# taz.de -- Kommentar 10 Jahre Angela Merkel: Ein Sandsack für Populisten
       
       > Der Stern Angela Merkels ist im Sinken begriffen. Das liegt auch daran,
       > dass sie es versäumt hat, Deutschland politische Debatten aufzuzwingen.
       
 (IMG) Bild: Stets hat sie beobachtet, abgewartet, schließlich so reagiert, wie die von ihr gefühlte Mehrheit es von ihr erwartet.
       
       Seit genau zehn Jahren ist Angela Merkel Bundeskanzlerin dieses Landes.
       Gefeiert hat sie dieses Jubiläum am Sonntag nicht. Kein Wunder – wer wie
       sie in der DDR gelebt hat, hat für den Rest seines Lebens genug von
       Personenkult und martialischem Jahrestags-Pomp. Dennoch hätte sie
       vielleicht gut daran getan, ihre Verdienste doch einmal ins Bewusstsein der
       Öffentlichkeit zu rücken. Denn Merkels Ruf als Machtpolitikerin hat
       mittlerweile tiefe Risse.
       
       Nie in all ihren Kanzlerjahren war es so wohlfeil, sie zu schmähen. Seit
       Angela Merkel Ende August „Wir schaffen das“ gesagt hat, gibt es scheinbar
       kein Halten mehr. Mal sondert eine Heidenauer Fremdenfeindin ihren Hass in
       obszönen Parolen ab. Mal profilieren sich Merkels Fraktionskollegen auf
       ihre Kosten als innenpolitische Scharfmacher.
       
       Konservative Medien weiden sich an ihrem „Merkel muss weg“-Furor. Und
       schließlich – dies als neuester Höhepunkt – [1][liest ihr Horst Seehofer
       beim CSU-Parteitag vor tausend Delegierten die Leviten].
       
       Seehofer hätte sich nicht derart schamlos auf Merkels Kosten
       [2][aufgemuskelt], trüge ihn nicht das sichere Gefühl, dass der Stern der
       Kanzlerin im Sinken begriffen ist. Es stellt sich die Frage, warum es so
       weit kommen konnte. Eine Politikerin, die bei Bundestagswahlen stets
       Traumergebnisse einfuhr, gilt plötzlich als Sandsack für Populisten.
       
       Und Menschen, die die neurotische Angst umtreibt, dass sich wegen der
       Flüchtlinge irgendetwas an ihrem Leben ändern könnte, kanalisieren ihre
       Verunsicherung in Hass auf jene Frau, die doch gerade ihnen stets alles
       Politische vom Hals gehalten hat.
       
       Möglich, dass gerade dies Merkels wunder Punkt ist. In zehn Jahren
       Kanzlerschaft hat sie es versäumt, diesem Land politische Debatten
       aufzuzwingen. Stets hat sie beobachtet, abgewartet, schließlich so
       reagiert, wie die von ihr gefühlte Mehrheit es von ihr erwartet. Erklärt
       hat sie sich selten bis nie. Solange alles einigermaßen lief, wollte es ja
       auch kaum jemand genau wissen.
       
       Jetzt, wo sich aus all den schönen Erfolgen Verantwortlichkeiten ergeben,
       ist es fast zu spät. Die sogenannte schwarze Null, die sinkende
       Arbeitslosigkeit, die europäische Vorreiterrolle und nicht zuletzt der
       Status als Exportweltmeister – auch wegen Deutschlands Außen- und
       Wirtschaftspolitik ist diese Welt ins Rutschen gekommen.
       
       Angela Merkel muss all dies kommen gesehen haben. Sie hätte die Folgen
       ihrer Politik erklären können. All das Abständige, die unangenehme
       Erkenntnis, was politisches Handeln in einem globalen Kontext auch für
       andere auf dieser Welt bedeutet, hätte sie gegenüber ihren Wählern
       ansprechen müssen. Zehn Jahre wären genug Zeit gewesen.
       
       22 Nov 2015
       
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