# taz.de -- Merkel und Erdogan: Einig im Dissens
> Schon bevor die Bundeskanzlerin am Montag zu ihrem Staatsbesuch in der
> Türkei aufbrechen wird, sind die Differenzen laut und deutlich zutage
> getreten.
(IMG) Bild: Tayyip Erdogan: "Warum schlägt der Türkei solch ein Hass entgegen?"
Bevor Kanzlerin Angela Merkel heute in Ankara landete, war eigentlich schon
das meiste gesagt. In mehreren Interviews vor dem Besuch teilten sich
Ministerpräsident Tayyip Erdogn und Kanzlerin Merkel schon vorab öffentlich
mit, warum sie die Positionen und Forderungen der jeweils anderen Seite
ablehnen.
Den Auftakt machte Erdogan in der Zeit. Ausführlich legte er dort seine
Idee dar, warum türkischstämmige Kinder in Deutschland auch und vielleicht
sogar zuerst einmal Türkisch lernen sollten. Wer seine Muttersprache gut
beherrscht, lernt dann auch besser eine zweite Sprache, meinte der
türkische Ministerpräsident.
Das sah Angela Merkel dann allerdings gar nicht so. Türkische Schulen sind
kontraproduktiv für die Integration in Deutschland, befand sie gemeinsam
mit einem ganzen Chor aus CDU/CSU und diversen Verbänden. Auch SPD-Chef
Sigmar Gabriel wies Erdogans Vorstoß zurück, schlug aber zugleich vor, an
deutschen Schulen mehr Türkisch zu unterrichten. Durch die immer enger
werdenden Wirtschaftsbeziehungen zur Türkei würden Sprachkenntnisse immer
wichtiger. "Da haben die jungen Leute, die türkische Eltern haben, richtig
was zu bieten", sagte Gabriel.
Die Schuldebatte ist aber nur ein Symptom für den eigentlichen Streit
zwischen beiden Ländern. Seit Erdogan vor zwei Jahren vor einer mit
türkischen Einwanderern überfüllten Sporthalle in Köln die angebliche
Assimilation der Migranten als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit"
brandmarkte, wird in Deutschland gemutmaßt, dass die türkische Regierung
die Einwanderer in Europa als fünfte Kolonne für ihre eigenen Interessen
nutzen will. Mit Argusaugen werden deshalb die Bemühungen aus Ankara
beobachtet, den Kontakt zu den türkischstämmigen Migranten nicht abreißen
zu lassen.
Dieser Konflikt könnte dazu führen, dass das einzige konkrete Projekt, das
bei dem Besuch beschlossen werden könnte, doch noch scheitert. Seit Jahren
wird über die Gründung einer deutsch-türkischen Universität in Istanbul
diskutiert. Jetzt sind alle Verträge unterschriftsreif, die Uni könnte noch
in diesem Herbst starten, wenn das türkische Parlament nun schnell das
vorliegende Gesetz verabschieden würde. Zu dem Vorschlag Erdogans, im
Gegenzug doch auch eine türkisch-deutsche Universität in Berlin auf den Weg
zu bringen, hat Merkel bislang allerdings geschwiegen. Sollte Erdogan eine
Zustimmung zu dem Vorschlag zur Voraussetzung für die Uni in Istanbul
machen, könnte das ganze Projekt im letzten Moment noch platzen.
Auch bei den meisten anderen Themen scheint man sich vor allem im Dissens
einig. Merkels Insistieren auf einer "privilegierten Partnerschaft" statt
einer Vollmitgliedschaft in der EU wird in Ankara nach wie vor als Affront
empfunden und im Konflikt um die Lösung der Zypernfrage, die überhaupt erst
den Weg für erfolgreiche Beitrittsverhandlungen freimachen würde,
verdächtigt Erdogan Merkel, einseitig die Griechen zu unterstützen.
Bleiben die wirtschaftlichen Beziehungen. Merkel wird von etlichen
Wirtschaftsleuten begleitet, die Präsenz deutscher Unternehmen am Bosporus
wächst ständig, und die deutschen Exporte in die Türkei liegen mit einem
Volumen von 15 Milliarden jährlich in einem strategisch wichtigen Bereich,
wie der BDI-Chef Schnappauf Merkel mit auf den Weg gab. Doch auch für den
Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen hat Erdogan einen Wunsch, der bei Merkel
nicht gut ankommt:
Die Türkei drängt darauf, die Visabestimmungen für die Einreise nach
Deutschland wenigstens zu lockern, am liebsten hätte man es, wenn Türken
endlich auch visumfrei ins Schengen-Land reisen könnten. Das sieht Frau
Merkel allerdings nicht. Dafür müsste die Türkei erst einmal ihre Grenzen
zu Iran, Irak und dem Kaukasus dichtbekommen und außerdem zustimmen, dass
Flüchtlinge, die über die Türkei in die EU gekommen sind, wieder
zurückgeschickt werden können.
Tayyip Erdogan ist offenbar zutiefst frustriert über die Reaktionen aus
Berlin. Vor türkischen Journalisten sagte er am Sonntag: "Ich verstehe
nicht, warum der Türkei ein solcher Hass entgegenschlägt."
29 Mar 2010
## AUTOREN
(DIR) Jürgen Gottschlich
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Außenwirtschaft: Merkel preist deutsche AKW-Technik an
Ihre wirtschaftlichen Beziehungen seien gut, aber sie könnten noch besser
werden, meint Merkel – und wirbt in der Türkei für deutsche Atomkraft.
(DIR) Merkel und Erdogan: Plötzliche Harmonie
Tayyip Erdogan und Angela Merkel bemühen sich in Istanbul um
Schadensbegrenzung – Die Opposition in Deutschland kritisiert die Kanzlerin
scharf.
(DIR) EU-Beitritt der Türkei: Westerwelles Hosen
Außenminister Westerwelle befürwortet einen EU-Beitritt, die Kanzlerin
nicht. Das ist schade für Westerwelle: Der EU-Beitritt der Türkei ist das
einzige Thema, zu dem er sich klar äußerte.
(DIR) Integrationsdebatte: Türkisch nur als Nebenfach
Erdogans Forderung nach türkischen Gymnaisen in Deutschland sorgt für
Streit. Die Union pocht auf das Erlernen der deutschen Sprache. Grünen-Chef
Özdemir sieht "große Allergien" gegen alles Türkische.
(DIR) Merkel an türkische Migranten: Deutsch lernen gehört zum guten Ton
Die Kanzlerin fordert erneut die Integration der türkischen Migranten bevor
sie in den Flieger nach Ankara steigt und erteilt Erdogans Wunsch nach
türkischen Gymnasien in Deutschland eine Absage.
(DIR) Kommentar Türkei: Steiniger Weg zur Demokratie
Mit dem Vorgehen gegen die Extremisten in der Armee beginnt in der Türkei
eine Aufarbeitung der Geschichte. Erst danach wird das Land in Europa
ankommen.
(DIR) Machtkampf in der Türkei: Der Siegesrausch der AKP
Die regierende AKP hat den Machtkampf mit dem Militär gewonnen. Doch das
Ergebnis ist zwiespältig: Nicht mehr Demokratie, sondern Autoritarismus und
Islamisierung.