# taz.de -- Aufmüpfige SPD in Bautzen: Neue kleine Ostpolitik
       
       > Unterstützung der Syrienpolitik der Kanzlerin und Juniordasein in der
       > Koalition: Die Parteilinie kommt nicht bei allen in der SPD gut an.
       
 (IMG) Bild: Gemeinsam gegen die CDU: Der SPD-Ortschef Roland Fleischer (l.) und der Oberbürgermeister Alexander Ahrens.
       
       Bautzen taz | Der vergoldete Schattenstab steckt nutzlos im Mauerwerk des
       Rathauses. Er wirft keinen Strich auf die Sonnenuhr, der Himmel über
       Bautzen ist verhangen, ein kalter Wind fegt über den Platz. Den
       Mantelkragen hochgeschlagen, betritt Roland Fleischer das kleine Café in
       der Korngasse. Vor vielen Jahren kam er aus Freiburg hierher, an das raue
       Klima hat er sich gewöhnt. „Wenn der Wind nicht weiß wohin, dann weht er
       über Budissin“, deklamiert er und lacht. Fast schon ein Bautzener, nur sein
       Zungenschlag erinnert an den Schwaben. Budissin – so hieß die sächsische
       Stadt bis vor 150 Jahren offiziell.
       
       Mit seinem silbrigen, zurückgekämmten Haar und dem geraden, forschenden
       Blick scheint Roland Fleischer einem alten Agentenfilm entsprungen. Aber er
       ist kein Wiedergänger von Cary Grant, sondern pensionierter Polizeibeamter,
       und die Affäre, die ihn umtreibt, heißt SPD. Und das seit Jahren.
       
       Wann genau er in die Partei eingetreten ist, weiß der 62-Jährige nicht
       mehr. „Ende der achtziger Jahre“, vermutet er. Fleischer ist der
       Vorsitzende des SPD-Ortsvereins. Mag der eisige Wind vor der Tür aus Böhmen
       wehen, politisch kommen die Böen derzeit aus Berlin.
       
       „Ich war für den Einsatz im Kosovo“, macht Fleischer gleich zu Beginn klar.
       Denke keiner, dass er ein radikaler Pazifist wäre. Im März 1999 zog die
       Bundeswehr erstmals in den Krieg. Ihre Tornados trugen keine
       hochauflösenden Kameras unter den Tragflächen wie jetzt im Nahen Osten,
       sondern Bomben. Deutsche Soldaten griffen serbische Stellungen an,
       gemeinsam mit Nato-Verbündeten, doch ohne UN-Mandat. Ein umstrittener
       Krieg. Aber Fleischer hat Kanzler Schröder unterstützt. Warum? „Es gab
       ethnische Säuberungen. Und das hat dann aufgehört.“
       
       ## Nicht ohne die UNO
       
       Aber jetzt? Wie kann man Soldaten in den Krieg schicken, wenn es keinen
       glaubwürdigen Plan gibt? „Und Deutschland zieht in den Krieg!“ Und die SPD
       macht mit. Fleischer schüttelt den Kopf. „Bei all dem Schmerzlichen, vor
       allem was in Frankreich passiert ist“, er stockt, „wir sehen keinen Sinn
       darin.“
       
       Ende November haben sich daher die Bautzener SPD-Genossen versammelt und
       einen offenen Brief an Parteichef Sigmar Gabriel und den
       Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann aufgesetzt. Der Terroranschlag in
       Paris lag erst zwei Wochen zurück. Natürlich müsse man den IS bekämpfen,
       bekräftigten sie. „Die Idee, den Terrorismus mit Bombardierungen und
       Kriegen auszuschalten, ist jedoch seit 14 Jahren ununterbrochen
       gescheitert.“
       
       Im Gegenteil – die Terrorgefahr sei 2003 durch den Irakkrieg erheblich
       gestiegen, der IS erst entstanden. „Deshalb lehnen wir eine Beteiligung
       unseres Landes […] ohne ein Mandat der UNO ab.“ Zudem, so beschieden sie
       Wirtschaftsminister Gabriel, sollten Waffengeschäfte konsequent
       eingeschränkt werden. „Wir erwarten von der SPD-Bundestagsfraktion, dass
       sie sich in diesem Sinne auch […] gegenüber den Koalitionspartnern
       eindeutig positioniert.“
       
       Apropos 2003, das Jahr ragt wie ein Mahnmal aus der jüngsten Geschichte.
       George Bush junior wollte in den Irak ziehen und Gerhard Schröder stand auf
       dem Marktplatz von Goslar und rief: Nein! „Das war super!“ Roland Fleischer
       ist für einen Augenblick beseelt.
       
       „Ich war gegen die Große Koalition“, bekräftigt Fleischer. Bei der
       SPD-Mitgliederbefragung 2013 hat er mit Nein votiert. Aber der Mindestlohn
       – das Herzensanliegen der SPD? Und die Rente mit 63? „Das verblasst.“
       Fleischer winkt ab. „Wenn man sich so durchlavieren muss – das ist uns nie
       gedankt worden. So verschwinden wir in der Belanglosigkeit.“ Und jetzt auch
       noch Krieg.
       
       ## Der parteilose Bürgermeister
       
       „Da ist doch Alexander?!“ Fleischer ist aufgesprungen und beobachtet einen
       hochaufgeschossenen Mann, der den Hauptmarkt quert. Schon ist Roland
       Fleischer hinaus. Augenblicke später kommt er mit dem Herrn zurück.
       „Alexander Ahrens, seit August neuer Oberbürgermeister in Bautzen!“
       Fleischers Augen strahlen. In der Bautzener Diaspora hat die SPD gezeigt,
       wie man die CDU vom Thron stößt, den sie 25 Jahre eingenommen hat. Ein
       Beispiel für Sachsen und für den Bund? Ein Ausweg aus den großen
       Koalitionen in Dresden und in Berlin? Für Roland Fleischer keine Frage.
       
       Ahrens, 50 Jahre alt, drahtiger Typ, angegrauter Bart, verströmt etwas
       Weltläufiges, ja Cooles. So einer kommt nicht aus dem parteieigenen
       Treibhaus, so einer ist wild gewachsen. Es ist, als hätten die Bautzener
       einen Freak gewählt. „Westberliner, Rechtsanwalt, Immobilienbesitz!“
       Flapsig zählt Ahrens seine Defekte auf. Hinzu kommt, hier im Hinterland von
       Pegida, ein außergewöhnliches Bekenntnis. „Mit mir wird es keine Politik
       gegen Flüchtlinge geben, habe ich angekündigt.“
       
       Bautzen gilt als rechts. Vor einem Jahr haben Neonazis gegen eine
       Flüchtlingsunterkunft demonstriert. Und bei der Landtagswahl 2014 stimmten
       mehr als 25 Prozent für AfD und NPD. Trotzdem ist Ahrens mit fast 13
       Prozent Vorsprung vor dem CDU-Kontrahenten ins Rathaus eingezogen. Und mit
       kräftiger Unterstützung des SPD-Ortsvereins. Es muss wie ein „Yes, we
       can!“-Moment gewesen sein. Und die SPD hat getanzt – obwohl Ahrens gar kein
       SPD-Parteibuch hat. Er war der parteilose Kandidat von Sozialdemokraten,
       Linkspartei und einem Bautzener Bürgerbündnis.
       
       Für Roland Fleischer kein Makel, im Gegenteil. Ein breites linkes Bündnis –
       das ist die Zukunft. In Thüringen, wo Bodo Ramelow eine Koalition von
       Linkspartei, SPD und Grünen anführt, ist sie schon angebrochen. Nachher
       spazieren die beiden über krumme Gassen. Ahrens die Hände verschränkt auf
       dem Rücken, Fleischer hält sie im Mantel vergraben – ein Bild wie ein
       Statement: zwei Macher im Gespräch, eine neue kleine Ostpolitik hinter den
       Bergen in der Oberlausitz. Es geht um Parkplätze, autofreie Straßen, Cafés.
       
       ## Tillich soll verärgert sein
       
       Solidarität, Freiheit, Gerechtigkeit – so hat Fleischer sein Credo
       beschrieben, das jetzt in Kommunalpolitik überführt werden soll. Oben auf
       dem First von St. Petri hocken stumm die Krähen, als wären sie Spione aus
       Dresden. Es heißt, Ministerpräsident Tillich von der CDU soll überaus
       verärgert gewesen sein, als er vom Sieg der Linken in Bautzen erfuhr.
       
       Draußen vor dem Schülertor gilt noch die alte Zeit. „Wir warten auf
       Antwort“, sagt Hubertus Schwerk. Für einen Moment wird es still im
       Versammlungsraum der SPD. Ein paar Genossen sind am Abend gekommen. Eine
       mächtige Thermoskanne ragt wie ein Leuchtturm über den Tisch. Doppelkekse
       liegen als Stärkung bereit. Nein, Sigmar Gabriel und Thomas Oppermann haben
       sich nicht gemeldet. Enttäuscht? „Ich bin zu lange dabei“, wiegelt Schwerk
       ab. Der Architekt, ein Mann von bald achtzig Jahren mit großer Brille, ist
       seit 46 Jahren SPD-Genosse.
       
       „Ich hätte es erwartet“, macht Roland Fleischer klar. Auch ein kleiner
       Ortsverein ist schließlich „ein Teil der Stimme des Volkes“, gibt er zu
       bedenken. „Vielleicht fehlt uns ja der Hintergrund für die Entscheidung“,
       gräbt Fleischer nach Erklärung. „Für die SPD war es immer wichtig, eine
       klare Haltung einzunehmen“, schaltet sich Schwerk ein. Unehrlich und
       wankelmütig sei die SPD geworden. Die Quittung: „Jetzt sind wir bei 25
       Prozent.“ Fleischer fährt herum. „23 Prozent!“ Der Ortsvorsitzende kann
       gnadenlos sein.
       
       Schwerk weist mit der Rechten zur Wand. „Der da, der versucht auf dem
       Verhandlungsweg etwas zu erreichen!“ „Wir für Frank“ ruft es hoffnungsfroh
       von dem Plakat, darüber ein strahlendes Gesicht des Kanzlerkandidaten von
       2009 und eine Erinnerung: „Für den OV Bautzen beste Grüße, Frank-Walter
       Steinmeier“. Steinmeier? Bloß keine Heiligen erschaffen, ätzt Fleischer.
       „Wir stecken überall mit drin – Waffengeschäfte, freundliche Besuche bei
       den Saudis. Das ist die Unehrlichkeit!“
       
       ## Parteimitglied Nummer 46
       
       Hubertus Schwerk seufzt. 1970 sei er wegen Willy Brandt in die SPD
       eingetreten. Links neben Steinmeier hängt ein Brandt-Porträt wie eine
       Ikone. Die SPD war damals Friedenspartei, ihr Vorsitzender 1971 mit dem
       Friedensnobelpreis geehrt. Wandel durch Annäherung hieß das Versprechen,
       nicht Wandel durch Bomben. Ein „Berufsprotestierer“ sei er damals gewesen.
       
       Immerhin, 28 Bundestagsabgeordnete der SPD haben sich gegen den Einsatz
       ausgesprochen, darunter der SPD-Mann Thomas Jurk aus der Oberlausitz. Die
       Mehrheit aber hat zugestimmt. Wohin das führt, hat Roland Fleischer heute
       der Sächsischen Zeitung entnommen. Die SPD zählt in Sachsen 4.400
       Mitglieder, meldet das Blatt. Die Bereitschaft, einer Partei beizutreten,
       sinke. Auch weil sich die Positionen der großen Parteien immer stärker
       ähneln, analysiert ein Politologe. Aktuelle Ausnahmen: Grüne und AfD.
       
       „Es gibt jedes Jahr einen Grund, aus der SPD auszutreten.“ Es ist spät, als
       der pensionierte Lehrer Günther Hack das Wort ergreift. Seit 50 Jahren ist
       er in der Partei, drei SPD-Kanzler, viele Oppositionsjahre und x
       Parteivorsitzende hat er erlebt. Wenn du mit 50 Prozent des Parteiprogramms
       einverstanden bist, dann kannst du eintreten, habe ihm ein kluger Kopf mal
       gesteckt. Es klingt nachsichtig – das Happy End hält Hack trotzdem noch
       offen. „Wenn doch was anderes, dann nur die Grünen!“ Er lacht.
       
       Die Stimmung ist gelöst. Ein guter Moment für eine gute Nachricht. „Wir
       haben ein neues Mitglied!“, verkündet Kassierer Hubertus Schwerk. Raunen.
       Online habe sich der Neue gemeldet. Vielleicht hat ihn der offene Brief des
       Ortsvereins überzeugt? Die Freude ist jedenfalls groß. Der Mann wird
       Parteimitglied Nummer 46.
       
       29 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Gerlach
       
       ## TAGS
       
 (DIR) SPD
 (DIR) Bundeswehreinsatz
 (DIR) Sachsen
 (DIR) Bautzen
 (DIR) Ursula von der Leyen
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) Bundestag
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Politik in Bautzen: Der Seiteneinsteiger
       
       Alexander Ahrens eroberte im August 2015 das Rathaus. Ein Selbstläufer war
       das nicht: Er ist parteilos, aus Westberlin und Immobilienbesitzer.
       
 (DIR) Aufrüstung der Bundeswehr: Geldsegen für die Truppe
       
       Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will 130 Milliarden für die
       Ausrüstung ausgeben – von Panzern bis zu Helmen.
       
 (DIR) SPD-Mitgliedervotum zu Syrien-Einsatz: Abstimmen ohne Einfluss
       
       Die SPD-Fraktion betrachtet die Mitgliederbefragung zu Syrien als nicht
       bindend. Geschäftsführerin Lambrecht wertet das Votum als „Stimmungsbild“.
       
 (DIR) Deutschland und der Krieg in Syrien: Die Mitschuld des Westens
       
       Die Mehrheit der Deutschen glaubt nicht an eine militärische Lösung. Auch
       der Zentralrat der Muslime ist gegen den Bundeswehreinsatz in Syrien.
       
 (DIR) Syrieneinsatz beschlossen: Schlachtfeld Bundestag
       
       Mit den Stimmen von SPD und Union hat der Bundestag den Bundeswehreinsatz
       in Syrien beschlossen. Zuvor gab es heftige Kritik aus der Opposition.