# taz.de -- Buch "This time is different": Der Was-passiert-dann-Staat
       
       > Angeblich kümmern wir uns darum, die öffentlichen Schulden zu verringern.
       > Trotzdem steigen sie seit 60 Jahren ungebremst. Griechenland zeigt nun,
       > dass es allmählich eng wird.
       
 (IMG) Bild: Mehr Geld, mehr Geld - was passiert dann?
       
       Staatsschulden? Kommt dieses Thema auf, wendet sich nicht nur die
       Linkspartei desinteressiert ab. Auch viele Liberale und Konservative
       beschäftigen sich höchstens theoretisch mit den offenen Rechnungen des
       Gemeinwesens. Die gemeinsamen Schulden spielen eine sehr geringe Rolle,
       wenn die Linkspartei mehr Jobs im öffentlichen Dienst fordert oder die FDP
       die Steuern senken will.
       
       Die Schulden sind halt da, sie nehmen eben zu. Nur Populisten und
       Nervensägen wie der Bund der Steuerzahler kommen auf die Idee, eine
       Schuldenuhr an die Fassade ihres Hauses zu montieren. Am Montagabend
       verzeichnete die Anzeige in der Französischen Straße in Berlin 1.691
       Milliarden Euro. Am Dienstagmorgen waren es bereits 1.694 Milliarden
       Defizit. Diese Summe haben sich die deutschen Regierungen in unserem Namen
       seit 60 Jahren zusammengeliehen.
       
       Wie die Forderung nach Wirtschaftswachstum gehört auch die öffentliche
       Verschuldung zu den kulturellen Konstanten dieses Landes. Wir haben uns
       daran gewöhnt, dass wir uns ständig mehr wünschen können. Dabei steigt das
       Niveau der materiellen Bedürfnisse und ihrer Befriedigung schneller als die
       ökonomische Kraft. Seit 1950 nahm die Wirtschaftsleistung Deutschlands von
       50 auf rund 2.500 Milliarden Euro zu - das Fünfzigfache. Die Schulden der
       öffentlichen Hand wuchsen im selben Zeitraum aber von umgerechnet neun
       Milliarden Euro auf das 175-fache. Was wir nicht erwirtschaften, pumpen wir
       uns dazu.
       
       Nun allerdings wird die Nonchalance etwas erschüttert. Ein wesentlicher
       Quell der Beunruhigung liegt ein paar Tausend Kilometer in südöstlicher
       Richtung. Griechenland steht kurz davor, dass der Staat die zunehmende
       Schuldenlast nicht mehr tragen kann. Wenn es so weit käme, würde die
       Regierung erklären, dass sie die Zinsen ihrer Staatsanleihen nicht mehr
       bedient. Athen wäre dann zahlungsunfähig und könnte keine Schuldpapiere
       mehr verkaufen, um zusätzliches Geld zu leihen. Diesen Fall will die
       Europäische Union unbedingt verhindern, weil damit der Wert des Euro in
       Gefahr geriete.
       
       Die Einschläge kommen also näher, wie man so schön sagt. Diesen Eindruck
       unterstützt das Buch "This Time is Different" (Dieses Mal ist alles
       anders), das die US-Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff geschrieben
       haben. Es trägt den Untertitel "Acht Jahrhunderte finanzieller Torheit",
       analysiert die weltweite Geschichte der Staatsbankrotte und Bankenkrisen
       seit dem 14. Jahrhundert und präsentiert Zahlen wie diese: Seit 1800
       konnten deutsche Regierungen achtmal ihre Schulden nicht bezahlen, das
       letzte Mal 1948. Griechenland ging in dieser Zeit nur fünfmal bankrott,
       zuletzt 1932.
       
       Das Buch enthält ein paar nützliche Hinweise, die die Ignoranz gegenüber
       dem Schuldenproblem in Frage stellen. Erstens: Die krisenbedingte
       Verschuldung des deutschen Staats hat möglicherweise noch nicht ihren
       Höhepunkt erreicht. Reinhart und Rogoff schreiben: "Im Durchschnitt steigen
       die Regierungsschulden in den drei Jahren nach einer Bankenkrise um 86
       Prozent." Deutschland hat seinen Schuldenberg seit 2007 aber erst um zehn
       Prozent erhöht.
       
       Zweitens: Nach anderen Bankenkrisen gehen die Staatseinnahmen normalerweise
       drei Jahre lang zurück. Die Bundesregierung rechnet dagegen bereits
       nächstes Jahr wieder mit mehr Steuergeld. Und drittens: Im Verhältnis zu
       den Staatseinnahmen eines Jahres hat die Staatsschuld in Deutschland schon
       heute die knapp vierfache Größe erreicht - in anderen Fällen war damit die
       Zahlungsunfähigkeit erreicht.
       
       Das muss alles nichts heißen, denn die Geschichte wiederholt sich nicht.
       Reinhart und Rogoff schreiben mit einem gewissen Erstaunen, dass es einigen
       reichen Staaten, darunter Spanien, Frankreich und auch Deutschland,
       gelungen zu scheint, ihrer Geschichte des wiederholten Staatsbankrotts
       vorerst zu entkommen. Andererseits ist es die erklärte Absicht der beiden
       Ökonomen, vor zu großer Selbstsicherheit zu warnen. Unter der Devise
       "dieses Mal ist alles anders" hätten Regierungen und Banken schon immer
       plausible Erklärungen produziert, warum die horrende Verschuldung überhaupt
       kein Anlass zur Sorge sei - trotzdem kam in hunderten Fällen der große
       Knall. Aus irgendwelchen Gründen verloren die Geldgeber das Vertrauen und
       die Gläubiger, seien es Staaten oder Banken, saßen plötzlich auf dem
       Trockenen.
       
       Was ist zu tun, um dieser Falle zu entgehen? Wir müssen uns von der
       Lebenslüge des Wirtschaftswunders verabschieden. Der Wachstumsglaube, der
       in jeder Regierungserklärung vorkommt, hat in der Praxis noch nie
       funktioniert - jedenfalls nicht langfristig. Selbst in den größten
       Boomphasen der Nachkriegszeit konnte Deutschland aus seinen Schulden nicht
       herauswachsen - das Defizit stieg mehr als die Wirtschaftskraft. Eine
       Politik, die dieser Erkenntnis Rechnung trägt, wurde bislang nicht
       erfunden.
       
       Künftig könnte die wahrscheinliche Lösung so aussehen: Die Bundesregierung
       - egal ob Mitte-rechts oder Mitte-links - wird eine Mischung wählen aus der
       Kürzung von Ausgaben, die von vergleichsweise schwachen Lobbygruppen
       verteidigt werden, einer Verlagerung von bislang öffentlichen Kosten in den
       privaten Bereich (Zusatzbeiträge für die Krankenkasse) und der massiven
       Erhöhung von Steuern. Der Spitzensteuersatz dürfte wieder über 50 Prozent
       steigen. Hinzu kommen höhere Abgaben auf Vermögen, besonders die bislang
       gering besteuerten Immobilien. Die Mehrwertsteuer wird ebenso wenig ein
       Tabu sein wie ihre grüne Variante, die Ökosteuer. Diese Eingriffe werden
       massiv ausfallen, denn erstmals müssen sie die bisherige Differenz zwischen
       leicht steigendem Bruttoinlandsprodukt und stark steigenden Schulden
       ausgleichen.
       
       Was das heißt, ist kaum zu überschätzen. Es bedeutet die Abkehr von einem
       seit 1949 von vier Generationen eingeübten Verhalten. Das den Bürgern zur
       Verfügung stehende materielle Niveau wird insgesamt nicht mehr zunehmen,
       sondern allenfalls stagnieren. Die Angehörigen der Mittelschicht werden
       sich von ihrer - jedenfalls finanziellen - Aufstiegshoffnung verabschieden
       müssen. Dieses Opfer dürften sie allerdings nur bereit sein zu bringen,
       wenn die Oberklasse ebenfalls Zugeständnisse macht. Ein so großer Zuwachs
       von Gewinnen und Vermögenseinkommen wie in den vergangenen 20 Jahren wird
       künftig nur noch um den Preis massiver sozialer Auseinandersetzungen
       möglich sein.
       
       Die schlechtere Variante: Altersversorgung ade 
       
       Und wie sähe, nur mal rein theoretisch, die schlechtere Variante aus? Wie
       wäre es, wenn die Staatsschulden weiter zunähmen und Deutschland
       schließlich die Zahlungsunfähigkeit ereilte?
       
       Am Beispiel Argentiniens im Jahr 2001 sind die möglichen Folgen zu
       besichtigen. Banken schlössen ihre Geldautomaten, Firmen und Privatleute
       könnten nicht mehr wirtschaften, die Arbeitslosigkeit grassierte und
       schließlich würden die Gläubiger des Staats partiell enteignet. Wer in der
       Vergangenheit die absolut sicheren Bundesobligationen und Schatzbriefe
       gekauft hat, bekäme vielleicht noch ein Drittel des ursprünglichen Wertes
       zurück. Damit löste sich die Altersversorgung von Millionen Menschen in
       Wohlgefallen auf.
       
       Natürlich wird dieser Fall beim langjährigen Exportweltmeister, im Land von
       Fischer-Dübel, PistenBully und Kärcher-Spritzen niemals eintreten. Auch
       wenn die FDP gerade dabei ist, mit ihrer Steuersenkung von 16 Milliarden
       Euro das jährliche Defizit um einige Milliarden zu erhöhen.
       
       14 Apr 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
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