# taz.de -- Fraktionschef Gysi über Linkspartei: "Zu lange mit uns selbst beschäftigt"
       
       > Linke-Fraktionschef Gregor Gysi über die neue Demonstrationskultur in
       > Deutschland und die langsame Entkrampfung im Verhältnis der Linkspartei
       > zur SPD.
       
 (IMG) Bild: Die Linkspartei will die politische Agenda mitbestimmen.
       
       taz: Herr Gysi, haben Sie Angst um die Linkspartei? 
       
       Gregor Gysi: Nein. Wir haben uns zu lange mit uns selbst beschäftigt. Das
       ist nie gut. Irgendwann interessiert es die Leute nicht mehr. Aber das
       haben bei uns jetzt fast alle begriffen.
       
       In Umfragen liegt die Partei zwischen 8 und 10 Prozent. Was hat die
       Linkspartei falsch gemacht? 
       
       Wir waren zum Beispiel bei Wehrpflicht und Bundeswehr zu spät. Wir sind für
       die Abschaffung der Wehrpflicht. Aber für eine kleine und reine
       Verteidigungsarmee ohne Offensivbewaffnung. Das hätten wir deutlich machen
       müssen. Bei der Integrationsdebatte gilt ähnliches.
       
       Zu Zeiten der Großen Koalition haben sie die SPD bei Hartz IV vor sich
       hergetrieben. Das geht nicht mehr, seit die SPD in der Opposition ist. 
       
       Naja, wenn die SPD die Rente mit 67 ein kleines bisschen korrigiert,
       erscheint das in den Medien als halbes Weltwunder. Unsere konsequentere
       Position erscheint da manchen dort als nicht mehr so interessant. Aber es
       stimmt: Wir waren als Korrektiv erfolgreich. Die SPD hat sich durch uns
       verändert, die Grünen, sogar die Union ein bisschen. Korrektive werden mal
       mehr, mal weniger gebraucht. Deshalb müssen wir jetzt zum Motor linker
       Politik werden.
       
       Wie das? 
       
       Wir müssen eigenständiger werden. Wir sind z. B. die einzigen, die gegen
       die Bundeswehr in Afghanistan sind, die einen größeren öffentlichen Dienst
       wollen - und auch sagen werden, wie man den finanzieren kann. Wir arbeiten
       an konkreten Ideen zum öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, den es
       nur gibt, wo wir mitregieren, in Berlin und Brandenburg.
       
       Aber die Akzeptanz der Linkspartei nimmt nicht nur im Westen, sondern auch
       im Osten ab. Statt 63 Prozent 2009 sagen jetzt nur noch 46 Prozent der
       Ostdeutschen, die Linkspartei wäre eine normale Partei. Im Westen sind es
       nur 20 Prozent. 
       
       Ich weiß gar nicht, ob ich in diesem Sinne normal sein will. Wir müssen als
       Partei außergewöhnlich sein. Außerdem ist es doch schön, wenn es eine
       Angleichung von Ost und West gibt. Unsere Umfrageergebnisse im Osten machen
       mir jedenfalls keine Sorgen.
       
       Herr Gysi, ist es eigentlich gesund für eine Partei, wenn sie nur eine
       einzige bekannte Führungspersönlichkeit hat? 
       
       Meinen Sie die FDP?
       
       Nein, aber der geht es damit auch nicht gut. 
       
       Die Rolle der bekannten Persönlichkeiten wird überschätzt. Ich mag ja etwas
       eitel sagen, dass es an mir liegt, dass ich so bekannt bin. Aber vor allem
       lag es an dem Zeitpunkt, als ich in die Politik wechselte. Nie war das
       politische Interesse in Deutschland so groß wie im Dezember 1989.
       
       Als die Partei zu Beginn des Jahres in einer Führungskrise war, haben Sie
       die Zügel in die Hand genommen - obwohl Sie in der Partei keine Funktion
       haben. Geht ohne Sie gar nichts? 
       
       Wenn ich morgen tot bin, wird es trotzdem weiter gehen. Wenn es mit mir
       aber besser geht, habe ich nichts dagegen. Man darf sich aber selbst nicht
       überschätzen.
       
       Die Linkspartei hat noch ein Problem. Viele protestieren gegen Atomkraft
       und Stuttgart 21, aber nicht mehr wegen Hartz IV. Der Protest wird
       bürgerlicher -ihre Partei profitiert davon nicht. 
       
       Wir sind in Stuttgart Teil der Bewegung. Das merken die Leute, auch deshalb
       werden wir bei den Landtagswahlen gut abschneiden. Aber es geht tatsächlich
       um Themen, die nicht direkt uns zugeschrieben werden. Das fordert uns
       heraus. In Stuttgart ist ein neuer rebellischer Zeitgeist entstanden. Die
       Mentalität ändert sich. Und es geht in Stuttgart auch um Soziales. Es regt
       die Leute auf, dass für solche Projekte Milliarden da sind, aber kein Geld,
       um die Toilette in der Schule zu reparieren. Das ist auch ein Ventil für
       den Frust über die schwarz-gelbe Regierung, die ganz offen
       Klientelinteressen bedient.
       
       Aber die Linkspartei hat davon nichts... 
       
       Abwarten. Bei Stuttgart 21 zeigt sich ein Demokratiedefizit. Das ist unser
       Thema, trotz unserer Vergangenheit.
       
       Wundert es Sie nicht, dass keiner mehr gegen das Sparpaket und die
       Mini-Erhöhung von Hartz IV protestiert? 
       
       Hartz-IV-Betroffene schämen sich zum Teil für ihre Situation. Viele
       verschweigen es ihren Nachbarn. Außerdem gibt es einen Gewöhnungseffekt.
       Manche haben resigniert. Diese Schicht geht im Moment nicht auf die Straße.
       Aber das kann sich auch schnell und unvorhersehbar ändern. Die
       Unzufriedenheit ist noch immer riesig.
       
       Als Sie im Bundestag über Stuttgart 21 geredet haben, haben auch SPDler und
       Grünen applaudiert. Hat sie das überrascht? 
       
       Auf jeden Fall ist es neu. Es gibt jetzt eine gewisse Normalisierung und
       Entkrampfung. Wir klatschen jetzt auch bei manchen Reden der Grünen oder
       Sozis. Das gab es früher nicht. Nach der Wahl des Bundespräsidenten haben
       die Klügeren in der SPD begriffen, dass es so nicht geht. Jetzt gibt es
       Gesprächskreise mit SPD und Grünen.
       
       Also ein Hoffungsschimmer für Rot-Rot-Grün? 
       
       Es ist alles im Fluss. Die SPD ist ja noch nicht mit sich fertig. Die
       Grünen sind noch enttäuscht, dass es mit der Koalition mit der Union wohl
       nichts wird. Also Vorsicht.
       
       Das zentrale Spielfeld für Rot-Rot-Grün ist derzeit NRW. 
       
       Ich bin gespannt, mit wem Rot-Grün ihren Haushalt durchbringen. Derzeit
       scheinen SPD und Grüne einen Kompromiss mit der Linken zu suchen. Es ist
       offen, aber es gibt sachliche Gespräche.
       
       Der nächste Konflikt mit der SPD ist absehbar: die Wahl Sachsen-Anhalt im
       März 2011. Die SPD liegt derzeit weit himnter der Linkspartei, wird aber
       keinen linken Ministerpräsidenten wählen. Was dann? 
       
       Das ist das Problem der SPD. Wenn wir stärker werden als die SPD, werden
       wir keinen Sozialdemokraten zum Ministerpräsidenten wählen. Das wäre ja
       dann die Regel für die nächsten 20 Jahre. Was hätten die Leute noch für
       einen Grund, uns stärker zu wählen?
       
       Das ist parteitaktisch gedacht. 
       
       Wenn Sie meinen. Aber wir lassen uns nicht demütigen. Dann blieben wir eben
       in der Opposition und die SPD müsste sich weiter verbiegen.
       
       8 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
 (DIR) Paul Wrusch
       
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