# taz.de -- Modeblogs für Dicke: Fashion my fat ass
       
       > Wo ist das Subversionspotenzial der Mode geblieben? Auf Fatshion-Blogs.
       > Dort stellen dicke Stilikonen unseren Blick auf die Realität infrage.
       
 (IMG) Bild: Sommermode mit Kurven.
       
       Mode und Subversion: eine Verstrickung, die immer wieder gern zur Debatte
       gestellt wird. Sei es die geschlechtsneutrale Abteilung im Agender-Projekt
       des Londoner Warenhauses Selfridges oder irgendeine pseudopolitische
       T-Shirt-Kampagne irgendeiner Kleidungskette oder die smarte Marketingtaktik
       des schrillen Labels Desigual, das von der Hautkrankheit Vitiligo
       betroffene Model Winnie Harlow zum neuen Gesicht der Marke zu machen. Wer
       schafft es, sich mit seiner Kampagne im perfektesten Winkel aus dem Fenster
       zu lehnen, sodass die Aktion möglichst auffällig und insgesamt konform
       genug für den Markt ist?
       
       Die überfälligen Veränderungen innerhalb der Modeindustrie gelingen bisher
       nur sehr oberflächlich, wenn reiche, weiße, schlanke Frauen (eher Cis- als
       Transgender) mit bunten Haaren schon das höchste Maß an Rebellion
       darstellen. Das greift kaum jemanden an, erst recht keine sexistischen oder
       anderen unterdrückenden Strukturen. Kleidung ist ein Kommunikationsmittel.
       Wenn in der Mode also Herrschaftsverhältnisse nicht hinterfragt werden,
       kann Subversion nur so bahnbrechend sein wie ein Insekt auf der
       Windschutzscheibe.
       
       Gerade in der Kategorie Dress, einer überwiegend visuellen Angelegenheit,
       spielt der Körper an sich eine große Rolle. Zum Beispiel durch sichtbare
       Behinderungen, durch Gender-Transition-Erfahrung, durch ethnische
       Herkunftsmerkmale oder durch Form hält nicht nur ein bisschen Abwechslung,
       sondern in erster Linie authentische Realität Einzug in die Modeindustrie.
       In Deutschland trägt eine Frau durchschnittlich Kleidergröße 42, auf den
       Runways trägt man 34 und wundert sich, woher die unaufhörlichen
       Minderwertigkeitskomplexe von Modemagazinleser_innen kommen. Aber hier geht
       es nicht um diese verunsicherten, eigentlich durchschnittlichen Personen,
       die sich dick fühlen. Hier geht es um Leute, die dick sind und so stolz
       darauf, dass sie es der ganzen Welt zeigen.
       
       Die Stigmatisierung dicker Menschen, vor allem dicker Frauen ist
       vielschichtig. Dicke Körper gelten als ungesund, unästhetisch, unsportlich,
       unhygienisch, unattraktiv und geschmacklos. Nach dem Motto: Wäre die Person
       mit einem Sinn für Mode ausgestattet, dann wäre sie sicherlich schlanker.
       
       ## Unästhetisch? No
       
       Mit dieser fragwürdigen Annahme liegen die Leute – ich muss Sie an dieser
       Stelle leider enttäuschen – falsch. Wer nämlich wirklich Ahnung von Mode
       hat, wird an Fatshion-Blogs schwer vorbeikommen. Der Neologismus aus „Fat“
       und „Fashion“ löst den Begriff der „Plus Size Fashion“, also der
       Übergrößenmode, ab. Man fragt sich schließlich: Über welcher Größe? Und
       warum gibt es keine Untergrößen?
       
       „Fat“ wird im englischsprachigen Raum, anders als das deutsche Äquivalent
       „dick“, häufig auf eine ermächtigende Art angeeignet, wie in
       Fat-Aktivismus, Fat-Empowerment, Fat-Positivity und Fatshion. Dicke
       Frauenkörper haben ein hohes politisches Potenzial, weil sie viel
       physischen und metaphysischen Raum einnehmen. Die Vielzahl an
       Fatshion-Blogs wirkt doppelt so effektiv, weil sie sozialen und digitalen
       Raum einnimmt. Für sehr viele Konformist_innen ist das Haramstufe Rot.
       Frauen sollen keinen Raum einnehmen, erst recht nicht die dicken. Doch sie
       tun es trotzdem, und zwar unverfroren.
       
       „Der Modeindustrie fehlt es an Diversität, und zwar hinsichtlich Größen,
       Alter und Race. Es ist wichtig, Frauen und Mädchen andere Formen von
       Schönheit zu zeigen, Formen, mit denen sie sich identifizieren können.
       Stattdessen werden wir die meiste Zeit mit sehr beschränkten Idealen
       konfrontiert“, schreibt Tanesha Awasthi in einer E-Mail aus San Francisco,
       die mit ihrem [1][Blog „Girl With Curves“ den einflussreichsten und ersten
       Fatshion-Blog] gegründet hat.
       
       Awasthi ist Model, Modebloggerin, Mutter – und mittlerweile auch Stilikone.
       Mit ihren verspielten Kleidern, den großen Sonnenbrillen und modern bis
       mondänen Looks könnte ihr Blog auch ein aktueller Modekatalog eines
       Kaufhauses sein. Dafür ist der Blog allerdings zu persönlich, und genauso
       soll es sein, denn dieses Merkmal unterscheidet die teilweise
       kommerzialisierten Modeblogs von herkömmlichen Katalogen. Die Sichtbarkeit
       und gesellschaftliche Raumeinnahme sind auch Motivationen der kanadischen
       Fatshion-Bloggerin Allie Krystal: „Je mehr dicke Personen fordern, gesehen
       und gehört zu werden, desto mehr Designer werden hören und handeln. Dicke
       Leute haben hässliche Kleidung so satt, wir verdienen auch hübsche Sachen.
       Nicht alle von uns wollen im Pin-up-Stil A-linienförmige Kleider oder
       T-Shirts mit kitschigen Zitaten in kursiver Schrift als Aufdruck tragen.“
       
       Die Erwartungshaltung an dicke Frauen ist es, möglichst weite, kaschierende
       Kleidungsstücke zu tragen, um ihr Fett zu verstecken – einer von vielen
       Aspekten, die ein Schamgefühl implizieren. Dezent und unsichtbar ist Allie
       Krystal ganz bestimmt nicht. [2][Auf ihrem Blog „Ailurophile With Style“
       trägt sie die bunten Farbtöne] im Haar und am Körper, mal grell und mal
       pastellig, gerne figurbetont. Ein mangelnder Sinn für Ästhetik bleibt aus,
       ebenso die sonst so elitäre Attitüde von Fashionistas. „Für mich bedeutet
       Mode, etwas vom Kleiderhaken zu nehmen und es zu deinem zu machen. Jedes
       Stück schafft in unterschiedlichen Kombinationen auch unterschiedliche
       Styles. Ob es 300-Dollar-Hosen oder ein günstiges Oversize-Hemd ist, alles
       kann modisch sein, solange es personalisiert und zu eigen gemacht wird.“
       
       Eine „dicke Modeikone“ ist längst kein Oxymoron mehr. Bloggerinnen wie Gabi
       Fresh, Nadia Aboulhosn und Tess Munster generieren nicht nur hohe
       Klickzahlen und starke Fanbases, sondern feiern auch kommerzielle Erfolge.
       Gabi Fresh startete letzten Sommer den [3][Instagram-Hashtag #Fatkini als
       Ermächtigungsstrategie für dicke Frauen am Strand] und entwarf ihre eigene
       Bademodelinie.
       
       ## Shitstorms? Enorm
       
       [4][Ebenfalls mit einer Kleidungslinie glänzt Nadia Aboulhosn], die
       ansonsten sehr transparent mit ihrem Workingclass-Backround und ihren Fans
       umgeht. Von prätentiösen Allüren keine Spur. Und seit Jahresanfang ist Tess
       Holiday das Model mit der größten Größe, das beim Elite-Label MiLK Model
       Management unter Vertrag steht. Zumal dieser Erfolg eine hohe mediale
       Aufmerksamkeit bekam und auch Personen außerhalb von Fatshion-Communitys
       davon Wind bekamen, war der dickenfeindliche, sexistische Shitstorm auf
       Twitter enorm. Immer noch werden pathologisierende Begriffe wie „adipös“,
       „fettleibig“ oder „übergewichtig“ benutzt, um dicke Personen zu beschreiben
       – so auch in der Berichterstattung rund um Holiday.
       
       Skandalös sind dicke Models eigentlich schon lange nicht mehr. Schließlich
       wählte kein Geringerer als der High-Fashion-Vaddi Karl Lagerfeld die dicke
       lesbische Gossip-Frontsängerin Beth Ditto lange Zeit zu seiner Muse. Ditto
       ließ sich deshalb nicht gerade die Butter vom Brot nehmen und kritisierte
       Lagerfeld unter anderem für seine dickenfeindlichen Kommentare gegenüber
       der britischen Popsängerin Adele.
       
       Trotzdem fehlt vielen Labels in ihrem Marketing für Plus-Size-Kollektionen
       Authentizität: Models mit Sanduhr-Silhouette und minimalem Hüftgold werden
       als dick bezeichnet – eine maßlose Übertreibung und ein weiterer Grund,
       warum die realistische Repräsentation dicker Körper durch Fatshion-Blogs
       von Notwendigkeit ist.
       
       Zudem hatten Modeblogs noch vor ihrer Überkommerzialisierung ein hohes
       Subversionspotenzial, weil sie sich von der elitären Modebranche
       abgrenzten. Diese dekonstruierende Komponente bleibt nur noch
       Fatshion-Blogs oder Blogs, die sich auf andere Art mit Körperpolitik
       auseinandersetzen. Sie fechten nicht nur die belastende Stigmatisierung,
       sondern auch problematische Schönheitsnormen an. „Für jede Person, die dich
       im Netz als ‚widerlich’ und ‚fett’ bezeichnet, gibt es 100 andere, die
       deinen Style lieben und dich süß finden. Die Leute in der
       Plus-Size-Blog-Community sind so lieb und unterstützend“, sagt Allie
       Krystal. „Früher haben mich hasserfüllte Kommentare geärgert, heute lache
       ich nur noch über sie. Die Dickenfeindlichkeit und negative Haltung anderer
       Leute ist deren eigene Last.“
       
       1 Aug 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://girlwithcurves.com/
 (DIR) [2] http://ailurophilewithstyle.tumblr.com/
 (DIR) [3] https://twitter.com/hashtag/fatkini
 (DIR) [4] http://www.nadiaaboulhosn.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hengameh Yaghoobifarah
       
       ## TAGS
       
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