# taz.de -- Merkel und Erdogan: Plötzliche Harmonie
       
       > Tayyip Erdogan und Angela Merkel bemühen sich in Istanbul um
       > Schadensbegrenzung – Die Opposition in Deutschland kritisiert die
       > Kanzlerin scharf.
       
 (IMG) Bild: Merkel schenkte Erdogan eine tönerne Friedenstaube.
       
       Mit einer kleinen Geste der Versöhnung begann gestern Nachmittag der
       Staatsbesuch von Kanzlerin Angela Merkel in der Türkei. Offenbar in
       Anspielung auf die zuvor in etlichen Interviews ziemlich heftig
       ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten überreichte Merkel ihrem Gastgeber
       Tayyip Erdogan als Geschenk eine weiße Friedenstaube aus Ton, gefertigt von
       einem kleinen Mädchen.
       
       Versöhnlich ging es weiter: Während einer gemeinsamen Pressekonferenz
       verkündete Erdogan, dass das türkische Parlament noch am nächsten Tag ein
       lange vorbereitetes Gesetz über die Gründung einer deutsch-türkischen
       Universität in Istanbul verabschieden wird. Damit war klar, dass zumindest
       das eine für den Merkel Besuch geplante konkrete Ergebnis auch zustande
       gekommen ist. Merkel ließ im Gegenzug anklingen, dass ihre Ablehnung
       türkischsprachiger Schulen in Deutschland ja auch nicht so kategorisch sei,
       wie es vor dem Besuch geklungen hatte. Ihr sei nur wichtig, dass türkische
       Migranten in Deutschland beide Sprachen gut lernen, um ihre Chancen in der
       Gesellschaft wahrnehmen zu können.
       
       In der Frage des EU-Beitritts der Türkei betonte Merkel, dass sie natürlich
       Verträge einhalten werde und der Beitrittsprozess ergebnisoffen geführt
       werden solle. Bei den Iran-Sanktionen betonte Erdogan seine Anstrengungen,
       mit Teheran eine diplomatische Lösung zu erreichen. Er bat Merkel und alle
       anderen beteiligten Länder, dass die Türkei diese Bemühungen fortsetzen
       kann. "Auch wir wollen keine Atomwaffen in der Region", sagte er. Zu der
       Armenienfrage wiederholte Erdogan seine Position, dass Historiker und nicht
       Parlamente darüber entscheiden sollten, ob 1915 ein Völkermord
       stattgefunden hat oder nicht. Dem Ergebnis einer Historikerkommission werde
       man sich stellen.
       
       Insgesamt überwogen bei dem gemeinsamen Auftritt die versöhnlichen Töne,
       beide Seiten waren sichtlich um Schadensbegrenzung bemüht. Merkel wird
       heute in Istanbul gemeinsam mit Erdogan ein Konzert besuchen und
       anschließend vor einer deutsch-türkischen Versammlung von
       Wirtschaftsvertretern sprechen. Denn wenn es auch sonst mit der
       Verständigung hapert, der Warenaustausch immerhin floriert.
       
       In Deutschland stieß zeitgleich Merkels Türkei-Politik auf scharfe
       Ablehnung. Grünen-Parteichef Cem Özdemir sagte am Montag in Berlin, bei
       deutschen Vorgängerregierungen hätten Partnerländer immer gewusst, woran
       sie seien, "bei Merkel ist da nur ein Fragezeichen". Nach Ansicht Özdemirs
       sei die Politik von den bevorstehenden Landtagswahlen in
       Nordrhein-Westfalen geprägt: "Vieles folgt innenpolitischen Motiven."
       
       Insbesondere Merkels im Vorfeld der Reise geäußertes Beharren auf einer
       "privilegierten Partnerschaft" der Türkei zur EU lehnt die Opposition im
       Bundestag ab. Der SPD-Außenpolitiker Dietmar Nietan sagte der taz: "Merkel
       muss sich entscheiden, ob sie als CDU-Vorsitzende auf Reisen geht oder als
       gute Europäerin." Nach Ansicht des Türkei-Experten sollte die
       Bundesregierung alles daransetzen, dass die Beitrittsverhandlungen mit der
       EU weitergeführt werden wie vereinbart. "Ziel ist und bleibt der Beitritt",
       so Nietan, "die Kanzlerin setzt die falschen Signale."
       
       Auch die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen kritisierte "doppelte Standards"
       bei Merkels Europa-Politik. "Der EU-Beitritt wird als Faustpfand benutzt,
       um eine konfrontative Haltung der Türkei gegenüber dem Iran zu erreichen",
       sagte Dagdelen der taz, "das ist besorgniserregend."
       
       Dagdelen sagte weiter, "es ist nicht auszuschließen, dass Merkel mit ihren
       Äußerungen zur Türkei bewusst mit fremdenfeindlichen Ressentiments spielt."
       Wenn dies so sei, diene dies gerade nicht der von Merkel eingeforderten
       besseren Integration. "Auf dem Rücken von Migrantinnen und Migranten
       Wahlkampf zu machen, ist schäbig", so Dagdelen, die selber zu der
       Delegation gehört, die Kanzlerin Merkel auf der Reise begleitet.
       
       30 Mar 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) J. Gottschlich
 (DIR) G. Repinski
       
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