# taz.de -- Krawalle vor den Flüchtlingsheimen: Der Ossi will es leichthaben
       
       > Sind ausländerfeindliche Angriffe ein ost- oder ein gesamtdeutsches
       > Phänomen? Beides, sagt ein Experte.
       
 (IMG) Bild: Nicht alles schlecht im Osten: Willkommensfest in Heidenau
       
       Berlin taz | Fremdenfeindliche Übergriffe auf Asylunterkünfte sind kein
       ostdeutsches, sondern ein gesamtdeutsches Phänomen. Da sind sich zumindest
       die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Bundesländer einig. Erwin
       Sellering, der SPD-Regierungschef von Mecklenburg-Vorpommern, warnt gar vor
       einer neuen Ost-West-Debatte.
       
       Dem stimmt der Rechtsextremismusexperte Torsten Hahnel zu. Und doch mahnt
       der Mitarbeiter beim Demokratieverein „Miteinander“ in Halle:
       „Rechtsextremismus ist ein gesamtdeutsches Problem. Aber man muss dabei die
       ostdeutsche Spezifik erkennen, sonst verleugnet man die Ursachen.“
       
       Aber was sind die Ursachen? Der Politikwissenschaftler Hajo Funke nennt
       beispielsweise die Perspektivlosigkeit vieler Ostdeutscher. Diejenigen, die
       vor Asylunterkünften stehen und brüllen, die sie anzünden und Steine
       werfen, entladen dadurch ihren Frust auf die eigene prekäre Situation.
       Mitunter handle es sich dabei um die zweite Generation Ost, also die Söhne
       und Töchter derer, die nach der Wende den Anschluss verpasst haben und
       ihren Kindern vorlebten, dass der Westen keine gute Zukunft biete.
       
       ## Heidenau ist ein Vorzeigestädtchen
       
       Dem hält Torsten Hahnel entgegen: Orte wie Freital und Heidenau seien
       „Vorzeigestädchen“. Sanierte Häuser, gepflegte Straßen, intakte
       Infrastruktur. Diejenigen, die es „zu was gebracht haben“, fürchteten nun
       um ihren Besitz – den ihnen die Flüchtlinge wegnehmen könnten. Hahnel sieht
       darin „zum Teil diffuse, unberechtigte Ängste“.
       
       Zu diesen Ressentiments geselle sich eine breite Empathielosigkeit im
       Osten. Diese resultiere einerseits aus der geringen Erfahrung mit
       AusländerInnen in der DDR: „Umso mehr Umgang mit Fremden, desto geringer
       sind die Vorurteile ihnen gegenüber.“ Das ist hinlänglich wissenschaftlich
       belegt. Aber auch die Uniformität in der DDR sei bei der Ursachenforschung
       rechtsextremer Tendenzen im Osten nicht zu vernachlässigen. „In der DDR war
       Individualität nicht gewünscht“, sagt Hahnel: „Stattdessen haben die Leute
       gelernt, sich anzupassen und die Verantwortung für ihr Leben zu
       delegieren.“ Spitzeleien förderten zudem Misstrauen statt Vertrauen.
       
       Humanismus sei in der DDR zwar stets gepredigt, aber nie real gelebt
       worden. So wurden SchülerInnen dazu angehalten, für die Kinder in Afrika
       und Vietnam zu spenden, aber Begegnungen habe es nicht gegeben. Sie wurden
       sogar verboten. Hahnel sagt: „Viele Ostdeutsche haben nicht gelernt, aktiv
       die Gesellschaft mitzugestalten.“
       
       ## In Sachsen hat NPD gezielt Strukturen aufgebaut
       
       Sachsen spielt in der ostdeutschen Betrachtung eine besondere Rolle. Hier
       saß die rechte NPD viele Jahre im Landtag. Zuvor wurden rechte Strukturen
       gezielt aufgebaut – vom Westen aus. Häufig mit dem Argument: so eine
       Islamisierung wie etwa in Köln müsse in Sachsen unbedingt vermieden werden.
       Das fiel auf fruchtbaren Boden. Der ostdeutsche Schriftsteller Peter
       Richter beschrieb es jüngst in einem Zeitungsinterview so: „Die
       Reaktionärsten der Konservativen zog es nach Sachsen.“
       
       Schon in der DDR lebte im heutigen Freistaat eine „Borniertheit, die oft
       unterschätzt wird“, wie Hahnel sagt. Diese Borniertheit drücke sich
       beispielsweise in einer „tiefsitzenden Sehnsucht nach Ruhe und
       Geborgenheit“ sowie in einer eigenwilligen Ostalgie aus: eine Art
       Rückbesinnung auf Werte, die in der DDR vermeintlich gepflegt wurden. So
       mussten sich die DDR-BürgerInnen an der Wahlurne nicht entscheiden, sie
       haben schlichtweg „abgenickt“. „Jetzt müssen sie nicht nur zwischen vielen
       verschiedenen Zahnpastasorten wählen, sie sind auch aufgefordert, politisch
       nachzudenken.“ Und das sei manchen zu anstrengend. Zugespitzt formuliert:
       Der Ossi will es einfach haben.
       
       Kann man den Ostdeutschen das verdenken? Nach der Abwertung, die sie nach
       dem Mauerfall durch die Westdeutschen erfahren haben? So haben sie erlebt,
       wie die „zweite und dritte Garnitur“ aus dem Westen die Jobs und vor allem
       die Chefposten im Osten übernahm und dafür auch noch eine „Buschzulage“
       kassierte, einen Bonus für den Ostaufenthalt. „Die Zeit nach der Wende
       förderte mitnichten das Vertrauen der Ostdeutschen in die Demokratie“, sagt
       Hahnel. „Aber es ist an der Zeit, das zu ändern. Sonst entlässt man die
       Ostdeutschen aus ihrer Eigenverantwortung.“
       
       31 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schmollack
       
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