# taz.de -- TAZ-SERIE SCHILLERKIEZ: Die Hauswartin: "Oma" packts an
       
       > Irmgard Rakowsky, 77, wohnt seit 20 Jahren im Kiez. Sie stand in Kneipen
       > hinterm Tresen und arbeitete die Schulden ihres Mannes ab. Dabei wollte
       > die frühere Wilmersdorferin eigentlich nie hierher.
       
 (IMG) Bild: Romajunge: Spielt nicht zu Hause, sondern Unter den Linden
       
       Die Oma vom Schillerkiez ist 77 Jahre alt, trägt Brille, weiße, kurze Haare
       und eine schwarze Fellweste über der leopardgemusterten Bluse. Mittendrin
       im Kiez wohnt sie, an der Schillerpromenade. Und das schon seit 20 Jahren.
       Oma heißt eigentlich Irmgard Rakowsky und ist Hauswartin eines beigen
       Altbau-Eckhauses. "Aber alle nennen mich hier bloß Oma."
       
       Besucher zieht die freundliche wie resolute Nichtrentnerin beim
       Begrüßungshandschlag förmlich in ihre Wohnung. Dann nimmt Rakowsky Platz
       auf ihrem roten Stoffsessel im Wohnzimmer. Eddie, der schwarze Kater mit
       dem Glöckchen, schläft rechts neben ihr auf dem Sofa. Kleine
       Porzellanfigürchen stehen in der Mahagoni-Schrankwand zwischen
       Hochzeitsfotos ihrer Kinder.
       
       Sie habe nie hierher gewollt, nach Neukölln, in den Schillerkiez, erzählt
       Rakowsky mit rauchiger Stimme. Nicht sie, die Wilmersdorferin. Aber ihr
       Mann war Neuköllner. Rakowsky gab schließlich nach und pachtete die
       damalige "Landebahn", eine Kneipe in der Kienitzer Straße. "Wenn du die Tür
       aufgemacht hast, fielen dir 100 Jahre Knast entgegen." Aber als ihr Mann
       zwei Jahre später starb, blieb sie - und wurde Hauswartin.
       
       Sie habe halt irgendwann gemerkt, was für ein eigentümlicher Zusammenhalt
       hier im Kiez herrsche. "Einer kennt den anderen, ohne ihm zu sehr auf die
       Pelle zu rücken. Aber wenn man was braucht, ist immer jemand da." Es klingt
       nach vergangenen Zeiten, wenn Irmgard Rakowsky vom "Schwatz auf der
       Straße", von der Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft spricht. Aber es
       funktioniert für sie noch immer: Der Nachbar zwei Häuser weiter kommt, wenn
       es was zu reparieren gibt, eine Bekannte geht für sie ab und an einkaufen.
       Selbst als Irmgard Rakowsky schon nicht mehr hinterm Tresen stand, kamen
       noch die Letzten zu ihr nach Hause, um ihre Bierdeckel-Schulden zu
       begleichen. "Arm, aber ehrlich", bilanziert Rakowsky. "Da hab ich mir
       gedacht: Hier bleibste."
       
       Irmgard Rakowsky passt in dieses Bild. Erst recht, wenn sie aufzählt, mit
       wem sie hier "ein Kiek und ein Ei" ist. Zehn Kinder hat sie großgezogen.
       "Vier mit dem ersten Mann, sechs mit dem zweiten." Mehrere Jahre arbeitete
       Rakowsky neben ihrem Hauswarts-Job im wohl derbsten Lokal des Kiezes, der
       Biker-Kneipe "Bierbaum", früher noch "Wild Side". Und als nach dem Tod
       ihres Mannes überall Schulden auftauchten, rackerte sie das Geld wieder
       ran. Allein.
       
       Für ihren Hauswarts-Job hat Rakowsky vor zwei Jahren "noch den PC und das
       Internet gelernt". Die Arbeit tue ihr gut, lacht sie. Drei Jahre läuft ihre
       Stelle noch. "Ohne den Job würde ich verblöden." In ihrem Flur hängen die
       Schlüssel der Mieter in Dreierreihen. Falls mal einer seinen verliert oder
       Rakowsky die Fische füttern soll. Sie gucke nicht in die Töpfe der Leute
       hier im Haus. Aber wenn jemand Sorgen hat, könne er jederzeit kommen. Oder
       auch mal für ein Glas ihrer selbstgemachten Marmelade. Die verschenkt sie
       bis heute an den Kindergarten und die Männer vom Dart-Verein nebenan.
       
       Verändert habe sich der Kiez, erzählt Rakowsky. Zuerst zum Schlechten. Das
       war Mitte der 90er-Jahre. Nach und nach machten da die Frisöre, Handwerker,
       Fleischer und der Wochenmarkt dicht, stattdessen kamen die Alkoholiker und
       der Müll. Gegenüber flogen Windeln aus den Fenstern auf die Straße.
       "Heftig" sei das gewesen, sagt sie.
       
       Seit einigen Jahren gehe es nun wieder bergauf. Das begann mit den kleinen
       Beeten, die einige Anwohner um die Bäume pflanzten. Auch Irmgard Rakowsky
       buddelte Primeln und Mädchenaugen an ihrer Straßenecke ein. Dann wurden
       erste Häuserfassaden saniert, die Schillerpromenade auf Vordermann
       gebracht, der Spielplatz neu angelegt. Heute seien es wieder viele junge
       Familien und Studenten, die sich bei ihr im Haus um Wohnungen bewerben
       würden. Der Wochenmarkt ist wieder da. Und selbst die Hundekacke sei
       weniger geworden.
       
       Sie sei ja gegen die Schließung des Flughafens Tempelhof gewesen, das
       bisschen Lärm habe niemanden gestört, winkt Rakowsky ab. Aber nun werde die
       Nachfrage nach Wohnungen in ihrem Haus weiter steigen. Die Mieten wohl
       auch. "Wir gehen da aber nur ganz sachte ran." Insgesamt läge der
       Schillerkiez ja "reichlich unterm Mietspiegel". "Schickimicki wird das hier
       eh nie werden", stellt sie klar. Das würde nicht passen. "Der Schillerkiez
       ist ein Arbeiterviertel - und bleibt ein Arbeiterviertel." Irmgard Rakowsky
       sagt das mit solcher Inbrunst, dass daran kein Zweifel bestehen kann.
       KONRAD LITSCHKO
       
       7 May 2010
       
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