# taz.de -- Debatte Euro in Südeuropa: Vom Versprechen zur Drohung
       
       > Für Europas südliche Staaten begann die gemeinsame Währung als großes
       > Versprechen. Davon ist nichts als Drangsal geblieben.
       
 (IMG) Bild: Für viele nicht so prall.
       
       Gigantisch war die Party in der Neujahrsnacht 2002. Ob das Licht- und
       Musikspektakel in Brüssel oder ein „furioses Feuerwerk“ (so seinerzeit die
       Presse) in Athen: quer über den Kontinent feierten Millionen Europäer die
       Einführung der neuen Gemeinschaftswährung, standen, aufgeregt wie kleine
       Kinder bei der Bescherung, vor den Geldautomaten an, um endlich die
       Euro-Banknoten in Händen zu halten.
       
       Schließlich war der Euro ein großes Versprechen, ein Versprechen auch und
       vor allem an die Länder des Südens Europas, das Wim Duisenberg, seinerzeit
       Präsident der Europäischen Zentralbank, mit den Worten gemacht hatte, das
       neue Geld werde „zu einem weiteren Zusammenwachsen Europas führen“.
       
       Während die Mehrheit der Deutschen eher skeptisch bis missmutig von der
       D-Mark Abschied nahm, fiel Italienern, Spaniern oder Griechen die Trennung
       von Lira, Peseta oder Drachme weitaus leichter. Sie glaubten an die
       verkündete „Konvergenzerwartung“, der zufolge die neue, gemeinsame Währung
       ein Wunder vollbringen werde: Die Wirtschaftskraft, die Produktivität, die
       Einkommen in der Eurozone würden sich wie von selbst aneinander angleichen.
       
       Gewiss, die unter dem Familiennamen Euro eingetragene Vielehe war keine
       Zugewinngemeinschaft. Stattdessen wurde – nicht zuletzt auf deutschen
       Wunsch – das Prinzip der Gütertrennung festgeschrieben. Jeder der
       Mitgliedsstaaten wirtschaftet auf eigene Rechnung, darf sich über die
       eigenen Erfolge genauso freuen, wie er seine Niederlagen wegstecken muss.
       Aber was machte das schon?
       
       ## Riesige Exportüberschüsse
       
       Schließlich hatte der Euro in seinen ersten Jahren allen etwas zu bieten.
       Deutschlands Exportüberschüsse in der Eurozone schnellten seit 1999 (dem
       Jahr der tatsächlichen Einführung der Gemeinschaftswährung als
       Verrechnungsgeld) raketengleich in die Höhe, doch der Nutzen der einen
       schien keineswegs der Schaden der anderen zu sein.
       
       Denn Spanien, Irland und auch Griechenland durften sich Jahr für Jahr über
       weit überdurchschnittliche Wachstumsraten freuen, auf den Wirtschaftsseiten
       wurden der keltische genauso wie der iberische Tiger abgefeiert und – dies
       ist heute vergessen – dem vorgeblich „kranken Mann Europas“, Deutschland,
       als Reformvorbild vorgehalten.
       
       Dumm nur, dass die Kenngröße Bruttoinlandsprodukt unterschiedslos so
       ziemlich alles misst, die Erfolge eines Exportweltmeisters genauso wie
       Immobilienblasen oder auch ein Wachstum, das allein durch stetig steigende
       Staatsschulden generiert wird.
       
       Schon in den frühen Jahren des Euro war die Konvergenz purer Schein,
       verbarg sich hinter ihr ein wachsendes Auseinanderdriften der
       Clubmitglieder. Aber was sollte es? Schließlich taten ja auch die
       Ratingagenturen, die Finanzmärkte so, als wirtschafteten da Brüdervölker,
       zwar nur nebeneinander, gewiss aber nicht gegeneinander.
       
       Ebendies war das Versprechen des Euro: die Illusion, eine kontinentale
       Meisterschaft organisiert zu haben, in der zwar jedes nationale Team für
       sich antritt, in der am Ende aber alle auf den vorderen Tabellenplätzen
       liegen würden und niemand gar gegen einen Abstieg kämpfen müsste.
       
       ## Neue Vokabeln für Europa
       
       Es war die globale Finanzmarktkrise, die 2008 diesem Versprechen
       schlagartig ein Ende setzte. Spätestens 2010, mit dem offenen Ausbruch der
       Eurokrise, zog ein neues Vokabular auf dem Kontinent ein: „Troika“,
       „Programmländer“ (ebenjene, die strenger Troika-Aufsicht unterworfen
       wurden), „unabdingbare Strukturreformen“.
       
       Plötzlich gab es Abstiegskandidaten in Europa, vorneweg die Länder der
       Südschiene, Portugal, Spanien, Italien, Griechenland und Zypern. Ihnen
       wurde bedeutet, dass sie kräftig nachzusitzen hätten, und schon 2010
       brachte Kanzlerin Angela Merkel die – in den Euro-Verträgen gar nicht
       vorgesehene – Relegation „chronischer Defizitsünder“ ins Gespräch.
       
       Kurzum: Vom Versprechen verwandelte sich der Euro für die Südländer Europas
       in eine Drohung, in ein Projekt, in dem nicht mehr wie in der Anfangszeit
       wachsender Nutzen in Aussicht stand, sondern es bestenfalls noch um die
       Minimierung des Schadens ging. Eines Schadens, der in Südeuropa nach fünf
       Jahren Austeritätspolitik zu besichtigen ist. Fleißig haben Spanien,
       Italien und selbst Griechenland ihre „Hausaufgaben“ gemacht, sie haben die
       Staatsetats zusammengestrichen, die Löhne und Sozialleistungen gekappt –
       und sind dennoch nicht zu „Champions“ geworden; stattdessen ist die Kluft
       in der Eurozone weiter aufgerissen.
       
       Griechenlands Wähler waren die Ersten, die darauf reagierten: Sie wollen
       den Euro, aber nicht als Schadensgemeinschaft. Nutzen hat ihnen der
       Wahlsieg von Syriza im Januar dieses Jahres jedoch nicht gebracht. „Regeln
       sind Regeln“, dekretiert der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble –
       und stellt die Griechen für den Fall der Unbotmäßigkeit vor die Wahl
       zwischen dem gewissen Schaden weiterer „Anpassungspolitiken“ und dem völlig
       unkalkulierbaren Schaden des „is over“, der ökonomischen und sozialen
       Katastrophe, die einträte, wenn Griechenland aus dem Euro rausmüsste. Von
       Versprechen ist da schier gar nichts mehr übrig geblieben.
       
       ## Brutaler Autoritarismus
       
       Es klingt bizarr, doch die Wahrung des Zusammenhalts funktioniert heute
       bloß noch per Drohung: Wer nicht pariert, muss raus. Griechenlands Wähler
       haben mit großer Mehrheit gegen das ihnen aufoktroyierte
       Austeritätsprogramm optiert, müssen es jetzt dennoch schlucken – und sind
       weiter in übergroßer Mehrheit für den Euro. Auch in Italien hat die Zahl
       derer, die die Rückkehr zur Lira wollen, ausgerechnet jetzt, da an Athen
       das Exempel statuiert wurde, abgenommen.
       
       „Brutaler Autoritarismus“ sei an die Stelle des „aufgeklärten Paternalismus
       der europäischen Gründungsväter“ getreten, bemerkt der italienische
       Intellektuelle Lucio Caracciolo; die „Demütigung des griechischen Volks“
       zeige, „dass es die europäische Idee nicht mehr gibt“.
       
       Absturzdrohung statt Wohlstandsversprechen, Angst vor dem GAU statt
       Hoffnung auf Prosperität: Wenigstens für jene Länder, die heute wieder
       „Südperipherie“ heißen, ist dies die Realität der Union. Einer Union, die
       als Gemeinschaft demokratischer Staaten auf diesem Weg kaum überleben wird.
       
       16 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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