# taz.de -- Kanzlerin im Krisengebiet: Merkel trifft Medwedjew
> Einziges Thema der Begegnung: Der Südossetien-Krieg. Zur selben Zeit
> kommt US-Außenministerin Rice nach Tiflis. Russland und Georgien werfen
> sich gegenseitig Kriegsgreuel vor.
(IMG) Bild: Merkel fordert, dass sich die russischen Truppen aus dem georgischen Kerngebiet zurückziehen.
Die versprochenen Beweise hatte der russische Präsident Dmitri Medwedjew
zum Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel doch nicht
mitgebracht. "Sie werden die CD-ROM noch erhalten." Das war alles, was
Medwedjew vor der Presse im russischen Schwarzmeerort Sotschi zu den
näheren Umständen des Kriegsausbruchs im benachbarten Georgien sagte.
Der Verzicht auf eine eingehende Ursachenanalyse war notwendig, um die
deutsch-russischen Meinungsverschiedenheiten auf ein erträgliches Maß zu
begrenzen. Es sei "nicht die Stunde, die genauen Ursachen aufzuklären",
sagte Merkel - und wie ein Mantra wiederholte sie den Satz: "Wir müssen
jetzt nach vorne schauen."
Nach dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ist Merkel die zweite
westliche Regierungschefin, die seit Kriegsausbruch Russland besucht. Das
Treffen in Medwedjews Sommerresidenz in Sotschi, das nur zwanzig Kilometer
von der georgischen Grenze entfernt liegt und im Jahr 2014 Austragungsort
der Olympischen Winterspiele sein soll, war bereits lange anberaumt - wenn
auch zu anderen Themen. Neu ins Programm kam ein Besuch der georgischen
Hauptstadt Tiflis, in die Merkel am Sonntag fliegen wird.
Einen einzigen Satz zur Vergangenheit sagte die Kanzlerin dann doch: "Ich
habe von meiner Seite die politische Botschaft gesagt, dass ich die Antwort
Russlands, auch wenn man die Darstellung des Hergangs und der Entstehung
nimmt, zum Teil für unverhältnismäßig gehalten habe oder halte." Um gleich
zu relativieren: "Ansonsten glaube ich, dass es in einem solchen wirklich
schwierigen Konflikt selten den Fall gibt, dass nur einer Schuld hat." Auf
Schuldzuweisungen verzichten, Gesprächskanäle offenhalten: das war schon
die Linie, auf die sich Außenpolitiker aller Fraktionen am Vortag im
Auswärtigen Ausschuss des Bundestags einigen konnten. Es war auch die klare
Bedingung Russlands, um weitere Gespräche über eine strategische
Partnerschaft mit Deutschland nicht platzen zu lassen. Daran ließ Medwedjew
auch in Sotschi keinen Zweifel: "Die Partner dürfen nicht versuchen, eine
Seite als die Schuldigen darzustellen."
In der Frage, was aus Georgien und seinen abtrünnigen Provinzen nun werden
solle, gingen die Meinungen von Präsident und Kanzlerin allerdings
entschieden auseinander. Merkel verlangte, "dass sich die russischen
Truppen aus dem Kerngebiet Georgiens wieder zurückziehen". Sie betonte:
"Die Ukraine und Georgien werden Mitglied der Nato sein, wenn sich das
wünschen." Sie sagte zu einer möglichen Unabhängigkeit Südossetiens oder
Abchasiens: "Nicht jedes Kollektiv, das austreten möchte, ist in der Lage,
ein selbstständiger Staat zu sein." Eine Formulierung allerdings ließ
aufhorchen. "Ausgangspunkt von Verhandlungen muss die territoriale
Integrität von Georgien sein", sagte Merkel. Das lässt Spielraum für
Interpretationen: Müssen Ausgangs- und Endpunkt solcher Gespräche
zwangsläufig identisch sein?
So unmissverständlich, wie Merkel sich zu einer möglichen
Nato-Mitgliedschaft Georgiens bekannte, betont Medwedjew das Recht
Russlands auf künftige Interventionen. "Wenn unsere Bürger angegriffen
werden", sagte er, "dann werden wir auch in Zukunft so handeln." Eine
solche "humanitäre Katastrophe" zu verhindern, sei keine
"Privatangelegenheit Russlands".
Entsprechend dankbar griff der russische Präsident das Thema Kosovo auf. Ob
er Parallelen zum Konflikt um die georgische Provinz Südossetien sehe,
wurde Dmitri Medwedjew von einem russischen Journalisten gefragt. Nun ja,
entgegnete Medwedjew mit mühsam unterdrückter Genugtuung. Im Kosovo sei man
dem Wunsch der Albaner gefolgt, die nur Polizeikräfte der Europäischen
Union zu ihrem Schutz akzeptieren wollten. Nun gingen aber Osseten und
Abchasen davon aus, "dass die russischen Truppen die einzigen Garanten
ihrer Sicherheit sind". Beim Kosovo sei Russland Kompromisse eingegangen,
jetzt müsse es der Westen tun.
Betont gelassen reagierte Medwedjew dagegen auf die Nachricht, dass sich
Polen just zum jetzigen Zeitpunkt mit den USA über ein Raketenabwehrsystem
verständigt hat. "Das ist traurig für alle, die in diesem dicht besiedelten
Kontinent leben", sagte er, "aber es ist nicht dramatisch." Als wollte er
demonstrieren, dass ihn die USA mit so etwas nicht beeindrucken könnten.
16 Aug 2008
## AUTOREN
(DIR) Ralph Bollmann
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