# taz.de -- Luftangriffe im Gazastreifen: Israel will Hamas bestrafen
> Mit der größten Militäraktion seit dem Krieg von 1967 wollen Israels
> Politiker die Hamas in die Knie zwingen - und im Februar Wahlen gewinnen.
(IMG) Bild: Rauchwolken über Saraya, der Sicherheitszentrale und dem Gefängnis von Hamas in Gaza City.
JERUSALEM taz Selten haben die drei rivalisierenden Politiker so
einträchtig beieinander gesessen: Israels Ministerpräsident Ehud Olmert,
flankiert von Verteidigungsminister Ehud Barak und Außenministerin Zipi
Livni. Es ist Olmert, der zu den eilig herbeigerufenen Journalisten im
Konferenzraum des Verteidigungministeriums am Samstagabend in Tel Aviv
spricht. Wenige Stunden nach dem Militärschlag im Gazastreifen - dem
blutigsten seit Jahrzehnten - mahnt er seine Landsleute zu Geduld, schwört
auf harte Zeiten ein, warnt vor Gegenschlägen.
Doch Olmert ist ein Mann der Vergangenheit. Er scheidet nach den Wahlen am
10. Februar aus dem Amt. Alle blicken in diesen Tagen auf die beiden
Hauptakteure der israelischen Politik, die mit ernsten Gesichtern neben ihm
sitzen: den berechnenden Exgeneral Barak von der Arbeitspartei, der die
Operation plante. Und Livni, die kühle Diplomatin und mögliche Nachfolgerin
Olmerts von der Regierungspartei Kadima. Sie hat für den Militärschlag
internationale Unterstützung organisiert, mit einer gut vorbereiteten
PR-Schlacht hält sie weltweit die Kritiker in Schach.
"Genug ist genug", hat Livni immer wieder betont. Israel werde und könne
sich nicht bieten lassen, dass Extremisten aus dem palästinensischen
Gazastreifen hunderte von Raketen auf die Zivilbevölkerung abfeuerten. "Hat
irgendjemand wirklich geglaubt, dass Israel sich zurücklehnt und den
Raketen zuschaut?", sagte einer ihrer Sprecher. Hat die Hamas, die seit
eineinhalb Jahren den Gazastreifen kontrolliert, vergessen, wie gewaltig
die Schlagkraft der israelischen Armee sein kann?
Tagelang versuchten ägyptische und israelische Emissäre, neue Verhandlungen
über eine Verlängerung der Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel
einzufädeln. Denn ein Waffengang ist für Politiker im Wahlkampf ein hohes
Risiko: Geht er schief, ist das Schicksal von Barak und Livni besiegelt.
Doch Hamas spielt auf Risiko. Sie wollen einem neuen Deal nur dann
zustimmen, wenn Israel die Wirtschaftsblockade Gazas aufgibt. Seit dem Ende
der Feuerpause am 19. Dezember hagelten 230 Raketen auf den Süden Israels
nieder. Tödlich getroffen wurde zwar erst am Samstag ein Mann. Aber ein
normales Leben ist längst nicht mehr möglich in den Ortschaften rund um
Gaza. Radio und TV interviewten nonstop besorgte Eltern aus der
Raketenzone, die Zeitungen machten mit Bildern von Kindern auf, denen die
Panik ins Gesicht geschrieben steht. Die Regierung sah sich mit enormem
öffentlichen Druck konfrontiert und stellte der Hamas ein Ultimatum.
Barak hat jedoch nicht bis zum Ablauf der Frist gewartet. Er setzte auf den
Überraschungseffekt. Am Samstagvormittag ließ er die Luftwaffe gewaltig
zuschlagen. "Mein Haus bebte so stark, dass ich dachte, eine Rakete wäre in
meinen Garten eingeschlagen", erzählt ein Anwohner in der israelischen
Stadt Sderot, einen Kilometer von der Grenze entfernt. Erst nach einigen
Minuten begriff er, dass Gaza-Stadt von so massiven Explosionen erschüttert
wurde, dass sie bis nach Israel die Erde vibrieren ließen. "Wir sind
dankbar, dass endlich etwas geschieht", sagt eine Mutter von vier Kindern
aus Netivot im israelischen Radio. "Auch wenn wir jetzt im Bunker sitzen."
Denn schon eine halbe Stunde nach den Luftangriffen in Gaza mit über 270
Toten flogen wieder Raketen aus Gaza, darunter am Sonntag auch erstmals
solche mit einer Reichweite von 40 Kilometern, die die Außenbezirke der
Hafenstadt Aschdod erreichten.
"Barak ist zurück", lautete ein Kommentar in der israelischen Tageszeitung
Haaretz. Barak, der am höchsten dekorierte Soldat Israels, berüchtigt für
seine soziale Inkompetenz, will nun alles richtig machen, was im
Libanonkrieg vor zweieinhalb Jahren schiefgelaufen ist: entschlossen und
strategisch durchdacht zuschlagen und sich maßvolle Ziele setzen. Erreicht
werden soll eine "neue Realität" in Gaza, eine Schwächung der Hamas. Er
will die Extremistenorganisation Hamas nicht stürzen oder "vernichten", wie
sein Vorgänger über die libanesische Hisbollah gesagt hatte. Die Hamas soll
vielmehr daran erinnert werden, wie hoch der Preis für Angriffe auf Israel
ist. Abschreckung lautet das Stichwort. Gleichzeitig ist dies die
vielleicht letzte Gelegenheit, militärisch zu handeln, bevor der neue
US-Präsident Barack Obama am 20. Januar sein Amt antritt. Der hatte zwar
bei seinem Besuch in Sderot während seiner Wahlkampagne Verständnis
gezeigt. Doch ist fraglich, ob er die israelische Reaktion als
verhältnismäßig ansieht.
Auch vielen Israelis wird langsam mulmig angesichts der hohen Zahl der
Opfer in Gaza. Wütende Racheschwüre hallen durch die arabische Welt. Das
palästinensische "Volksbefreiungskomitee", eine Art Sammelbecken für
militante palästinensische Gruppen, prahlt, man verfüge über 10.000
Raketen; Israel werde keinen Tag standhalten können, werde die Armee
wirklich eine Bodenoffensive wagen. Auch neue Entführungen israelischer
Soldaten seien geplant. Selbstmordattentate in Israel sollen wieder zur
Tagesordnung gehören.
Der Krieg hat begonnen, und er wird wohl nicht innerhalb von Tagen zu Ende
sein. Ob Barak und Livni eine Exit-Strategie haben, weiß niemand.
28 Dec 2008
## AUTOREN
(DIR) Silke Mertins
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