# taz.de -- Vor der Landtagswahl in BaWü: Winne war gestern
       
       > Eigentlich mag Winfried Hermann keine Autos. Als Verkehrsminister hat er
       > Kompromisse gemacht – und einige alte Freunde verloren.
       
 (IMG) Bild: Ein Verkehrminister, der lieber zu Fuß als auf der Straße unterwegs ist: Winfried Hermann.
       
       Stuttgart taz | Bitte? Das soll ein Minister sein? Der streng
       dreinblickende Wirt des griechischen Restaurants Lukulion am alten Rathaus
       in Esslingen kann es nicht glauben. Der kleine, drahtige Typ mit der
       rasierten Glatze und dem Brillantstecker im Ohr? Wo ist die Limousine, wo
       die Entourage? Der Gastronom versucht es mit einem Witz: „Sie sind
       wahrscheinlich Varoufakis.“
       
       So gefällt sich Winfried Hermann. Seit fünf Jahren ist er nun
       Verkehrsminister im Land, aber seinen Rucksack mit dem Dienstlaptop trägt
       er immer noch am liebsten selbst. Und wann immer es geht, ist der ehemalige
       Sportlehrer nicht mit dem elektrischen Dienst-Daimler, sondern zu Fuß, mit
       dem Rad oder der S-Bahn unterwegs. Sollen sich doch seine grünen
       Ministerkollegen mit goldenen Landesabzeichen am Revers in staatsmännischen
       Gesten üben. Hermann will sich auch als Minister ein bisschen
       Oppositionsfolklore erhalten.
       
       Im bürgerlichen Baden-Württemberg ist er damit ein Fremdkörper geblieben.
       Aber vor grünem Publikum funktioniert das gut. Im alten Rathaus von
       Esslingen zum Beispiel. Hier hat Hermann an diesem Abend ein Heimspiel.
       
       Vor alten Weggefährten, Verkehrsexperten und grünen Sympathisanten entwirft
       er mit viel Detailwissen „Die Zukunft der Mobilität“: Er billigt dem Auto
       eine durchaus ruhmreiche Geschichte zu, aber eben auch „eine blutige mit
       geschätzt 200 Millionen Verkehrstoten“ weltweit.
       
       ## Tempolimit im Autoland
       
       30 Prozent der Klimagase stammen aus dem Verkehr, sagt er. Für die Zukunft
       brauche es deshalb intelligente Verkehrskonzepte mit Fahrrad, Bahn und Pkw.
       Das Autoland Baden-Württemberg habe dann ein große Zukunft, wenn es beste
       Technik im Einklang mit der Natur liefere.
       
       Es gibt viel Applaus und kaum kritische Nachfragen. Nur ein junger Mann mit
       viel Gel im Haar hat sich unter all die Grünen gewagt und fragt tapfer, ob
       denn der Minister nicht zugeben müsse, dass die Feinstaub- und die
       CO2-Belastung abnehmen, wenn der Verkehr fließt und Autos möglichst schnell
       davonfahren. Er sei deshalb gegen Tempolimits.
       
       Hermann führt geduldig Studien ins Feld, die die These des Mannes
       widerlegen. Als er sich als Vertreter der Initiative „Freie Fahrt fürs
       Ländle“ vorstellt, muss Hermann lachen und beendet die Diskussion mit dem
       Rat: „Vielleicht erkennen Sie irgendwann, dass es drängendere Probleme in
       der Welt gibt, als sich gegen ein Tempolimit zu engagieren.“
       
       Der Mann von der Freifahrer-Initiative ist an diesem Abend eine einzelne
       Stimme. Aber klar ist auch: Baden-Württemberg ist ein hartes Pflaster für
       einen wie Winfried Hermann. Jeder Verkehrsminister vor ihm sah bisher in
       der Eröffnung von immer neuen Umgehungsstraßen und Autobahnabfahrten den
       Gipfel seines politischen Schaffens. Dann kam der bekennende Fußgänger
       Hermann ins Amt.
       
       ## Tief in der Partei verwurzelt
       
       In einem Flächenland, in dem mehr Menschen das Auto nutzen als in jedem
       anderen, fürchteten nicht wenige, dass grüne Mobilitätskonzepte die
       Autoindustrie abwürgen könnte. Von dieser Branche hängt hier immerhin jeder
       fünfte Arbeitsplatz ab.
       
       Winfried Hermann weiß das, weil er Baden-Württemberg kennt. Er ist in
       Rottenburg bei Tübingen aufgewachsen, in den achtziger Jahren wegen der
       Umweltpolitik von der SPD zu den Grünen gewechselt, war später lange
       Landesvorsitzender. 1984 wurde er das erste Mal in den Landtag gewählt.
       
       Hermann ist tief in der Partei verwurzelt und hat auch als
       Bundestagsabgeordneter den Kontakt zur Basis im Land gehalten. Heute ist er
       in der Partei als irgendwie Linker über die Flügel hinweg anerkannt.
       
       Hermann sagt, ihm seien Inhalte immer wichtiger gewesen als machtpolitische
       Optionen. Das kann auch eine Schwäche sein. Am Kabinettstisch verdrehen sie
       gelegentlich die Augen, wenn er mitten im Wahlkampf Autobahnteststrecken
       für Tempolimits ausweist und sich mit dem Bundesverkehrsminister in einen
       bizarren Streit darüber verstrickt.
       
       ## Der „Vebrotsminister“
       
       Da immerhin ließ ihn der Ministerpräsident gewähren. Andere Male hat sich
       der andere Winfried gewehrt, wenn Hermann gar zu grüne Politik machen
       wollte. Etwa als Kretschmann verfügte, dass nun doch die riesigen Lkws,
       sogenannte Gigaliner, auf baden-württembergischen Autobahnen getestet
       werden dürfen, auch wenn es im Koalitionsvertrag anders steht.
       
       Die Opposition witterte im Verkehrsministerium fünf Jahre lang die offene
       Flanke der Regierung: Hermann war der „Verbotsminister“, der per
       „Guerillakontrollen“ die Abgaswerte von privaten Dieselfahrzeugen messen
       und eigentlich lieber heute als morgen Fahrverbote aussprechen würde.
       
       Im Wahlkampf glaubt CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf, dass es schon reicht,
       Hermanns Namen zu nennen, um im Wahlvolk den grünen Horror an die Wand zu
       malen. Doch das Gruseln will sich nicht mehr so recht einstellen. Schon gar
       nicht bei Verkehrsfachleuten.
       
       Man wird kaum jemanden in Rathäusern und Landratsämtern finden, der Hermann
       nicht zumindest eines bescheinigen würde: Sachkenntnis. Als langjähriger
       Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag kennt er die
       Infrastrukturprojekte im Land sehr gut.
       
       ## Die Hundert-Millionen-Euro-Lüge
       
       So muss er sich bei Fachdiskussionen nur selten von Experten korrigieren
       lassen. Immer wieder versucht ihm Nicole Razavi, die verkehrspolitische
       Sprecherin der CDU-Fraktion, ideologische Entscheidungen nachzuweisen. Ihr
       vermeintlich großer Coup: Angeblich hat der Verkehrsminister 100 Millionen
       Euro von Bundeszuschüssen für Straßenbau liegen lassen, weil er keine
       Straßen bauen möchte.
       
       „Ja, die Hundert-Millionen-Euro-Lüge“, sagt Hermann, und lacht, „die haben
       sie jetzt im Wahlkampf wieder hervorgeholt.“ Dabei wissen Kommunalpolitiker
       vor Ort noch ganz genau, wie es unter der CDU war. Sobald das Geld vom Bund
       freigegeben war, wurde mit großem Brimborium der offizielle Spatenstich
       zelebriert. Dann geschah oft jahrelang nichts mehr, weil die restliche
       Finanzierung nicht gesichert war.
       
       Hermann hat nun erst die Finanzierung gesichert und dann das Geld vom Bund
       genommen. Das beobachten auch die Praktiker vor Ort mit Respekt. Auch
       deshalb heißt es in vielen Landratsämtern und Industrie- und Handelskammern
       schon fast entschuldigend: Nein, eigentlich könne man sich über den
       Verkehrsminister nicht beschweren.
       
       ## „Einfach nur eingeknickt“
       
       Und an Hermanns größtem Erfolg findet selbst die Opposition keinen Punkt zu
       kritisieren: Nach jahrelangem Streit zwischen Anwohnern und Bahn kann die
       neue Trasse der Rheintalstrecke, eine der großen Verkehrsachsen in Europa,
       endlich gebaut werden. Hermann hat die Strecke mit großen
       Bürgerbeteiligungsprojekten teilweise komplett neu planen lassen. Das
       geschafft zu haben, sagt Hermann, darauf sei er stolz.
       
       Bleibt der Stuttgarter Hauptbahnhof. Montag für Montag treffen sich die
       Gegner von Stuttgart 21 vor dem Neuen Schloss. Manche tragen Buttons mit
       dem durchgestrichenen Konterfei des Verkehrsministers, den sie früher, wie
       alle seine Freunde, „Winne“ gerufen haben. Hat er hier nicht flammende
       Reden gegen das Bahnprojekt gehalten? Hat er nicht am Tag seiner
       Vereidigung in der taz gesagt: Stuttgart 21 nur ohne mich? Jetzt exekutiert
       er, wenn auch widerwillig, den Bau des Tiefbahnhofs. Kritische Begleitung
       nennt er das, aber für viele der Gegner ist er einfach nur eingeknickt.
       
       So viel hat Hermann in den fünf Jahren als Minister gelernt: Jeder Satz,
       jedes Versprechen hat nun viel mehr Gewicht. Er ist deshalb vorsichtiger
       geworden. Ihm sei klar gewesen, sagt er, dass es mit diesem Ministerium
       nicht leicht werden würde. Er nimmt es sportlich.
       
       14 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Stieber
       
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