# taz.de -- Bomben auf Gaza: Tränen und Schreie
> Mindestens 280 Palästinenser sind tot. Zur Vorbereitung eines möglichen
> israelischen Bodeneinsatzes rollten am Sonntag gepanzerte Fahrzeuge in
> Richtung Gazastreifen. Raketenangriffe auf Israel halten an.
(IMG) Bild: An der Grenze zum Gaza-Streifen sind israelische Panzer aufgefahren.
GAZA/JERUSALEM afp/ap/rtr/dpa Die Leichenhalle im Schifa-Krankenhaus in
Gaza ist überfüllt, Helfer tragen immer neue leblose Körper in das Gebäude.
Von den Minaretten draußen schallen Trauergebete, die sich in den Fluren
des Krankenhauses mit den Schreien der Verletzten mischen. Blutüberströmte
Männer rufen nach Ärzten oder Krankenschwestern. Mindestens 280
Palästinenser sind bei den israelischen Luftangriffen am Wochenende im
Gazastreifen ums Leben gekommen, mehr als 600 Menschen verletzt worden. Es
ist die größte Militäraktion im Gazastreifen seit Jahrzehnten.
"Mein Bruder hat noch gelebt, als er hier ankam, er hat mit mir
gesprochen", sagt Ahmed al-Gharabli unter Tränen. "Aber niemand hat sich um
ihn kümmern können, er ist gestorben." Ahmeds Bruder arbeitete bei der
Polizei der Hamas, wie viele der Opfer. Oft tragen die Leichen im
Krankenhaus Uniform, zerrissen und voller Blut. Das Hauptquartier der
radikalislamischen Hamas war eines der Hauptziele der israelischen Bomben -
weil die Palästinenserorganisation immer wieder Raketen auf Israel
abfeuert.
Im Al-Schifa-Krankenhaus rufen Krankenhausbedienstete über Lautsprecher die
sich vor der Tür drängelnden Angehörigen auf, die Leichen zu identifizieren
und mit nach Hause zu nehmen. Auch Asmaa Abdo ist gekommen, Mutter von zwei
Söhnen, beide Polizisten in der Ausbildung. "Man hat mir gesagt, dass meine
Söhne tot seien", klagt sie. "Aber niemand hier kann mir das bestätigen."
In der Klinik steht der Gesundheitsminister der Hamas, Bassem Naim, und
beklagt vor Journalisten die vielen Opfer. "Unsere Mittel sind zu
bescheiden, um mit diesem schrecklichen Massaker umzugehen", sagt Naim.
Hunderte Palästinenser im Gazastreifen durchbrachen am Sonntagnachmittag an
mehreren Stellen die Grenze zu Ägypten. Sie warfen Steine auf ägyptische
Polizisten und versuchten, mit einem Bulldozer Breschen in den Grenzzaun zu
schlagen. Die ägyptische Polizei eröffnete das Feuer, eine nicht näher
genannte Zahl von Palästinensern wurde verletzt.
In Israel, in der am nächsten zum Gazastreifen gelegenen Stadt Sderot, sind
die Straßen aus Angst vor Raketenangriffen menschenleer. Auch in der
Ortschaft Netivot ist die Angst zu spüren. Dort wurde am Samstag ein
Bewohner getötet, sechs wurden verletzt. Der 57-jährige Anwohner Avraham
Chen-Chatam ist wütend: "Wir müssen da ein für alle Mal Schluss machen und
hart zurückschlagen." Auch in Aschkelon leerten sich am Sonntag die Straßen
der 120.000 Einwohner zählenden Stadt, als eine Rakete im Zentrum
einschlug. Nach Angaben eines israelischen Polizeisprechers wurden seit
Beginn der Militäroffensive am Samstag mehr als 100 Raketen auf Israel
abgefeuert. Darunter waren auch zwei Grad-Raketen, die am Stadtrand der 30
Kilometer nördlich gelegenen Hafenstadt Aschdod niedergingen.
Die größte israelische Militäraktion gegen den Gazastreifen seit dem Krieg
von 1967 erfolgte als Reaktion auf den Raketenbeschuss radikaler
palästinensischer Gruppen nach dem Ende einer Waffenruhe zwischen Israel
und der Hamas am 19. Dezember. Die Armee bombardierte offiziellen Angaben
zufolge Ziele wie Ausbildungslager, Regierungsgebäude und einen
Gefängniskomplex, in dem sich auch mehrere Hauptquartiere von
Sicherheitsorganisationen der Hamas befinden.
Hamas und andere radikale Palästinenserorganisationen unterhalten viele
Einrichtungen in Wohngebieten des Gazastreifens. Am Samstag forderten die
israelischen Streitkräfte mehrere tausend Einwohner per SMS-Mitteilungen in
arabischer Sprache auf, Häuser zu verlassen, die von den Extremisten
genutzt würden.
Unter den am Wochenende getöteten Palästinensern sind auch der
Hamas-Polizeichef, Taufik Dschaber, sowie der Hamas-Sicherheitschef Ismail
al-Dschabari. Unmittelbar nach den Luftangriffen kündigte Hamas-Sprecher
Fausi Barhum an, dass Israel für das "Blutbad" einen hohen Preis zahlen
werde. Er forderte den militanten Flügel der Hamas auf, Raketen mit der
größten Reichweite auf Israel abzufeuern.
Erstmals seit dem Libanonkrieg im Sommer 2006 billigte die Regierung am
Sonntag die Einberufung von 6.500 Reservesoldaten. Israels amtierender
Ministerpräsident Ehud Olmert bereitete die Bevölkerung auf eine lange
Militäroperation vor und bat um Geduld, Entschlossenheit und
Durchhaltevermögen.
Zur Vorbereitung eines möglichen Bodeneinsatzes rollten am Sonntag
zahlreiche gepanzerte Fahrzeuge in Richtung Gazastreifen.
Verteidigungsminister Ehud Barak hatte zuvor den Militanten im Gazastreifen
gedroht, Israel werde notfalls mit Bodentruppen einmarschieren.
29 Dec 2008
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Bomben auf Gaza: Arabische Welt entsetzt und entzweit
Die Angriffe auf Gaza haben in der arabischen Welt für einen Aufruhr
gesorgt. Israel werden Kriegsverbrechen vorgeworfen. Doch gleichzeitig
flammt auch Kritik an der Hamas auf.
(DIR) UN-Sicherheitsrat fordert Ende der Gewalt: Arabische Staaten protestieren
US-Außenministerin Condoleezza Rice: Hamas ist für Eskalation
verantwortlich. UN, EU und Vatikan verlangen Stopp der Kämpfe.
(DIR) Kommentar Nahost-Konflikt: Mit voller Kraft gegen Hamas
Israels Militärschlag gegen die Hamas bestraft nicht nur deren Verhalten.
Vielmehr versucht Verteidigungsminister Barak im Wahlkampf mit harter Linie
gegen Islamistenherrschaft zu punkten.
(DIR) Luftangriffe im Gazastreifen: Israel will Hamas bestrafen
Mit der größten Militäraktion seit dem Krieg von 1967 wollen Israels
Politiker die Hamas in die Knie zwingen - und im Februar Wahlen gewinnen.
(DIR) Porträt Gabi Aschkenazi: Israels Armeechef vor erstem Test
Gabi Aschkenazi ist seit knapp zwei Jahren Generalstabschef der
israelischen Armee. Die jüngsten Militärschläge gegen Gaza sind für ihn die
erste große Bewährungsprobe.