# taz.de -- Ossetin über Krieg in Georgien: "Die haben den Verstand verloren"
       
       > Für die ossetische Dozentin Schanna Tschotschijewa tragen der Präsident
       > Saakaschwili und seine nationalistischen Anhänger die Schuld für die
       > blutige Eskalation im Kaukasus.
       
 (IMG) Bild: Russische Truppen vor einem zerstörten Gebäude in Zchinwali.
       
       taz: Frau Tschotschijewa, wir haben uns 1989 in Tiflis kennengelernt.
       Damals hielt ich Sie für eine Georgierin. 
       
       Schanna Tschotschijewa: Ich bin eine Ossetin aus Georgien, Tiflisserin in
       der 3. Generation. Ich bin dort geboren und aufgewachsen und liebe diese
       Stadt. Inzwischen lebe ich in Moskau.
       
       Sind Sie noch öfter in Tiflis? 
       
       Ja. Es ist reiner Zufall, dass ich gerade in Moskau bin. Denn ich wollte
       meine Ferien eigentlich in Tiflis verbringen. Jetzt bin ich natürlich froh,
       dass etwas dazwischen kam.
       
       Sie hatten nicht mit einer Eskalation gerechnet? 
       
       Im Prinzip schon, aber wie hätte man wissen können, dass die Georgier
       gerade jetzt derart den Verstand verlieren? Anzeichen gab es allerdings
       schon länger. Zum Beispiel benutzt Saakaschwili das Buch des Exdiktators
       Swiad Gamsachurdija mit dem Titel "Die geistige Mission Georgiens" als
       Lehrmittel, wenn er Seminare abhält für seine durchgeknallten Chauvinisten.
       In diesem steht unter anderem: "Es wird eine Zeit kommen, in der die ganze
       Welt die georgische Sprache spricht." Und auf Meetings versichert
       Saakaschwili seinen Anhängern, dass Georgien die europäische Zivilisation
       retten wird. Für mich sind das einfach Nazis.
       
       Welche Erinnerungen haben Sie an die ossetische Hauptstadt Zchinwali? 
       
       Ein ganz besonderer Ort entstand in Zchinwali in den Jahren 1989-92 während
       des damaligen Versuchs der Georgier, unser Volk auszurotten. Damals trugen
       die Osseten ihre Toten auf dem Hof der Schule Nr. 5 zusammen. Es entstand
       ein Friedhof und später ein Pantheon. Jetzt, in den Tagen nach dem 8.
       August, haben die Georgier den Friedhof mit Panzerketten niedergewalzt und
       dem Erdboden gleichgemacht. Ebenso den Friedhof auf dem Berg Sguder, auf
       dem meine ganze Familie begraben ist. Und das wollen Christen sein!
       
       Was ist Ihnen aktuell aus Zchinwali zu Ohren gekommen? 
       
       Seit langem dort lebende Georgier haben auf der Straße stehend gerufen:
       "Wir haben gesiegt!" Die armen Menschen, die daraufhin aus ihren Kellern
       hervorkamen, wurden erschossen. Das kann ich am wenigsten fassen, dass die
       in Südossetien ansässigen Georgier ihre Nachbarn verraten haben.
       
       In Ihrer Jugend wurden Sie nicht mit dem georgischen Nationalismus
       konfrontiert? 
       
       Den georgischen Nationalismus habe ich damals nicht ernst genommen. Ich
       hielt das für ein Relikt aus der menschewistischen georgischen Republik von
       1918-1920. Sie wurde wegen der Unbestimmtheit ihrer Grenzen nirgendwo auf
       der Welt anerkannt. Damals brachten die Georgier es fertig,
       Territorialkriege mit Armenien und Aserbaidschan zu führen, Genozidversuche
       in Abchasien und Ossetien zu organisieren und hatten außerdem mit
       Aufständen im eigenen Lande zu kämpfen.
       
       Das liegt ja alles lange zurück. 
       
       Sicher. Aber die Geschichte ist wichtig, um zu begreifen, was heute
       passiert. In den Zwanzigerjahren nämlich banden sich die Georgier durch
       einen Vertrag an Sowjetrussland. In einem Paragrafen hieß es, dass alle
       georgischen Bürger das Recht haben, mit Vollendung des 18. Lebensjahres die
       Staatsbürgerschaft der Russischen Sozialistischen Föderativen
       Sowjetrepublik anzunehmen. Auf dieser Grundlage stellt Russland bis heute
       russische Pässe für Abchasier und Osseten aus. Als Georgien dann 1990
       seinen Austritt aus der Sowjetunion erklärte, annullierte die damalige
       russische Regierung alle darauf folgenden Gesetze und
       Ausführungsbestimmungen. Nur diesen Vertrag ließ sie in Kraft. Die Georgier
       antworteten mit einem Krieg, in dem sie 5.000 Menschen von uns umbrachten.
       
       Dieser Krieg wurde mit enormer Grausamkeit geführt. Haben Sie eine
       Erklärung? 
       
       Ich glaube, solche Ausschreitungen entstehen immer wieder, weil die
       Georgier keine einheitliche Nation sind. Es gibt zu viele Völker in
       Georgien und alle haben ihre eigene Sprache. Ich bin mit der georgischen
       Hochsprache aufgewachsen. Aber die Sprachen der Swanen oder Mingrelen
       unterscheiden sich so sehr, dass ich sie nicht verstehe.
       
       Wie viele Einwohner hatte Südossetien vor und nach dem vorigen Krieg von
       1990? 
       
       Vor 1989 waren es 96.000, in den letzten Jahren 80.000.
       
       11.000 Menschen haben Südossetien also lebend verlassen? 
       
       Viel mehr, denn in den vergangenen 16 Jahren gingen die ethnischen
       Säuberungen auch in Georgien ständig weiter. Dort haben ja anfangs 100.000
       von uns gelebt. Ein Freund sah eines Tages, wie nahe der Mineralwasserstadt
       Borjomi ossetische Frauen in Kitteln und Schlappen von Soldaten aus ihren
       Häusern gejagt wurden. In Tiflis betrieb man die ethnische Säuberung mit
       subtileren Mitteln. Als sich meine Mutter, immerhin eine gebürtige
       Tiflisserin, Ende der 80er-Jahre zunehmend bei mir in Moskau aufhielt, hat
       man ihre Eigentumswohnung zu Hause per Verwaltungsakt einfach einem
       Nachbarn überschrieben. Deshalb trafen Moskauer Osseten, wenn sie in den
       letzten Jahren nach Zchinwali fuhren, kaum mehr bekannte Gesichter auf der
       Straße. Denn während Osseten aus Tiflis nach Nordossetien und Russland
       flohen, rückten die aus den georgischen Provinzen Vertriebenen nach.
       
       Wie sehen Sie die Zukunft? 
       
       Ich traue dem Frieden nicht und befürchte, dass der Konflikt zwischen den
       USA und Russland schlimmere Formen annehmen wird als nach dem Zweiten
       Weltkrieg. Georgien aber tut mir leid. Der bekannte georgische Journalist
       und Amerikanist Melor Sturua hat vor rund drei Jahren gesagt: "Je mehr
       Georgien nach Europa strebt, desto mehr versinkt es in Asien." Ich denke,
       er wird Recht behalten.
       
       INTERVIEW: BARBARA KERNECK
       
       16 Aug 2008
       
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