# taz.de -- Charité: Abschreiben bis der Doktor kommt
       
       > Mitarbeiter einer Website entlarven viele Doktorarbeiten von Ärzten als
       > Plagiate. Berlins Uniklinik reagiert positiv auf die Kontrolle.
       
 (IMG) Bild: Ein echter oder ein Türschild-Doktor? Oder bloß ein Arzt?
       
       Die Diagnose ist eindeutig: Plagiatsfunde auf allen Seiten der
       Doktorarbeit. Auf einem Viertel der Seiten ist sogar weit über die Hälfte
       des Textes eine Kopie einer nicht genannten Quelle. Bei dem Text handelt es
       sich um die medizinische Doktorarbeit von Alexander M., der 2009 an der
       Universitätsklinik Charité promoviert hat. M. schrieb dafür auf 24 Seiten
       nahezu Wort für Wort aus anderen Arbeiten ab, darunter sogar aus
       Zusammenfassungen seines Doktorvaters.
       
       Mitarbeiter von VroniPlag Wiki, einer Plattform, die wissenschaftliche
       Arbeiten auf Plagiate untersucht, haben M.s Betrug vor einigen Tagen
       aufgedeckt. Dabei ist M. kein Einzelfall: An der gesamten Charité konnten
       auf VroniPlag Wiki in den vergangenen Monaten 20 Promotionen ermittelt
       werden, die aus Plagiaten bestehen. Drei davon auf allen Seiten, so wie im
       Fall von M., der mittlerweile niedergelassener Arzt ist.
       
       Debora Weber-Wulff, Informatikprofessorin an der HTW Berlin, arbeitet seit
       mehreren Jahren bei VroniPlag Wiki mit. Sie interessiert sich vor allem
       dafür, inwiefern Doktoranden aus anderen Doktorarbeiten abschreiben, die
       kostenlos im Netz zugänglich sind. Dafür hat VroniPlag Wiki 50.000
       Promotionen heruntergeladen, die öffentlich zugänglich sind. Eigentlich ist
       Weber-Wulff eine Verfechterin des sogenannten open access. Sie habe
       Skeptikern nie glauben wollen, die darauf verwiesen, dass plagiieren
       dadurch einfacher werde. Die Ergebnisse auf VroniPlag Wiki in den
       vergangenen Monaten seien allerdings erschreckend: Nicht nur an der
       Charité, sondern auch an der Uni Münster wurden zahlreiche Promotionen
       gefunden, die zu einem großen Teil aus anderen Arbeiten abgeschrieben
       wurden.
       
       „Medizinstudenten wollen tolle Ärzte sein und sich nicht lange mit
       Forschung aufhalten. Das hat etwas mit Eitelkeit zu tun“, sagt Weber-Wulff.
       „Türschildpromotion“ nennt sie diese Fälle. Zwar muss nicht jeder Arzt
       einen Doktortitel haben, aber es ist die gängige Variante. Acht von zehn
       Medizinstudenten promovieren, lassen sich aber oft nicht genug Zeit dafür:
       Sie quetschen die Promotion irgendwo zwischen die letzten Prüfungen, das
       Praktische Jahr und die Facharztausbildung. Eine eigenständige
       Forschungsarbeit, wie bei Doktorarbeiten in anderen Fächern, kommt dabei
       selten heraus, so der Wissenschaftsrat in einem Positionspapier 2011.
       
       Die Charité hat auf die aufgedeckten Plagiate von VroniPlag-Wiki positiv
       reagiert. Die Dekanin schrieb sogar einen Brief an Debora Weber-Wulff,
       erzählt diese, um sich für die Arbeit zu bedanken: Schließlich würde
       dadurch gute Wissenschaft gefördert. Sie habe Weber-Wulff aber auch
       gebeten, eine Anzahl an plagiatsfreien Arbeiten zu nennen, um sich vor
       Generalverdacht schützen zu können.
       
       Volker Bähr von der Wissenschaftsstelle an der Charité bestätigt, dass
       Forschung oft nicht die erste Motivation der Medizinstudenten für ihre
       Promotion sei. „Die Charité schätzt die Arbeit von VroniPlag Wiki“, sagt
       Bähr – auch, wenn diese für ihn nun viel Mehrarbeit bedeutet. Er muss alle
       von VroniPlag Wiki für auffällig befundenen Arbeiten prüfen, weil er davon
       ausgehen muss, dass sich die Kandidaten rechtlich wehren, wenn ihnen der
       Doktortitel entzogen wird. Das sei nämlich in Fällen wie dem von Alexander
       M. die Konsequenz. Als Arzt praktizieren darf er weiterhin, nur auf seinem
       Türschild und seinem Personalausweis muss der Titel Dr. med verschwinden.
       
       „Betrug aufdecken ist eine Sache. Noch wichtiger ist es aber, dem
       vorzubeugen“, findet Bähr dann auch. Jeder Student muss jetzt Kurse übers
       wissenschaftliche Arbeiten ablegen. Außerdem versuche man auf die Betreuer
       einzuwirken. Wenn ein Promovend seitenlang von seinem Doktorvater
       abschreibt und der bemerkt oder erwähnt es nicht, dann sei das ebenso
       fragwürdig, wie das Plagiieren selbst. Auf die Professoren einzuwirken, ist
       aber kompliziert, sagt Bähr. Sie genießen viel Autorität. Man habe
       versucht, zumindest zu regulieren, dass Promovend und Betreuer sich künftig
       öfter treffen müssen.
       
       Weber-Wulff glaubt nicht, dass die Charité „die einzigen Bösen sind“.
       Plagiieren sei ein strukturelles Problem. Der Verband der Internisten
       fordert nun, an diesem Zustand etwas zu verändern. Ähnlich wie im
       angelsächsischen Raum soll jeder approbierte Arzt einen Doktortitel
       bekommen, sich also Herr oder Frau Doktor rufen lassen dürfen. Aber nur
       jene, die eigenständig wissenschaftlich forschen, sollen den Titel „Ph. D“
       erhalten, der dann auch erst erlaube, an einer Universität zu lehren.
       
       23 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Bordel
       
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