# taz.de -- Regionalwahl in Katalonien: Die Sehnsucht nach dem Stern
       
       > Im September wählen die Katalanen ihr Parlament. Der Urnengang kommt
       > einem Referendum über die Unabhängigkeit der Region gleich.
       
 (IMG) Bild: „Tschüss Spanien“: Katalanische Demonstranten in Barcelona, 2012.
       
       FIGUERAS taz | L’estelada, „die Flagge mit dem Stern“, flattert in Figueras
       mal vom Balkon, mal hängt sie aus dem Fenster. Sie weht auf den Dächern, an
       Masten vor Supermärkten und auf den Terrassen der Cafés. „Ein neuer Stern
       für Europa“ steht auf einem Schild unter der Estelada an einem Balkon. Auf
       catalá, der katalanischen Sprache, denn 120 Kilometer nördlich von
       Barcelona in der Provinz Gerona ist Katalonien am katalanischsten.
       
       Seit 100 Jahren weht die Estelada für den Wunsch der Katalanen nach
       Selbstbestimmung, nach Unabhängigkeit, und noch nie haben so viele
       Esteladas in Katalonien für den eigenen Staat geworben. Katalanische
       Separatisten haben die Flagge 1918 auf Kuba erfunden, weshalb sie an die
       Flaggen der mittelamerikanischen Kleinstaaten erinnert. Ein weißer Stern
       leuchtet auf einem blauen Dreieck, das in vier rote Streifen der
       katalanischen Flagge ragt. Die Katalanen sehen den fünfzackigen Stern als
       Zeichen ihrer Zugehörigkeit zur Europäischen Union. Sie wollen sich von
       Spanien lossagen, nicht von Brüssel. Sie wollen einen Catalexit, aber den
       Euro behalten.
       
       „Endlich – Freiheit und Unabhängigkeit“, ruft Francesc, ballt die rechte
       Hand zur Faust und streckt sie in die Luft, als marschiere er gen Madrid
       gegen die spanische Regierung und sitze nicht lässig im Café. Geflochtene
       Armbänder baumeln an seinem Handgelenk, und sein Lächeln verrät, dass er
       nicht ganz so militant ist, wie seine Faust vermuten lassen könnte. Aber er
       hat genug von Spanien, er will die katalanische Kultur leben, die
       katalanische Sprache sprechen, wie er sagt – ausnahmsweise alles auf
       Castellano, der Sprache der Spanier. Im öffentlichen Leben sprechen alle
       Katalanisch. Ämter und Unternehmen versenden Briefe auf Katalanisch, der
       Unterricht an Schulen ist auf Katalanisch in einem offiziell zweisprachigen
       Land. Kinder können Castellano als Fremdsprache an der Schule lernen, zwei
       Stunden in der Woche.
       
       Millionen Katalanen aller Milieus fühlen wie Francesc, 44, Mechaniker bei
       einem mittelständischen Maschinenbauer in Gerona. Ob er und die anderen
       Befürworter der Unabhängigkeit die Mehrheit der 7,5 Millionen Katalanen
       bilden, will der katalanische Ministerpräsident Artur Mas am 27. September
       bei Wahlen für das Regionalparlament herausfinden. Einziger politischer
       Inhalt ist die Loslösung Kataloniens von Spanien. Und deswegen kommt die
       Wahl einem Referendum über die Unabhängigkeit gleich.
       
       ## Sezession innerhalb von neun Monaten
       
       Eine einfache Mehrheit der Sitze reiche ihm, hat Mas angekündigt, um
       innerhalb der folgenden neun Monate die Sezession durchzuziehen. Er selbst
       steht auf Platz 4 der Liste für das Bündnis Junts pel Sí, angeführt wird
       sie vom kommunistischen früheren EU-Abgeordneten Raül Romeva. Überraschend
       hatte Mas im Juli das Bündnis aus seiner konservativen Partei Convergencia
       Democratica de Catalunya (CDC), der linksnationalistischen Esquerra
       Republicana de Catalunya (ERC), Grünen, Linken und Bürgerinitiativen
       gegründet. Fernsehmoderatoren, Schriftsteller, der katalanische
       Nationalsänger Lluis Llach und andere Prominente unterstützen Junts pel Sí,
       wörtlich: Gemeinsam für das Ja, wobei das Ja für die Zustimmung zur
       Abspaltung von Spanien steht. Fußballtrainer Pep Guardiola vom FC Bayern
       München hat sich an letzter Stelle ebenfalls auf die Liste in seiner Heimat
       Barcelona setzen lassen. Aus symbolischen Gründen.
       
       Die Katalanen fühlen sich als Nation, sie wollen auch als eine Nation mit
       eigenem Staat wahrgenommen werden. Sie sprechen eine eigene Sprache und
       keinen Dialekt des Castellano, sie haben eine eigenständige Kultur, Musik,
       Gastronomie, Literatur und haben der Architekturgeschichte mit dem
       Modernisme eines Antoni Gaudí einen ganz eigenen Stil vermacht. Sie sind
       eigenwillig, was in Spanien niemand bezweifelt, gelten als geizig und
       werden wegen ihres wirtschaftlichen Könnens mit den Schwaben verglichen.
       
       Ihre kulturelle Eigenständigkeit drücken die Katalanen bei der Sardana aus,
       einem Kreistanz, den ihre Vorfahren vor tausend Jahren zu Schalmeien
       getanzt haben. Jeden Sonntag treffen sich die Barceloner auf dem Platz vor
       der gotischen Kathedrale, hunderte Männer, Frauen, Greise, Kinder halten
       sich an den Händen und tanzen in mehreren Reigen. Jeder kann zu jeder Zeit
       den Kreis der Tänzer vergrößern, und so ist die Sardana zu einem Sinnbild
       für die wahrhaftige Demokratie geworden, die die Katalanen wollen. Und die
       sie im Königreich Spanien auch 40 Jahre nach dem Ende der faschistischen
       Diktatur von General Franco nicht verwirklicht sehen.
       
       ## Das Lieblingskind der Faschisten
       
       Die Gegner der Abspaltung sammeln sich in der Partei Ciudadanos, die der
       smarte Barceloner Albert Rivera vor knapp zehn Jahren gründete. Er
       präsentiert sich als konservative Alternative zur rechten Volkspartei PP,
       die in mehrere Korruptionsskandale verwickelt ist und der auch der
       spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy angehört. Dennoch bilden Rivera
       und seine „Staatsbürger-Partei“ mit der PP eine Front. Sie pochen auf die
       Verfassung Spaniens, die eine Sezession verbietet. In Artikel 3 steht die
       „unteilbare Einheit der spanischen Nation“ verewigt, das Lieblingskind der
       Faschisten, deren Geist den Verfassungsvätern 1978 den Stift führte.
       
       Auf der linken Seite der Parteien haben sich Podemos und die sozialistische
       PSOE nach der Ankündigung des De-facto-Referendums am 27. September dazu
       durchgerungen, die Abspaltung abzulehnen. Podemos war lange unentschieden,
       denn schließlich sind Linke, Anarchos und Grüne in Katalonien begeisterte
       Sezessionisten. Die Madrider Linken laden nun die Katalanen ein, mit ihnen
       gemeinsam das Königreich Spanien zu reformieren und die Verfassung zu
       modernisieren. Reformen hat auch Ministerpräsident Rajoy angedeutet. Er
       warnt die Katalanen vor der Sezession und droht ihnen – wobei unklar
       bleibt, wie er die Macht Madrids durchsetzen will. Theoretisch kann der
       spanische Staat die nach dem 27. September gewählte Regierung absetzen und
       die Geschäfte in Barcelona übernehmen, wenn die Spaltung droht.
       
       Beim Catalexit geht es natürlich auch um Geld. Das wirtschaftlich lebendige
       Katalonien überweist 8 bis 10 Prozent der katalanischen Wirtschaftsleistung
       in einer Art Länderfinanzausgleich nach Madrid. Volkswagen baut in
       Barcelona Autos, die größten Verlage der spanischsprachigen Welt sitzen in
       der Stadt, funktionierende Banken halten von Barcelona aus die spanische
       Wirtschaft am Laufen. Zu den Konzernen kommen mittelständische Unternehmen,
       die Zahnräder, Schuhe, Gummibärchen oder Waschbecken in Katalonien
       produzieren. Viele haben die Finanzkrise und das Spardiktat der EU
       überlebt, weshalb Katalonien mehr Steuern nach Madrid schickt als jede
       andere der 17 autonomen Gemeinschaften des Königreichs Spanien. Das ärgert
       die Katalanen.
       
       ## Die Spanier bocken
       
       Ein Pfund, mit dem Artur Mas in den Unabhängigkeitsverhandlungen mit Madrid
       wuchern will, sind die Schulden der Katalanen. Der spanische Staat hat mehr
       als die Hälfte der katalanischen Schulden in Höhe von 65 Milliarden Euro
       übernommen. Wie jede Region Spaniens hatten auch die Katalanen in der Ära
       des Betons bis zur Finanzkrise über ihre Verhältnisse gelebt. Da die
       katalanische Regierung sich in der Krise nicht selbst refinanzieren konnte,
       konnte sie auch die Schulden nicht zurückzahlen, Madrid übernahm.
       
       Wenn Katalonien jedoch ein eigenständiger Staat wäre, könnte die
       katalanische Regierung mit einer vergleichsweise geringen
       Staatsverschuldung auf den internationalen Finanzmärkten auftreten. Mas
       bietet Rajoy daher an, dann die in Madrid lagernden Schulden zu übernehmen.
       Oder eben nicht, wenn die Spanier weiter bocken und sich Gesprächen
       verweigern.
       
       „Gelateria“ steht über dem Eingang, Staub liegt auf dem rosa Baldachin der
       ehemaligen Eisdiele, doch die neuen Mieter in dem schmalen Geschäft an den
       Ramblas, der Hauptstraße von Figueras, stört das nicht. Die Unterstützer
       der Assamblea Nacional Catalana packen Prospekte, Faltblätter und Zeitungen
       aus. Auf Spanisch, Katalanisch und Englisch wollen sie in den nächsten
       Wochen bis zur Wahl für die Unabhängigkeit werben. Wie die eigentlich
       funktionieren soll, können sie auch nicht sagen. „Warum sollten wir nicht
       den Euro behalten?“, fragt einer. „Welches Interesse sollte die EU daran
       haben, Katalonien nicht aufzunehmen?“.
       
       Konkreter werden auch Artur Mas und die Berufssezessionisten nicht, wenn es
       um die staatliche Ordnung nach einer Unabhängigkeit geht. Die Regeln wollen
       sie dann ausarbeiten, wenn sie die Mehrheit haben. In ihrem Onlineshop
       verkauft die Assamblea die Estelada-Flaggen, große 4,50 mal 2,80 Meter für
       Demonstrationen und kleine bis hin zum Wimpel für das Auto. Alle aus
       Polyester, „100 % fets a Catalunya“, hergestellt in Katalonien. Die
       Estelada für den Balkon, 150 x 110 Zentimeter, ist ausverkauft.
       
       5 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Fokken
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Katalonien
 (DIR) Mariano Rajoy
 (DIR) Artur Mas
 (DIR) Spanien
 (DIR) Katalonien
 (DIR) Katalonien
 (DIR) Katalonien
 (DIR) Spanien
 (DIR) Podemos
 (DIR) Citizenfour
 (DIR) Katalonien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Abspaltung Kataloniens von Spanien: Separatisten sind sich nicht einig
       
       Die separatistischen Fraktionen haben zwar die Unabhängigkeit beschlossen,
       finden aber keine Mehrheit für einen Chef. Derweil will Spanien klagen.
       
 (DIR) Regionalwahl in Spanien: Das erwartet die Katalanen
       
       Die Katalanen haben gewählt. Ist eine Abspaltung von Spanien möglich? Was
       würde passieren, sollte Katalonien wirklich seine Unabhängigkeit erklären?
       
 (DIR) Wahlkampf in Katalonien: Die letzte „Diada“?
       
       Parteien und Bündnisse mobilisieren am katalonischen Nationalfeiertag noch
       mehr als üblich. Ende September stehen Regionalwahlen an.
       
 (DIR) Regionalwahlen in Katalonien: Separatisten treten gemeinsam an
       
       Offiziell sind die Regionalwahlen in Katalonien eine Wahl wie jede andere.
       Katalonische Separatisten treten aber gemeinsam an und versprechen die
       Abspaltung.
       
 (DIR) Medien in Spanien: Im Griff der Mächtigen
       
       Die spanische Regierung hat Angst vor Podemos. Deswegen werden Journalisten
       nun auf Linie gebracht, versetzt oder sogar entlassen.
       
 (DIR) Kolumne Der Rote Faden: Deutsche Einheit, spanische Teilung
       
       Im Schatten der Demokratie, die ihre Einheit feiert, erwachen die Geister
       des Nationalen. Was hat das mit Edward Snowden zu tun?
       
 (DIR) Kommentar Abstimmung in Katalonien: Madrid hat ein Problem
       
       Die symbolische Abstimmung in Katalonien hat gezeigt: Das
       postfranquistische Gesamt-Spanien ist gescheitert.