# taz.de -- Frankreichs Präsident in Erklärungsnöten: Sarkozys große Affäre
       
       > Schmiergeldzahlungen zur Wahlkampffinanzierung, Waffengeschäfte mit
       > Pakistan, ein Anschlag mit Toten: Was hat der französische Staatschef
       > damit zu tun?
       
 (IMG) Bild: "Was sag ich denn nur? Am besten nichts." - Nicolas Sarkozy.
       
       "Man nennt uns die Karatschi-Töchter" heißt ein vor wenigen Tagen
       erschienenes Buch über die Hintergründe eines Terroranschlags in Karatschi
       im Mai 2002. Diese mit von einer Pressekonferenz und Interviews begleitete
       Veröffentlichung schlug in Frankreich buchstäblich wie eine Bombe ein.
       
       Die Verfasserinnen, Magali Drouet und Sandrine Leclerc, sind beide 35 Jahre
       alt, beide haben im Mai 2002 ihren Vater bei einem Attentat im
       pakistanischen Karatschi verloren. Elf der insgesamt 15 Opfer des
       Sprengstoffanschlags auf einen Bus waren für die französische Rüstungswerft
       DCN beim Bau von drei Unterseebooten im Einsatz, die Frankreich 1994 zu
       einem Preis von umgerechnet 825 Millionen Euro an die Militärs der
       Regierung von Benazir Bhutto verkauft hatte.
       
       Sowohl von pakistanischer wie von französischer Seite wurde das Attentat
       sofort als Selbstmordaktion der al-Qaida bezeichnet. Erst viel später kamen
       Zweifel an dieser These auf. Eine ebenso plausible Erklärung führt nach
       Frankreich zu einem U-Boot-Handel und lässt schwerwiegende Verdächtigungen
       gegen höchste Politiker von damals und heute aufkommen.
       
       "Wir bevorzugen nicht die eine oder andere Spur. Unser Kampf ist gegen
       niemanden persönlich gerichtet. Auch wenn dies manchen als banal erscheinen
       mag, wollen wir ganz einfach Gerechtigkeit und die Wahrheit", erklären die
       beiden. Sie wissen, dass sie mit ihrer Hartnäckigkeit stören.
       
       In ihrem Buch schildern sie nicht nur alles, was sie inzwischen entdeckt
       haben, sondern auch, wie man in Frankreich versucht hat, die laufenden
       Nachforschungen und Ermittlungen zu blockieren. Dank des erzeugten Drucks
       in der Öffentlichkeit ist es den beiden gelungen, einige Persönlichkeiten
       zum Reden zu bringen, die bisher schwiegen.
       
       Diese erhärten den Verdacht, dass ein Teil von Schmiergeldern beim
       Rüstungsgeschäft nach Frankreich zurückfloss, um der illegalen Finanzierung
       von Wahlen zu dienen, und dass das Attentat in Pakistan als Racheakt die
       indirekte Konsequenz politischer Rivalitäten in Frankreich sein könnte.
       
       Diese These vertritt der Anwalt Olivier Morice: Der 1995 frisch gewählte
       Präsident Jacques Chirac habe seinen Konkurrenten, den vormaligen
       Premierminister Edouard Balladur, verdächtigt, einen Teil von
       Schmiergeldern von Vermittlern beim U-Boot-Verkauf zur Finanzierung seiner
       Präsidentschaftswahlkampagne in Form von "Retrokommissionen" zurückbekommen
       zu haben.
       
       Damit bezeichnet man in Frankreich den Rückfluss von Schmiergeldern. Die
       Korruption bei Rüstungsverträgen war bis 2000 legal. Ungesetzlich wäre es,
       wenn solche Rüstungsgeschäfte als Geldpumpe zur Finanzierung politischer
       Kampagnen gedient hätten, wie man es in diesem Fall vermutet.
       
       Trotz Bedenken seitens der DCN ließ Chirac die Zahlung der restlichen
       Korruptionsgelder stoppen. Laut einem von der Justiz sichergestellten
       internen DCN-Bericht mit dem Codenamen "Nautilus" war die Rache von leer
       ausgegangenen Bakschisch-Empfängern in Pakistan der wahre Grund für das
       Attentat von 2002. Das lässt sich bisher nicht beweisen. Aber der ehemalige
       Verteidigungsminister Charles Millon hat vor dem Untersuchungsrichter
       ausgesagt, er habe effektiv 1995 vom Geheimdienst Informationen über
       abgezweigte Korruptionsgelder erhalten und dies an den damaligen
       Generalsekretär des Élysée-Palasts, Dominique de Villepin, und an Präsident
       Chirac weitergeleitet.
       
       Villepin bestätigt, er habe den "dringenden Verdacht", dass solche
       "Retrokommissionen" existiert hätten. Das hat er gestern bei einer
       Einvernahme als Zeuge auf eigenen Wunsch auch dem Untersuchungsrichter
       Renaud Van Ruymbeke erklärt. Er lässt sich die Chance nicht nehmen, bei
       dieser Gelegenheit auch seinen Erzfeind Nicolas Sarkozy ins Zwielicht zu
       bringen.
       
       Der heutige Staatschef hatte nämlich 1994 als Budgetminister offiziell
       Kenntnis von der Korruption, er billigte persönlich die Gründung von zwei
       Offshore-Firmen (Heine und Eurolux) in Luxemburg für die Überweisung der
       Schmiergelder an libanesische und saudische Vermittler. Er war auch 1995
       Balladurs Kampagnensprecher und dessen engster Mitarbeiter. Darum zieht
       sich jetzt die Schlinge dieses "Karatschigate" um seinen Hals zu.
       
       Mit dieser dubiosen Gesellschaft Heine hat sich nämlich auch die
       luxemburgische Polizei beschäftigt, die zum Schluss kam: "Der Auftrag zur
       Gründung scheint direkt vom Premierminister Balladur und seinem Minister
       Sarkozy zu kommen." Und zu ihrem Zweck steht unmissverständlich: "Die
       Angaben lassen eine Form von 'Retrokommissionen' zur Finanzierung
       politischer Kampagnen vermuten." Weil dies von Sarkozy in Abrede gestellt
       wurde, publizierte gestern Libération die Ermittlungsakten aus Luxemburg.
       
       Sarkozy kümmerte sich aber auch viel später noch um Heine und vor allem um
       deren Verwalter Jean-Marie Boivin. 2006 ließ er Boivin 8 Millionen Euro aus
       Staatsgeldern zukommen. Zuvor hatte der diese Summe als Abfindung gefordert
       und laut Le Monde in einem Brief Drohungen ausgesprochen. Ob er sein Geld
       erhalten hat, ist ungeklärt, aber jedenfalls hat Boivin geschwiegen. Liegt
       eventuell Erpressung vor? Oder war diese Offshore-Firma elf Jahre nach
       Balladurs Niederlage, aber wenige Monate vor Sarkozys eigener
       Präsidentschaftskandidatur immer noch aktiv? Und wenn ja, mit welchen
       Aufgaben? Ungeklärt.
       
       Am Rande des Nato-Gipfels in Lissabon verwahrte sich Sarkozy ungehalten
       gegen "böswillige Anspielungen", die er vor wenigen Monaten noch etwas
       leichtfertig als pure "Fabel" bezeichnet hatte. "Wenn da wirklich etwas
       gegen mich vorläge, wäre das in den siebzehn Jahren rausgekommen, glauben
       Sie nicht?", fragte er jetzt die Journalisten, denen er bei diesem Anlass
       vorwarf, ihre Informationen zu wenig zu überprüfen.
       
       Er versprach immerhin, "zum gegebenen Zeitpunkt" würden Dokumente zum
       Unterseeboothandel zugänglich gemacht, die bisher als Militärgeheimnis
       unter Verschluss gehalten werden. Denn die Justiz bekommt nur zögernd
       Einsicht in die verlangten Akten. Während Verteidigungsminister Alain Juppé
       offiziell kooperieren will, untersagte Premierminister François Fillon eine
       Durchsuchung von Büros des Geheimdienste. Nun fiel auch der frühere
       Präsident Valéry Giscard d'Estaing dem jetzigen Staatschef in den Rücken:
       "Eine Liste der Empfänger der 'Retrokommissionen' existiert. Sonst wäre es
       nicht notwendig, sie zu verbergen. Mit militärischen Geheimnissen hat das
       nichts zu tun."
       
       Die Staatsführung um Sarkozy wird sichtlich nervös. Denn jetzt beginnen die
       Medien erst sich auch für ein anderes, viel größeres Rüstungsgeschäft der
       Regierung Balladur mit Saudi-Arabien zu interessieren, den Vertrag "Sawari
       II". Und gemäß Millon wurden, höchstwahrscheinlich über dieselben Kanäle
       und über dieselben Vermittler, dabei noch weit größere Beträge für die
       Korruption bezahlt und ebenfalls heimlich wieder an Empfänger in Frankreich
       zurückgeleitet.
       
       "Man spürt die Panik auf höchstem Staatsniveau", meinte dazu Magali Drouet.
       Sie befürchtet, dass die Staatsführung mit Ausflüchten ein weiteres Mal
       Zeit gewinnen wolle. "Unsere Väter sind nicht für Frankreich, sondern wegen
       Frankreich gestorben", sagt sie.
       
       26 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
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