# taz.de -- Neue Idee von Westerwelle: Hartz-Jugend zum Schneeschippen
> Der FDP-Chef will junge Hartz-IV-Empfänger in Berlin zum Eisräumen auf
> den Bürgersteigen verpflichten. SPD-Politikerin Nahles nennt Westerwelle
> einen Zyniker. Kritik kommt auch vom CDU-Sozialflügel.
(IMG) Bild: ALG-2-Empfänger an die Schaufeln! Im Rückgriff auf Arbeitsdienste ist die deutsche Politik traditionell ganz vorne mit dabei.
BERLIN/STUTTGART dpa/afp | Mit weiteren Auslassungen sorgt FDP-Chef und
Außenminister Guido Westerwelle dafür, dass die Debatte um einen angeblich
weit verbreiteten Mißbrauch staatlicher Sozialleistungen am Kochen bleibt.
Gegenüber der Bild am Sonntag hat er vorgeschlagen, junge
Hartz-IV-Empfänger zum Schneeschippen und Eisräumen in Berlin einzusetzen.
In der Stadt liege seit Wochen Eis und Schnee auf den Bürgersteigen, so
Westerwelle. Viele ältere Menschen würden sich schon gar nicht mehr aus dem
Haus trauen, weil sie Angst haben müssen, zu stürzen und sich etwas zu
brechen.
"Da könnte die Stadt doch junge Sozialleistungsempfänger zum Räumen der
Bürgersteige einsetzen", empfahl der Außenminister. "So praktisch ist das
Leben", fügte er hinzu. "Weite Teile der Politik haben sich davon
entfernt."
Generell sprach sich der FDP-Vorsitzende dafür aus, dass "jeder, der jung
und gesund ist und keine Angehörigen zu betreuen hat, zumutbare Arbeiten
annehmen muss". Wer sich dem verweigere, dem müssten die Mittel gekürzt
werden. Umgekehrt erwarte er "von unserer Sozialstaatsverwaltung, dass sie
jedem jungen Menschen auch ein Angebot macht", fügte der Vizekanzler hinzu.
Angesichts erneuter Vorstöße Westerwelles zur Überprüfung von
Hartz-IV-Leistungen verschärft auch die SPD noch mal den Ton in der
Auseinandersetzung. "Guido Westerwelle ist ein Zyniker, weil er
Geringverdiener gegen Arbeitslose in Stellung bringt, um von den wahren
Sozialbetrügern abzulenken, die Millionen an der Steuer vorbei ins Ausland
schaffen", sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles der Frankfurter
Rundschau. Die FDP habe mit ihrer Blockade von flächendeckenden
Mindestlöhnen bewusst dazu beigetragen, dass derzeit in vielen Branchen
Niedriglöhne unter Hartz-IV-Niveau gezahlt würden.
"Die ganze Diskussion ist doppelzüngig", sagte Nahles. "Man beklagt
Zustände, die man selber mit herbeigeführt hat, liefert aber keine Lösung,
sondern sorgt im Gegenteil dafür, dass der Niedriglohnsektor weiter
wächst."
Auch beim Koalitionspartner der FDP lässt sich nach zustimmenden Worten zu
Westerwelles Äußerungen wieder Kritik vernehmen. So macht der
CDU-Sozialflügel in der Hartz-IV- Debatte Front gegen den Chef der
Liberalen und geht auch den wirtschaftsnahen Flügel der eigenen Partei an.
Der sozialpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Karl Schiewerling
(CDU), lehnte pauschale Sozialkürzungen ab. Die schwere Wirtschaftskrise
sei "nicht den Empfängern von Grundsicherung zu verdanken, sondern (...)
den Finanzjongleuren", sagte er. "Ich halte das für ziemlich abwegig, in
der jetzigen Situation die Konsequenzen, die sich daraus ergeben,
denjenigen aufzuhalsen, die von Sozialhilfe abhängig sind."
CDA-Vize Christian Bäumler sagte: "Was mich an Westerwelle ärgert, ist,
dass er Stimmung gegen sozial Schwache macht, ohne konkret zu sagen, was er
verändern will." Um die Menschen aus Hartz IV herauszuholen, müsse man
ihnen auch Arbeit anbieten. "Und dafür müssen wir endlich gegen Missbrauch
bei Zeitarbeit vorgehen und Mindestlöhne einführen." Zeitarbeitern solle
nach sechs Monaten im Betrieb ein geregeltes Arbeitsverhältnis angeboten
werden müssen.
Die designierte rheinland-pfälzische CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner
hat Westerwelle vor neuen "Sticheleien" in der Diskussion über
Sozialleistungen gewarnt. "Der Sprachstil von Guido Westerwelle in der
Hartz-IV- Debatte war überzogen und damit eher ein willkommenes Geschenk
für die Opposition", sagte die Staatssekretärin im
Bundesverbraucherministerium. "Gegenseitige Sticheleien lassen unnötig
Emotionen hochkochen."
Klöckner forderte ein Ende polarisierender Äußerungen. "Ich wünsche mir
eine öffentliche Debatte über die Zukunft unseres Sozialstaates. Doch:
Statt zu polarisieren wäre es angebracht, sich über Ziele und Fakten zu
unterhalten."
Die CDU-Politikerin wies zugleich Kritik aus der FDP und aus den eigenen
Reihen an einem zu sozialdemokratischen Kurs ihrer Partei zurück. "Die CDU
war schon immer sozial - sie ist die Mutter der Sozialen Marktwirtschaft.
Die verschiedenen Stränge der Partei gegeneinander auszuspielen, wäre
unklug", sagte Klöckner. "Alle eint der Gedanke, die Familien, den
Mittelstand, die Mitte zu stärken und dem Einzelnen Würde und Freiraum zu
lassen."
Der Sozialverband VdK warf Westerwelle vor, Wahlkampf auf Kosten der Armen
zu machen. "Das Wahlkampfgetöse soll ihm die FDP-Klientel bei der
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gewogen stimmen", sagte
VdK-Vizepräsident Roland Sing der dpa. Es gebe aber viele, die
unverschuldet in Armut geraten seien; deren Versorgung habe nichts mit
"spätrömischer Dekadenz" zu tun, von der gesprochen hatte.
21 Feb 2010
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