# taz.de -- Pflege-Missstände in Bremen: Altenheim geht in die Offensive
       
       > Nach einem Eilantrag gegen die Schließung der Bremer „Seniorenresidenz
       > Kirchhuchting“ tritt das Unternehmen die Flucht nach vorn an.
       
 (IMG) Bild: Die „Residenz Kirchhuchting“ ist seit zwei Jahren im Visier der Heimaufsicht
       
       BREMEN taz | Die Betreiber der „Seniorenresidenz Kirchhuchting“ versuchen,
       ihr Altenheim zu retten. Nach einem Eilantrag, der die von der
       [1][Heimaufsicht] für vergangenen Donnerstag verfügte Schließung der
       Einrichtung erst einmal verhindern konnte, geht die Unternehmensgruppe
       Mediko, zu der die „Residenz“ gehört, in die Offensive: Viele Mängel seien
       behoben, von „gefährlicher Pflege“ könne keine Rede sein, die
       Fachkräftequote sei sogar übererfüllt – und man sei sich sicher, dass das
       Verwaltungsgericht in dieser Woche zugunsten der Mediko entscheiden werde.
       
       ## Schließung ist „Ultima Ratio“
       
       Allerdings wird die Verfügung, nach der das Heim aufgrund schwerer
       Pflegemängel geschlossen werden muss (taz berichtete), in dieser Woche
       keineswegs für ungültig erklärt: Das Verwaltungsgericht entscheidet laut
       Sozialbehörde lediglich darüber, ob die von der Mediko eingereichte Klage
       gegen die Verfügung eine aufschiebende Wirkung hat, ob das Heim also
       wenigstens so lange geöffnet bleiben darf, bis das entsprechende
       Gerichtsverfahren beendet ist. Und hier ist das Bremer Heimaufsichtsgesetz
       eigentlich eindeutig: Widersprüche und Anfechtungsklagen haben danach keine
       aufschiebende Wirkung.
       
       „Natürlich kann es passieren, dass das Gericht einen Ermessungsspielraum
       nutzt, der ja immer vorhanden ist“, sagt Bernd Schneider, Sprecher der
       Sozialbehörde. Aber die Schließung eines Pflegeheims sei stets „Ultima
       Ratio“, die gut begründet und selten angewendet werde: „Das Ergebnis der
       Heimaufsicht ist schließlich das Resultat aus zwei Jahren Kontrolle.“ Die
       hat offensichtlich nicht viel bewirkt: In der Einrichtung, erklärte die
       Behörde am vergangenen Montag, sei nach Kontrollen in mehreren Fällen von
       einer „schwerwiegenden Gefahr für Leib und Leben“ für die BewohnerInnen
       auszugehen.
       
       ## Viele neue Mitarbeiter
       
       Das sieht man bei der Mediko-Gruppe anders: Man habe „bereits“ neun von
       neunzehn Mängeln beseitigen können, sagt Christian Cohausz, der seit dem
       ersten November Mitglied der Mediko-Geschäftsführung ist. Die restlichen
       Defizite, das garantiere er, würden im Laufe der nächsten drei bis sechs
       Monate ebenfalls beseitigt. Zu denen, erläutert er, gehörten Mängel in den
       Dokumentationen der Medikamentenvergabe und der Ess- und Trinkmengen.
       
       Ursachen hierfür seien vor allem „viele neue Mitarbeiter, die noch geschult
       werden müssen“. Dass Lücken in der Dokumentation fatale Folgen haben können
       wie Fehldosierungen von Medikamenten oder die Dehydrierung von
       HeimbewohnerInnen, ist ihm bewusst: „Aber von gefährlicher Pflege kann
       trotzdem nicht die Rede sein.“
       
       Warum das in der „Residenz“ seit Langem bestehende Problem mit der
       Dokumentation bis heute nicht abgestellt wurde, vermag Cohausz nicht zu
       beantworten: „Ich bin ja erst seit Kurzem hier, kann also wenig darüber
       sagen, was hier in der Vergangenheit schiefgelaufen ist.“
       
       Auch die immer wieder unterschrittene Fachkräftequote könne er nicht
       begründen: „Ich nehme aber an, man hat nicht darauf geachtet, die Anzahl
       des Personals der jeweils aktuellen Belegungssituation anzupassen.“ Aber
       auch das werde in Zukunft anders: „Ich möchte, dass die Residenz
       Kirchhuchting die beste Einrichtung in Bremen wird.“
       
       ## Eidesstattliche Erklärung
       
       Cohausz legt als Beleg für die positive Entwicklung der Heimstrukturen die
       eidesstattliche Erklärung eines seit Mitte September beauftragten
       Qualitätsmanagers vor, nach der bis zum 22. November „Missstände bisher
       entschlossen und direkt“ beseitigt worden seien, sowie ein positives
       Begehungsprotokoll des Gesundheitsamtes vom ersten Oktober.
       
       Die Fachkräftequote, sagt er, liege momentan mit „über 80 Prozent“ weit
       über der vorgeschriebenen 50-Prozent-Quote und solle auch in Zukunft so
       hoch bleiben. Bereits über das gesamte Jahr 2015 habe man die
       50-Prozent-Quote halten können.
       
       Hier redet Cohausz freilich von einem Durchschnittswert, der vom momentan
       hohen Personalstand profitiert, denn laut seines neuen Pressesprechers
       Nicolas Scheidtweiler lag die Quote mindestens im Juli 2015 bei nur 43,9
       Prozent. Wie sich die Fachkräftezahl in den vergangenen zwei Jahren
       insgesamt entwickelt hat, ist dem handschriftlichen Zettel, den er der taz
       vorlegt, kaum zu entnehmen: Für die Jahre 2013 und 2014 sind dort jeweils
       nur die Quoten von Januar und Juli vermerkt, für das Jahr 2015 kommt noch
       der Oktober hinzu.
       
       Offene Fragen beklagt auch Michael Horn, der für die Linkspartei im Beirat
       Huchting sitzt. Er hat gemeinsam mit weiteren Beiratsmitgliedern sowie der
       CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Sigrid Grönert die „Residenz“ besucht: „Herr
       Cohausz und sein Sprecher haben sich um Transparenz bemüht, Fragen
       beantwortet und informiert, aber sie hätten jemanden dazu holen müssen, der
       schon länger in der Einrichtung arbeitet“, sagt Horn. Denn über die
       Zustände und die Entwicklung in den letzten zwei Jahren hätten beide wenig
       sagen können.
       
       ## In Huchting verwurzelt
       
       Ihm liege es am Herzen, dass die HeimbewohnerInnen, die noch in der
       Residenz leben und von denen viele gegen die Schließung der Einrichtung
       sind, im Stadtteil blieben, sagt Horn: „Die sind mittlerweile hier
       verwurzelt – einen alten Baum pflanzt man nicht mehr um.“ Man könne ja
       statt einer Schließung auch über einen Trägerwechsel nachdenken. Horn kann
       nicht verstehen, wieso es zwei Jahre gedauert hat, bis die Heimaufsicht
       Konsequenzen zog: „Das ist zu lange.“
       
       Das sieht auch Reinhard Leopold, Gründer der Bremer Angehörigeninitiative
       „Heim-Mitwirkung“ so. Für ihn ist das [2][bremische Heimaufsichtsgesetz]
       dafür verantwortlich: „Laut Paragraf 26 ist die Heimaufsicht nicht nur für
       die Kontrolle von Pflegeeinrichtungen, sondern auch für die Beratung der
       Heime bei Mängeln zuständig.“ Für ihn ist in Kirchhuchting „zwei lange
       Jahre lang beraten worden!“ Eine Überwachungsbehörde dürfe niemals
       gleichzeitig eine Beratungsfunktion haben, sagt Leopold: „Im kommenden Jahr
       muss das Gesetz novelliert werden – diese Gelegenheit sollte genutzt
       werden, Paragraf 26 zu streichen.“
       
       ## Hausverbot in der Residenz
       
       Andere gewinnorientierte Unternehmen bezahlten außerdem viel Geld für
       Unternehmensberatungen, „aber die Beratung eines gewinnorientierten
       Altenheim-Unternehmens zahlt der Steuerzahler“. Leopold hält die Offensive
       der Mediko für unglaubwürdig: „Die reagieren immer nur dann, wenn’s brennt
       und kurze Zeit später ist alles wieder beim Alten.“
       
       Das befürchtet auch Inga Rohlf (Name geändert), die als Pflegerin in der
       Residenz arbeitet. Das neu eingerichtete Beschwerdemanagement käme viel zu
       spät: „Immer wieder haben wir versucht, auf die Mängel in diesem Hause
       aufmerksam zu machen und nichts ist passiert – jetzt ist das Vertrauen
       nicht mehr da.“ Ehemalige Angestellte, die BewohnerInnen besuchen wollten,
       bekämen Hausverbot, seit die Einrichtung in die Öffentlichkeit geraten sei:
       „Das schafft für uns keine Atmosphäre des Vertrauens, sondern schüchtert
       ein.“
       
       ## Schlechte Bezahlung
       
       Auch die schlechte Bezahlung der Pflegehilfskräfte lasse nicht auf
       strukturelle Verbesserungen schließen: „Die bekommen hier pro Stunde einen
       Euro achtzig weniger als im benachbarten Heim an der Tegeler Plate.“ Und
       Weihnachtsgratifikationen, die es bisher jedes Jahr aufgrund besonderer
       Leistungen gegeben hätte, seien diesmal nicht vorgesehen: „Als Grund wurde
       uns gesagt, dass die neu eingestellten Pflegekräfte so viel Geld kosten
       würden, dass dafür nichts mehr übrig bleibt.“
       
       Den BewohnerInnen und deren Angehörigen sei hingegen mitgeteilt worden,
       „dass wir hier alle gemeinsam auch in diesem Jahr Weihnachten feiern
       werden“. Ja, bestätigt Cohausz, davon sei er auch fest überzeugt.
       
       29 Nov 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.soziales.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen69.c.24798.de
 (DIR) [2] http://www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/Qualitaet/Gesetze/Heimgesetz/Bremen_BremWoBeG.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schnase
       
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