# taz.de -- Helene Hegemanns Buchparty: Mit Restscham zum Teeniegeburtstag
       
       > Bei der Bookreleaseparty des Romans "Axolotl Roadkill" wurde auch der 18.
       > Geburtstag seiner Autorin gefeiert. Wer nahe genug dran war, für den war
       > das Phänomen Helene Hegemann kurz ganz greifbar.
       
 (IMG) Bild: Als Star wurde Helene Hegemann am Freitagabend jedenfalls nicht behandelt.
       
       BERLIN taz | Rote Luftballons. Happy Birthday. Und (leicht matschige)
       Schokoladencremetorte. Rund um den Debütroman "Axolotl Roadkill" der jungen
       Autorin Helene Hegemann war man in den vergangenen Tagen schon mit so
       einigen seltsamen Wendungen konfrontiert, mit Genieausrufungen,
       Hypevermutungen, Plagiatsvorwürfen und einigen Scharmützeln von
       Literaturkritikern untereinander.
       
       Nun kann man sich also auch mit der Frage herumschlagen, was denn wohl die
       Feier eines Teeniegeburtstags direkt vor dem versammelten Sachverstand
       unseres Literaturbetriebs zu bedeuten hat. War das Autorinnenvermessenheit?
       Wurde da die PR-Schraube noch eine Umdrehung höher gedreht? Na ja,
       zumindest ins Kalkül nehmen sollte man auch, dass ein wenig Ironie in
       dieser ganzen Angelegenheit inzwischen nicht schaden kann. Alle sind ja
       überhaupt so hoch ernst in diesem Fall. Spätestens an diesem Wochenende ist
       aber klar geworden, dass man durchaus auch einmal die Schrägheit dieser
       Sache in den Blick nehmen muss - um dann vielleicht irgendwann doch mal
       wieder zum Buch zurückkommen zu können.
       
       Am Freitag also feierte der Ullstein-Verlag die Bookreleaseparty des Romans
       "Axolotl Roadkill" und zugleich den 18. Geburtstag seiner Autorin. Die
       Party fand in den Techno-Katakomben des Berliner Clubs Tresor statt. Man
       darf berichten: Die ganze Durchgeknalltheit dieses Falls, aber auch seine
       flirrende Interessantheit zeigte sich in dieser Veranstaltung.
       
       Von außen wirkte sie erst einmal wie ein übrigens ziemlich dilettantisch
       organisierter Marketinggag. Bevor es losging, stand man als Erstes ziemlich
       lange vor den Türen des Tresor im Schneematsch herum. Ellenlange Schlange.
       Für Clubs typische, aber im Literaturbetrieb halt ungewohnte
       Türsteherarroganz. Überforderte Praktikantinnen mit der Gästeliste. Und in
       der Crowd überall Kolleginnen und Kollegen. Ganze Kulturredaktionen waren
       geschlossen angereist. Viele Kollegen zeigten sich event- und spaßbereit.
       Aber man war auch nicht allein mit seiner Restscham, diesen Auftrieb dann
       doch auch selbst mitzumachen.
       
       Drinnen dann eine seltsame Mischung aus Aufregung und dem unbedingten
       Willen, sich trotz aller Neugier kein X für ein U vormachen zu lassen. Zur
       einen Hälfte war es der übliche Betriebsausflug in unüblicher Kulisse. Und
       zur anderen Hälfte war es - das dann schon - etwas Hipperes, als man etwa
       in Literaturhäusern antrifft. Hipster, Eventprofis, Popvolk trafen auf
       viele Literaturbetriebsmitglieder, die sich erst einmal umguckten: Ah, so
       sieht so ein Club also in echt von innen aus. In der großen Zeit der
       Berliner Volksbühne, wo Helene Hegemanns Vater lange Dramaturg war (wie
       inzwischen aus den personalisierten Huntergrundstorys ein jeder weiß), sah
       es bei Premieren immer so gemischt aus. Aber für eine Romanpremiere ist das
       immer noch etwas anderes.
       
       Dann der Auftritt von Helene Hegemann. Keine besonders ausgefeilte
       Dramaturgie. Links hinter ihr blinkte das rote Herz, das immer da hängt.
       Direkt vor dem Mischpult des DJ las sie mit einer Freundin aus dem Buch.
       Das war der entscheidende Moment, wie man diesen Abend einordnen würde.
       Wirklich alles hing dabei davon ab, von wo aus man ihn mitbekam. War man
       etwas weiter weg, sah man nichts, hörte man schlecht und hatte spöttische
       Sätze von seinen Nebenleuten im Ohr.
       
       Es gab sicher viele Blogger im Publikum, die sich durch Dazwischenquatschen
       für alle Plagiate rächen wollten. Und es gab andere Menschen, denen es
       nicht ausreichte, tatsächlich unbeeindruckt vom Marketing zu sein , sondern
       die das auch allen Umstehenden beweisen mussten. Als Star wurde Helene
       Hegemann jedenfalls nicht behandelt. Stattdessen wurde sich bereitwillig
       über das Kleinmädchenhafte des Textes, das er stellenweise auch wirklich
       hat, lustig gemacht. War man also etwas weiter weg, konnte man sich fragen,
       was das Ganze überhaupt sollte.
       
       War man aber nah genug dran an der Lesung (man musste sich etwas
       durchkämpfen), konnte man etwas ganz anderes sehen: einen gerade volljährig
       gewordenen, talentierten Teenager, der sich darangemacht hat,
       Ausdrucksmöglichkeiten auszuprobieren, und damit erstaunlich weit
       durchgekommen ist. Das Moment von verschärfter Jugendliteratur, das
       "Axolotl Roadkill" eben auch hat, wurde in der Lesung direkt greifbar,
       gerade in den jugendlichen Stimmen, mit der hier ein bisschen pseudocool,
       frühreif und wichtigtuerisch von Sex und Drogen gesprochen wird.
       
       Das war keineswegs ein Moment der Entzauberung, sondern einer, in dem die
       Realität dieses Textes sich sogar gegen diese aufgeregte Debatte zumindest
       für einen Augenblick behaupten konnte. Überhaupt würde man ja jede Wette
       eingehen, dass es unter den vielen Käufern dieses Buchs - 100.000 sollen es
       jetzt schon sein - relativ wenige Leser gibt, die sich über die Härte des
       Lebens hinter der bundesrepublikanischen Konsensoberfläche informieren
       wollen oder die sich ästhetischen Gewinn beim Nachvollzug avancierter
       Collagedramaturgien versprechen. Und ziemlich viele junge Eltern, die
       versuchen, über dieses Buch einen Einblick in die Ausdruckswelt ihrer
       jugendlichen Kinder zu erhaschen.
       
       Man braucht den Ausdruckswillen von Helene Hegemann keineswegs nur rührend
       oder überhaupt nur unschuldig zu finden. Aber Anteile davon hat die ganze
       Sache schon. Wer überhaupt nicht sieht, dass im Zentrum dieser Aufregung
       eine Jugendliche steht, die immer noch nicht der Pubertät entronnen ist,
       verfehlt diesen Text. Wozu dann am Abend im Tresor auch die Luftballons und
       die Torte passten. Es war eben auch wirklich ein Teeniegeburtstag inklusive
       Kreischen unter Freundinnen und der einen oder anderen Zahnspange im
       inneren Zirkel der geladenen Gäste.
       
       Es ist ganz gut, dieses Moment von jugendlichem Ausprobieren, das die
       Lesung versprühte, zu bewahren. Man muss ihn neben die Debatten stellen,
       die da zuletzt geführt wurden. Wahrscheinlich war es einfach mal fällig,
       sich in Bloggerkreisen einmal darüber auszutauschen, wie viel Klauen
       untereinander okay ist und wie viel nicht mehr. Auf der Homepage des
       Ullstein-Verlages kann man inzwischen wie in einer
       Thomas-Mann-Gesamtausgabe genau aufgelistet sehen, welche Quellen Helene
       Hegemann wie verwendet.
       
       Literarisch unergiebig 
       
       Genauso fällig war es wohl, sich im Literaturbetrieb über zulässige Formen
       von Hypes auszutauschen - zumal der Betrieb mit den letzten, etwa den um
       Uwe Tellkamp, so anfechtungsfrei durchgekommen ist. Dass man drittens unter
       Literaturkritikern grundsätzlich über die Maßstäbe diskutiert, die an
       Romane herangetragen werden, ist sowieso eine Selbstverständlichkeit. Für
       all das lieferte Helene Hegemann einen Anlass. Aber das Buch selbst und
       seinen Erfolg hat man damit noch nicht gefasst.
       
       Wie an diesem Abend aber auch nicht. Schon kurz nachdem die Lesung vorbei
       war, fand man die ganze Veranstaltung im Tresor wieder ganz nett, aber,
       sagen wir so: literarisch unergiebig. Zu ihrer eigenen Realität fand sie
       etwa ab Mitternacht. Ab dann verkrümelte sich der Literaturbetrieb, und das
       übliche Partyvolk übernahm den Laden. Falls jemand gehofft oder auch
       gefürchtet haben sollte, dass von hier und heute ein neuerer, jüngerer,
       wilderer Literaturbetrieb ausgehen könnte, so verflog das schnell. Aber in
       Wirklichkeit hat das wahrscheinlich sowieso niemand gehofft oder
       gefürchtet. Auch die nicht, die das in der Debatte rund um diesen Roman
       nahegelegt haben.
       
       22 Feb 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dirk Knipphals
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Roman
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Zweiter Hegemann-Roman: Das (Anti-)Gesellschaftspanorama
       
       Nach „Axolotl Roadkill“ kommt jetzt Helene Hegemanns zweiter Roman, „Jage
       zwei Tiger“. Er ist ist ein großes, finsteres Lesevergnügen.
       
 (DIR) Hegemann liest im "Tresor": Axolotl Clubkill
       
       Helene Hegemann liest aus ihrem Buch "Axolotl Roadkill" - im Berliner Club
       Tresor. Warum unser Autor nicht hingehen will? Mit Lesebrillen ist nicht
       gut Rocken!
       
 (DIR) Hegemann auf Buchpreis-Shortlist: "Die junge Frau ist extrem begabt"
       
       Trotz Plagiatsvorwürfen steht die Autorin Helene Hegemann auf der Shortlist
       zum Preis der Leipziger Buchmesse. Ohne sie wäre die Liste aber auch ganz
       schön überraschungsarm.
       
 (DIR) Abdruckrechte für "Axolotl Roadkill": Plagiat-Streit beigelegt
       
       Der Ullstein-Verlag hat nachträglich die Abdruckrechte für die kopierten
       Passagen aus dem Buch "Strobo" eingeholt und wird diese ab der nächsten
       Auflage von "Axolotl Roadkill" kennzeichnen.
       
 (DIR) Debatte Hegemann und die Literaturkritik: Pikante Stellen
       
       Plagiat oder nicht? Darum geht es bei "Axolotl Roadkill" gar nicht. Die
       Debatte um Helene Hegemann legt den Zustand der Literaturkritik bloß
       
 (DIR) Plagiatsvorwurf gegen Jungautorin: Hegemann verteidigt sich
       
       Die gefeierte Jungautorin Helene Hegemann soll für ihren Roman "Axolotl
       Roadkill" aus einem Blog abgeschrieben haben. Sie selbst spricht vom "Recht
       auf Kopie".