# taz.de -- Klischees über Roma: Wo ist jetzt das Problem?
       
       > Hier sehen Sie ein Bild von einem Rom. Zugegeben - nicht gerade eines,
       > das man sich von Sinti und Roma machen will. Zeit für einen
       > Perspektivenwechsel.
       
 (IMG) Bild: Ausschnitt aus dem Bild „o.t.“, 2015, von Imrich Tomáš. Werke des in Berlin lebenden Künstlers sind noch bis 6. Februar als Teil einer Gruppenausstellung von Roma-Künstlern zu sehen in der Galerie Kai Dikhaas im Aufbau-Haus Berlin-Kreuzberg.
       
       Beim Stichwort „Roma“ oder „Zigeuner“ schießen wohl vielen BerlinerInnen
       dieselben Bilder durch den Kopf: bettelnde Frauen in langen Röcken vor
       Supermärkten, Scharen von Kindern, die an roten Ampeln Autoscheiben waschen
       wollen, schnurrbärtige Männer, die mit Geige durch Cafés und U-Bahnen
       ziehen.
       
       Arm, kriminell, asozial: Das schlechte Image von Sinti und Roma ist
       dominant in ganz Europa und existiert seit Jahrhunderten. Aktuelles
       Beispiel: die Flüchtlingsdebatte, in der Menschen vom Balkan, zum
       überwiegenden Teil Roma, abwertend als „Wirtschaftsflüchtlinge“ tituliert
       werden, die man guten Gewissens abschieben darf.
       
       Die Wirklichkeit ist natürlich komplexer. Die europäischen Rom-Völker sind
       extrem heterogen, so auch in Deutschland: Es gibt deutsche Sinti, deren
       Vorfahren seit 600 Jahren hier leben, es gibt deutsche Roma, die im 19. und
       frühen 20. Jahrhundert einwanderten. Es gibt die Roma aus Jugoslawien, die
       als Gastarbeiter in den 60er, 70er Jahren kamen, die Flüchtlinge aus den
       Balkan-Kriegen der 90er Jahre, es gibt Einwanderer aus den EU-Ländern
       Rumänien und Bulgarien. Und es gibt Roma, die heute aus Balkan-Staaten
       fliehen.
       
       Wie viele Sinti und Roma in Berlin leben, ist unbekannt – die Zugehörigkeit
       zu ethnischen Minderheiten wird in Deutschland nach den Erfahrungen des
       Nationalsozialismus nicht mehr erhoben. Was man näherungsweise sagen kann:
       Bundesweit wird die Zahl der Sinti und Roma mit deutscher
       Staatsangehörigkeit auf 70.000 geschätzt. Die Senatsverwaltung für
       Integration vermutet, dass ein großer Teil der rund 35.000 Bulgaren und
       Rumänen in der Stadt Roma sind, sowie ein kleiner Teil der etwa 53.000
       Polen. Bei den ehemaligen jugoslawischen Gastarbeitern, die heute teilweise
       deutsche Pässe haben, weiß man noch weniger. Sie wurden großteils nie als
       Roma wahrgenommen, weil sie etwas taten, das Sinti und Roma bis heute
       praktizieren: sich aus Angst vor Diskriminierung nicht zu erkennen geben.
       
       Was uns zu der Frage bringt: Woran erkennt man einen Sinto oder eine
       Romnja? Antwort: Wenn die üblichen Attribute (Goldzahn, Rock, Akkordeon)
       fehlen, überhaupt nicht. Sinti und Roma sind dick oder dünn, dumm oder
       klug, gut gekleidet oder schlecht – individuell verschieden. „Die“ Roma
       gibt es genauso wenig wie es „die“ Roma-Kunst gibt. Die einen malen
       abstrakt, andere gegenständlich, die einen bunt, die andern monochrom,
       manches Werk ist „gut“, manches „schlecht“ – das hängt vom Künstler ab. Wo
       also ist, bitte schön, das Problem, das „wir“ - die Angehörigen der
       Mehrheitsgesellschaft – mit den Roma haben?
       
       Das Problem ist, wenn nicht das Individuum gesehen wird, sondern die
       Gruppe. Diskriminierungen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit erfahren
       Sinti und Roma täglich überall in Europa. Auch in Berlin werden Angehörige
       der Minderheit benachteiligt, schräg angeschaut, angefeindet, gemobbt. Dazu
       kommt – vor allem in linken Kreisen – eine Art Positiv-Diskriminierung nach
       dem Motto: Roma sind alle so schön musikalisch!
       
       Manche machen tatsächlich Musik! Die Frage, was Roma-Sein jenseits der
       Klischees bedeutet, beschäftigt heute nicht wenige Angehörige der
       Minderheit auch in Berlin, Künstler, Schauspieler, Filmemacher. Sie gründen
       Theater, drehen Filme, sie spielen mit den Fremd- und Eigenbildern von
       „Roma“. Sie machen Kunst. Kurz: Sie arbeiten an ihrer eigenen Erzählung
       davon, wer sie sind.
       
       Mehr über Kunst und Kultur von Berliner Roma erfahren Sie in der
       Wochenend-Ausgabe der gedruckten taz - erhältlich im Abo oder am Kiosk.
       
       30 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Memarnia
       
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