# taz.de -- TAZ-SERIE SCHILLERKIEZ: Gentrifizierung: Das G-Spenst geht um
       
       > Jetzt, wo es einen riesigen Park im Viertel gibt, haben alle Angst: vor
       > steigenden Mieten, Verdrängung, der üblichen Gentrifizierungsspirale. Die
       > Bewohner streiten darüber, was man dagegen tun soll
       
 (IMG) Bild: Kein Ladenhüter: aus leeren Läden wie diesem im Schillerkiez entwickelt sich, was Soziologen gerne Gentrifizierung nennen
       
       Ein Gespenst geht um im Schillerkiez. Fassen lässt es sich nicht, noch
       hinterlässt es nur einzelne Spuren: hier ein paar renovierte Altbauten,
       dort ein Modeatelier oder eine Studentenkneipe in einer Ladenwohnung. Und
       ein Zaun, hinter dem Bagger das ehemalige Gelände des Flughafens Tempelhof
       in einen Park verwandeln.
       
       Das Gespenst, vor dem hier alle Angst haben, heißt Gentrification. Mit dem
       neuen "Central Park" im Nacken haben die Bewohner Angst vor steigenden
       Mieten. Zu Recht, wie der Stadtsoziologe Sigmar Gude meint, der mit seinem
       Planungsbüro Topos bereits viele Wohngegenden untersucht hat: "In Neukölln
       haben wir die niedrigsten Mieten von allen Innenstadtquartieren vorgefunden
       - auch im Schillerkiez dürften sie deutlich unter dem Berliner Durchschnitt
       liegen." Gude geht davon aus, dass dem Viertel "zumindest eine leichte
       Mietanpassung nach oben" bevorsteht. Schließlich stelle der Park eine
       deutliche Wohnumfeldverbesserung für die bislang ärmliche Gegend dar.
       
       Ein Sozialarbeiter, der mit seinem Projekt bereits aus dem
       "gentrifizierten" Teil Nord-Neuköllns in den Schillerkiez gezogen ist,
       sieht schon die Vorboten einer schleichenden Aufwertung und stöhnt:
       "Reihenweise renovierte Häuser, Entmietungen - jetzt geht es auch hier
       los."
       
       Bislang sind es nur schüchterne Vorboten, die auf eine Aufwertung
       hindeuten. Noch ist Ansichtssache, ob bereits ein paar Ateliers und
       Studentenkneipen das Gesicht des Viertels verändern. Oder erst die
       Townhouses, die der Senat entlang der Oderstraße plant. Für Gerhart, einen
       Aktivisten aus dem linken Stadtteilladen "Lunte", ist bereits die Arbeit
       des Quartiersmanagements (QM) ein Ärgernis. Mit Konzepten wie
       "Wohnumfeldverbesserung" oder "Aufwertung" verbindet der Hartz-IV-Empfänger
       vor allem eins: eine Strategie zur Verdrängung armer Einwohner. "Der Park
       soll gezielt besser gestellte Leute anziehen."
       
       Dem QM wirft Gerhart vor, nur als verlängerter Arm der
       Stadtentwicklungsverwaltung zu agieren. Beiden sei nicht ernsthaft an den
       Menschen im Kiez gelegen. "Das Gerede von sozialer Mischung ist doch
       Quatsch." In Wirklichkeit ginge es darum, den Kiez für die wohlhabende
       weiße Mittelschicht zu erschließen. Gerhart trifft sich jeden Montag mit
       Gleichgesinnten zur "Stadtteilversammlung". Etwa 40 bis 50 Leute kommen zu
       der Frage-Antwort-Stunde mit einem Mietfachmann, diskutieren über die Rolle
       des Quartiersmanagements oder erstellen Fragebögen zu Wohn- und
       Eigentumsverhältnissen im Kiez. Zusammen will man Strategien entwickeln, um
       die billigen Mieten zu erhalten. Einfach sei das nicht, räumt Gerhart ein
       und klagt über mangelnde Information über die Eigentümerstrukturen im Kiez.
       Das QM, mutmaßt er, habe dazu Informationen, rücke damit aber nicht heraus.
       
       Dass die Eigentumsverhältnisse im Kiez unübersichtlich sind, erschwert den
       Überblick. "Fast jedes Haus gehört jemand anderem", schätzt Sigmar Gude.
       Von den überwiegend privaten Eigentümern und wenigen Gesellschaften besitze
       niemand auch nur fünf Prozent aller Wohnungen. Immobilieneigentümer zu
       bekämpfen sei ohnehin der falsche Ansatz, findet Gude. "Es sind nicht die
       Vielverdiener, die rasante Mietentwicklungen verursachen." Der
       Verdrängungsprozess finde ganz unten statt, wo die ganz Armen durch etwas
       weniger Arme verdrängt würden: "Wenn drei Studenten zusammenlegen, verfügen
       sie zusammen über mehr Mittel als eine dreiköpfige Familie mit einem
       Verdiener."
       
       Sind am Ende die Studierenden für die Gentrifizierung verantwortlich? Oder
       doch eher geldgierige Vermieter, die ihre Chance wittern? Oder der Senat,
       der keine Mietobergrenzen setzt? "Das Viertel ist tief gespalten in der
       Gentrifizierungsfrage", beobachtet Reinhard Lange, der in der Selchower
       Straße eine Kommunikationsagentur für Kulturprojekte betreibt. Vor einer
       drohenden "Prenzlbergisierung" hätten alle Angst. "Aber es gibt verhärtete
       Fronten zwischen denen, die etwas verändern wollen, und denen, die wollen,
       dass alles so bleibt, wie es ist."
       
       Den Linken wirft Lange vor, einen sinnlosen Kleinkrieg gegen das QM zu
       führen, das immerhin Sozialprojekte wie die Stadtteilmütter auf den Weg
       gebracht habe. "Nix gestalten ist auch keine Lösung", sagt der Hamburger,
       der sich seit Jahren in der Kulturinitiative "Kulturtatort Schillerkiez"
       engagiert. Und fügt trotzig hinzu: "Wenn ich mit meiner kleinen Klitsche
       schon als Gentrifizierer gelte, dann ist das absurd."
       
       Während die einen sich nur ein bisschen Aufwertung wünschen, wollen die
       anderen jegliche Aufwertung verhindern. Beiden Ansätzen ist die Ohnmacht
       angesichtes eines unsichtbares Gegners gemein: Wo und wie die
       Gentrifizierung zuschlage, sei relativ unberechenbar, sagt Stadtsoziologe
       Gude. Ein Mittel gebe es aber doch gegen die Aufwertungsspirale: eine
       Vorgabe des Senats, bei Neuvermietungen nicht mehr als 20 Prozent über dem
       Mietspiegel zu verlangen.
       
       7 May 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nina Apin
       
       ## TAGS
       
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