# taz.de -- Wissenschaftsplagiate in Südkorea: Die Copy-and-Paste-Republik
       
       > Mehr als 200 Professoren sollen bereits publizierte Bücher ein zweites
       > Mal herausgegeben haben. Ihnen droht die Entlassung.
       
 (IMG) Bild: Die Konkurrenzdruck ist groß an den Universitäten.
       
       Wer nicht mit der koreanischen Halbinsel vertraut ist, hätte die Nachricht
       von letzter Woche für eine bitterlustige Satire halten können: Die
       südkoreanische Staatsanwaltschaft beschuldigte mehr als zweihundert
       Professoren an fünfzig Universitäten eines besonders dreisten Plagiats. Sie
       sollen bereits publizierte Bücher unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht
       – und lediglich die Umschlagtitel ausgewechselt haben.
       
       Dies sei eine „gängige Praxis“, an der sich die Verlagshäuser gerne
       beteiligten. Schließlich könnten sie auf diese Weise verstaubte Bücher als
       brandneue Werke anpreisen – und das ganz ohne die Druckerpresse anwerfen zu
       müssen. Die Verkäufe waren ihnen sicher, denn die meisten Professoren
       verpflichten ihre Studenten zur Lektüre der eigenen Lehrwerke. Diese seit
       Jahrzehnten praktizierte systematische Fälschung sei nun erstmals
       aufgeflogen, erklärte die Staatsanwaltschaft.
       
       Diese Behauptung ist – ehrlich gesagt – ziemlich überraschend. Ein
       Rückblick auf die letzten Jahre entlarvt Südkorea zweifelsfrei als
       Copy-and-Paste-Republik.
       
       Erst im Juni wurde öffentlich, dass die wohl bekannteste lebende Autorin
       des Landes, Shin Kyung-sook, ganze Passagen einer ihrer frühen
       Kurzgeschichten vom japanischen Autor Yukio Mishima übernommen hatte – und
       zwar Wort für Wort.
       
       Vor zehn Jahren sorgte der südkoreanische Stammzellenforscher Hwang Woo-suk
       für den wohl größten Fälschungsskandal in der jüngeren
       Wissenschaftsgeschichte. Hwang behauptete fälschlicherweise im renommierten
       Fachjournal Science, erstmals menschliche Stammzellen aus einem geklonten
       Embryo gewonnen zu haben. Zynisch könnte man hinzufügen: Auch das
       Geschäftsmodell von Samsung, dem größten Konglomerat des Landes, hat
       jahrzehntelang auf dem Abkupfern ausländischer Produkte gefußt.
       
       Von vielen Experten wird die südkoreanische Plagiatsepidemie vor allem auch
       als Folge der Asienkrise Ende der Neunziger gesehen, die eine
       traumatisierte Bevölkerung in einem erbitterten Konkurrenzkampf um rar
       gewordene Arbeitsplätze zurückgelassen hat. Seitdem greifen immer mehr
       Südkoreaner zu unlauteren Mitteln. Und zwar quer durch alle
       gesellschaftlichen Schichten.
       
       ## Selbst Mönche plagiieren
       
       In den letzten Jahren hat nicht nur der wohl populärste buddhistische Mönch
       des Landes seine Abschlussarbeit gefälscht, sondern auch ein
       Taekwondo-Olympiasieger, ein Nachrichtensprecher und selbst ein ehemaliger
       Bildungsminister. Erst vor zwei Jahren haben amerikanische Universitäten
       ihr Bewerbungsverfahren das erste Mal in ihrer Geschichte für ein gesamtes
       Land gesperrt – nachdem mehrere Testfragen an südkoreanischen
       Nachhilfeinstituten zirkuliert sind.
       
       Oft erstaunt die plumpe Dreistigkeit der Fälschungen, selbst wenn diese im
       Internetzeitalter begangen worden sind: 2012 hat etwa ein ehemaliger
       Abgeordneter die Seminararbeit eines Bachelorstudenten von einem Uni-Portal
       heruntergeladen und als seine Dissertation ausgegeben. Die
       englischsprachige Tageszeitung Korea Times kommentierte damals, dass
       Plagiate in Südkorea bis dato eben nicht als Verbrechen angesehen worden
       seien. Solange man sie nur clever genug verberge, seien Plagiate in
       Ordnung.
       
       „Die Studenten machen nur das, was sie von ihren Professoren vermittelt
       bekommen“, sagt ein Germanistikprofessor, der sowohl in Südkorea studiert
       als auch seit fast zehn Jahren unterrichtet hat: „Plagiarismus ist hier an
       der Tagesordnung. Als ich Student war, wurde derjenige ausgelacht, der es
       nicht tat.“
       
       Im Ausland wird das koreanische Bildungssystem wegen seiner vorbildlichen
       Resultate gelobt, und tatsächlich führen die Schüler und Studenten des
       Landes die meisten internationalen Rankings in naturwissenschaftlichen
       Disziplinen an. Dafür lernen sie länger als Gleichaltrige in anderen
       Ländern, die meisten Schulen verhängen verpflichtende Anwesenheitszeiten
       bis zehn Uhr abends.
       
       Der südkoreanische Bildungshunger ist extrem, schließlich gilt der
       Abschluss an einer namhaften Universität vor allem als Möglichkeit zum
       sozialen Aufstieg. Noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war die
       konfuzianische Gesellschaft von einem strikten Kastensystem dominiert.
       
       ## Kreativität ist nicht gefragt
       
       Die Obsession, akademische Titel zu erlangen, scheint dem Land jedoch zum
       Verhängnis zu werden, vor allem weil das Bildungssystem Auswendiglernen
       über kreatives Denken stellt. Genau diese Hinwendung zur „kreativen
       Wirtschaft“ proklamiert jedoch die derzeit amtierende Präsidentin Park
       Geun-hye. Sie weiß, dass Südkorea mit der Arbeitswut seiner Samsung-Manager
       und den starren Unternehmenshierarchien langfristig nicht mehr
       konkurrenzfähig sein wird.
       
       Denn die Kreativität, die heute fehlt, galt in Südkorea noch nie als
       erstrebenswert. In den früheren Dorfschulen bestand die Aufgabe
       koreanischer Schüler vor allem darin, die Wörter ihres Lehrers zu kopieren.
       Eigene, kritische Gedanken galten als Tabu. Ein zweifelnder Aristoteles
       lässt sich in der koreanischen Philosophie ebenso wenig finden wie eine
       Galileo-Figur.
       
       Das mangelnde Problembewusstsein für die grassierenden Plagiate spiegelt
       diesen Geist wider. Erst seit ein paar Jahren werden Zitierregeln in den
       Seminaren überhaupt ernst genommen, aufgeflogene Fälschungen werden
       strikter bestraft.
       
       Das wird nun schwerwiegende Konsequenzen für die zweihundert angeklagten
       und mehrheitlich geständigen Professoren haben: In diesem Semester wird es
       wohl zur größten Massenentlassung in der Geschichte der koreanischen
       Universitäten kommen.
       
       11 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Kretschmer
       
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