# taz.de -- Kunst-Ausstellung über die Zukunft: Das verbleibende Leben
       
       > Kommt die Zukunft noch oder war sie schon? Die Kunsthalle Kiel lädt in
       > der leichtfüßigen Schau „Playing Future“ zum Fantasieren ein.
       
 (IMG) Bild: Die Zukunft als Raumschiff Enterprise: Wosiks „Beamer in die Zukunft“
       
       Kiel taz | In ein paar Tagen habe ich Geburtstag, und das hat erstmal
       nichts mit der [1][Gruppen-Ausstellung „Playing Future“] zu tun, die
       derzeit in der Kieler Kunsthalle zu sehen ist. Doch dann wird das mit der
       „Zukunft“, die man hier spielt oder mit der man hier spielt, persönlich
       sehr konkret- dank des Objektes „The remaining life of Nasan Tur“ von Nasan
       Tur, das einen (also auch mich) sofort anschaut, wenn man die
       vergleichsweise schwere Eingangstür öffnet und dann den unteren Bereich der
       Kunsthalle betritt: zehn rote Ziffern leuchten einem aus einem schmalen
       Kasten an, der mit echtem Gold verkleidet ist (so wird jedenfalls
       behauptet). Und in jeder Sekunde klickt eine Ziffer weg.
       
       „Der Künstler hat seine eigene, ihm verbleibende Lebenszeit berechnet und
       in ein kleines Schatzkästlein gesteckt“, sagt Kunsthallen-Leiterin Anette
       Hüsch, die zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen Natascha Driever, Dörte
       Zbikowski und Veronika Deinzel die Ausstellung kuratiert hat.
       
       Wie Nasan Tur seine noch kommende und dann endende Lebenszeit berechnet
       hat? Er hat die üblichen Faktoren berücksichtigt und in eine Formel
       gepackt, so wie es Versicherungen machen, will man etwa eine
       Lebensversicherung abschließen: aktuelles Alter und statistische
       Lebenserwartung, Körpergewicht, bekannte Vorerkrankungen, dazu vererbte
       Risikofaktoren; vielleicht auch Familienstand und Arbeitssituation und
       bestimmt Nikotin und Alkoholkonsum - also all das, was im Guten wie im
       Schlechten zum Leben dazugehört und es ausmacht.
       
       Und es ist ihm ganz ernst damit, läuft seine güldene Lebensuhr doch
       unverdrossen auch dann weiter, wenn die Ausstellung schließt (am 13.
       September wird das sein) und anschließend das Objekt ins Atelier des
       Künstlers oder vielleicht auch aufgekauft ins Depot einer Sammlung wandert.
       „Doch was passiert, wenn diese Uhr auf Null steht?“, fragt Natascha
       Driever.
       
       Und während wir da stehen, überlegen, fachsimpeln, ich selbst anlässlich
       meiner kommender Geburtstagsmarkierung kurz (nur kurz) daran denke, wie
       viel Zeit mir noch bleiben könnte (theoretisch), läuft Nasan Turs Uhr
       unbeirrt weiter, wandelt sich die letzte Zahlenstelle: vier, drei,
       zwei,eins, null, neun. Wo soll das am Ende enden?
       
       ## Die Jahre, die uns bleiben
       
       Anette Hüsch gibt denn auch zu: „Ich habe noch nicht ausgerechnet, wie
       viele Lebensjahre da eigentlich enthalten sind.“ Was wiederum sehr
       verständlich und sehr angemessen ist, denn auch wenn wir alle uns alle Mühe
       geben, jedem magischen Denken zu entsagen: Wer weiß denn, was passiert,
       wenn man die Zeit, die sich ein anderer noch zum Leben gibt, tatsächlich
       laut und deutlich ausspricht?
       
       Milder geht es im Nachbar-Raum zu, den die marokkanisch-französische
       Künstlerin Yto Barrada mit ihrer Arbeit „Lyautey Unit Blocks“ aus
       vergrößerten Bauklötzen bespielt: eine Hommage an den französischen
       Militärgouverneur von Marokko Hubert Lyautey (von 1912 bis 1925), der es
       trotz seiner Kolonialfunktion verstanden hat, zwischen Tradition und
       Moderne zu vermitteln, als er eben nicht die Altstadt von Marrakesch
       abreißen ließ, weil neuer Wohnraum für künftige Bewohner geschaffen werden
       sollte.
       
       Stattdessen ließ er die neuen Viertel um den Altstadtkern herum erbauen,
       was ein Vorbild sein könnte, wie Zukunft und Vergangenheit kooperieren
       können.
       
       Sehr beeindruckend ist auch die raumgreifende Installation „Future Fossil
       Spaces“ des Schweizer Künstlers Julian Charrière. Er hat sich nach Bolivien
       begeben, wo sich im Gebiet riesiger Salzseen die nach heutigem Stand
       weltweit größten Vorkommen an Lithium befinden - dem Baustoff unserer
       Zukunft. Bisher hat Bolivien ausländische Investoren aus dem Land halten
       können.
       
       Doch wird das Land es weiterhin schaffen, mit diesem Zukunftsschatz
       vernünftig umzugehen, um besser als andere für die Zukunft gewappnet zu
       sein? „Es ist wie ein Blick aus der Zukunft auf ein Abbaugebiet, wie es
       einmal sein wird, also fast retro-futuristisch“, kommentiert Natascha
       Driever Charrières nostalgisch anmutende Anlage aus zu Säulen aufgetürmten
       Salzquadern und Wasserbecken.
       
       ## Einer latscht übers Werk
       
       Dieses Wechselspiel aus vorausgreifenden Fragen und gegenwärtigen
       Zukunftsvisionen prägt überhaupt die Ausstellung, wobei angenehmerweise
       immer wieder auch ein sanfter Humor durchblitzt. Besonders bei Gregor
       Wosiks Bodenarbeit, kurz vor dem Kassenbereich, wo in Gestalt klassischer
       Pflastermalerei eine Astronautin aus dem Boden heraus über eine Treppe in
       unsere hiesige Wirklichkeit hinaufzusteigen scheint.
       
       Und es macht Spaß, sich dort an den Rand zu stellen und zu schauen, wie die
       eintreffenden Besucher das Kunstwerk wahrnehmen: die einen blicken
       ehrfürchtig auf Wosiks spaßige 1970er-Jahre-mäßige
       Science-Fiction-Zukunftsvision und versuchen, die optisch richtige Position
       einzunehmen, um sein Perspektivenspiel nachzuverfolgen; die anderen
       latschen einfach querbeet drüber und haben nichts gemerkt.
       
       Auch oben, im ersten Stock des Hauses gibt es Sehenswertes zu sehen, das
       einlädt, sich dem Spiel mit der Zukunft zu öffnen, die in der Vorstellung,
       wie sie ausfallen könnte, schon gegenwärtig ist. Ganz wunderbar das kleine,
       verdunkelte Kabinett, das sich Max Sudhues und Tabor Robak teilen.
       
       Sudhues hat einen Videobeamer auseinandergeschraubt und dessen nun
       vordergründig nutzlosen Teile auf die Projektionsfläche eines altertümlich
       wirkenden Overheadprojektors gelegt, um so ein an frühe Fotogramme
       erinnerndes Formenspiel buchstäblich an die Wand zu werfen.
       
       Robak dagegen lädt dazu ein, auf einem Plasmabildschirm einer Reise durch
       computergenerierte Stadtlandschaften zu folgen. Und immer wieder wischt der
       Regen, der wie ein sanfter Sturzbach so plötzlich wie regelmäßig den
       Bildschirm überschwemmt, die Stadt, durch die man gerade fliegt, hinweg.
       Und bietet den Blick auf die nächste Stadtszenerie; und während man glaubt,
       echtes Wasser vor sich zu sehen, weiß man natürlich, dass dieser
       Wasserschwall ein durch und durch programmierter ist und am Ende nur aus
       einer besonderes gelungenen Kombination der Faktoren 0 und 1 besteht.
       
       Rausschmeißer im besten Sinne ist die Arbeit „Are you really here“ von
       Jeppe Hein, die uns einen Spiegel auf Augenhöhe bietet, in dessen Mitte der
       Schriftzug „Are you really here“ prangt - ohne jedes Fragezeichen. Und ja,
       da stehe ich also, schaue mich an und bin mir meinerseits in diesem Moment
       ganz sicher, dass ich hier stehe und nirgendwo anders. Und das ist
       angesichts von Nasan Turs Lebensuhr, deren Sekunden und dann Minuten
       während meines Besuches selbstverständlich abgelaufen sind und auch jetzt,
       während Sie diesen Text lesen, fortlaufend ablaufen und nie, wirklich nie
       mehr zurückzuholen sind, ein sehr tröstlicher Gedanke.
       
       9 Jun 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.kunsthalle-kiel.de/de/ausstellungen/playing-future.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Keil
       
       ## TAGS
       
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