst nur seinen Hinterkopf, während die Kamera langsam auf
       ihn zufährt. Mit solchen visuellen Strategien unterläuft der Film geschickt
       die Möglichkeit, sich auf die Figur anders als mit einem erhöhten
       Bewusstsein von seiner Allgegenwart einzulassen. Der Vater ist in „El Clan“
       auch anwesend, wenn er abwesend ist – gleich einem Dämon, der auch aus dem
       Off in die Bilder hineinfährt.
       
       Mit Guillermo Francella hat Trapero für diesen schwierigen Part einen in
       Argentinien sehr populären Schauspieler gewinnen können, der nun erstmals
       einen „bad guy“ verkörpert. Er ist Brennpunkt des Films und sein größter
       Trumpf: Als Erstes denkt man an seine Augen zurück, an dieses fast
       künstliche Blau, seinen gleichzeitig durchstechenden wie auf beunruhigende
       Weise jeder Emotion entleerten Blick.
       
       Arquímedes blinzelt niemals, und in keinem Moment des Films verliert er die
       Fassung. Wenn er die Familien der entführten Opfer anruft und
       Lösegeldforderungen stellt, klingt es, als sage er einen einstudierten Text
       auf. Das Gewöhnliche, Unscheinbare liegt in dieser Figur ganz nah am
       Monströsen. Die Überheblichkeit dieses Mannes verdankt sich dem Wissen,
       dass er immer noch von mächtigen Insidern geschützt wird.
       
       ## Kaltblütiger Killer
       
       So gut „El Clan“ die Darstellung des Familienalltags gelingt, so fahrig
       wirkt die Einordnung des mörderischen Geschehens in einen größeren
       politischen Zusammenhang. Vor allem der überhastete Beginn, bei dem auch
       eine Rede des neuen Präsidenten Raúl Alfonsín als Newsreel einbezogen wird,
       reißt zu viele Kontexte auf einmal an. Trapero lässt diese Form von
       faktenorientierter Anbindung dann aber ohnehin bald links liegen und
       konzentriert sich stattdessen stärker darauf, über Milieus und
       entsprechende Klassengefälle von der Gesellschaft zu erzählen.
       
       Bei einem der betuchten Opfer wird deren Residenz inspiziert, bevor man zur
       Tat schreitet. Damit wird zumindest indirekt anschaulich, dass Arquímedes
       nicht einfach nur ein kaltblütiger Killer ist, sondern aus einem tief
       sitzendem Ressentiment heraus agiert – gegenüber den Eliten, die es sich
       stets richten konnten. Sobald die Ideologie wegfällt, bleibt das
       ökonomische Gefälle als Triebfeder zurück. Das ist letztlich auch der
       Grund, warum Alex seinem Vater nicht so leicht den Rücken zuwenden kann.
       Sein Lebensstil wäre ohne das Geld des Vaters nicht finanzierbar. Peter
       Lanzani spielt Alex mit der richtigen Mischung aus Unschuld und Ohnmacht.
       
       Wie alle Geschichten von Gier mündet auch „El Clan“ am Ende in eine Phase
       der Dekadenz und Paranoia. Die Täter verlieren Rückhalt, sie lesen die
       Zeichen falsch. Arquímedes erkennt den Niedergang nicht, weil er den Wandel
       nie richtig begriffen hat. Wie in einem modernen Shakespeare-Drama bricht
       am Ende der fragile Zusammenhalt endgültig zusammen. Die Puccios sind die
       Zombies eines Systems, in dem sich letztlich alle gegeneinander richten,
       einerlei, ob Familie oder nicht. „I love to live so pleasantly, live this
       life of luxury“, singen The Kings, aber es ist schon der Song einer
       zurückliegenden Ära.
       
       3 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominik Kamalzadeh
       
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