# taz.de -- Ein Treffen mit Aung San Suu Kyi: Aus dem Gefängnis der Angst
> Die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wurde 8 Jahre von Birmas
> Regime unter Hausarrest gehalten. Ihre Freilassung ist kein Zeichen für
> eine Liberalisierung der Militärdiktatur.
(IMG) Bild: Nach 10 Jahren traf Aung San Suu Kyi ihren jüngsten Sohn Kim Aris wieder.
RANGUN taz | Auf der einen Straßenseite sitzen die Staatsspitzel und
beobachten die Umgebung. Es ist eine weite Straße, gut asphaltiert und ohne
Schlaglöcher - was in Birma schon sehr bemerkenswert ist. Und auch wenn sie
versuchen, möglichst unauffällig zu bleiben, ihre Kameras und Handys
verraten sie. Auf der anderen Seite warten ihre Anhänger. Etwa zehn
Sympathisanten hocken in einer Rikscha zusammen, kauen berauschende
Betelnüsse und haben davon rote Zähne. Sie verfolgen ihre Schritte.
"Denn wir wissen ja nicht, ob sie nicht wieder irgendwann ins Gefängnis
gebracht wird", sagt einer der Männer. Fast acht Jahre war sie Gefangene im
eigenen Haus - seit vier Wochen ist Aung San Suu Kyi nun frei. Sie saß
quasi in Einzelhaft, war isoliert, aber den Tausch von politischer
Abstinenz gegen Freiheit schlug sie stets aus. Am 13. November wurde die
birmesische Politikerin nach siebeneinhalb Jahren aus ihrem Hausarrest
entlassen. Und jetzt kann die 65-Jährige sich wieder frei bewegen - soweit
es in dem Militärregime überhaupt möglich ist.
Aung San Suu Kyi - eine Symbolfigur
Die University Street 54 in Rangun. Hier, am Inyasee, steht das Haus der
"Symbolfigur für den weltweiten Kampf für die Verwirklichung der
Menschenrechte" - so nannte Bundeskanzlerin Angela Merkel Aung San Suu Kyi.
Nicht weit entfernt befindet sich die Shwedagon Pagode. In diesem goldenen
Nationalheiligtum sollen der Legende nach acht Haare des Buddhas liegen.
Hinter einem hohen Holzzaun sitzt ein Mann auf einem provisorisch
zusammengezimmerten Hochstuhl und schaut sehr gelangweilt aus. Ist es
möglich, Frau Aung San Suu Kyi zu sprechen? "Nein, sie ist nicht da",
antwortet er höflich. Doch nur wenige Minuten wird die "Lady" - so wird sie
hier in Birma genannt - von einem Chauffeur durch das Eisentor gefahren.
Sie lächelt vom Rücksitz aus und winkt. Ist es nun möglich, sie zu
sprechen? "Nein, sie ist nicht da", sagt er wieder.
Vier Tage später, in der Zentrale ihrer Partei, der Nationalen Liga für
Demokratie (NLD). In dem unscheinbaren Bau hängen Bilder des Revolutionärs
Che Guevara und von Aung San, ihrem Vater, dem Vorkämpfer für Birmas
Unabhängigkeit. Und genau wie dieser wird heute seine Tochter in dem
größten südostasiatischem Land verehrt.
In einem der dunklen Büros sitzt Tin Oo. Er ist der Vizechef der NLD. Auch
ihn hat die Junta im Februar nach sieben Jahren Hausarrest freigelassen.
Der frühere Armeegeneral und Verteidigungsminister war in den 70er Jahren
in den Ruhestand versetzt worden, nachdem er sich mit der Militärführung
überworfen hatte. Wegen seines Engagements für die Opposition im Wahljahr
1990 geriet er erneut in Konflikt mit den Machthabern. Die Regierung nahm
ihn 2003 zusammen mit der Parteivorsitzenden Aung San Suu Kyi bei einer
Kundgebung fest. Seitdem hielten sie den heute 83-Jährige mit dem
tiefschwarzem Haar ohne Urteil in Haft. Seit seiner Freilassung ist er
wieder politisch aktiv. "Wir wollen unsere demokratischen Rechte", sagt er,
"Angela Merkel soll uns Oppositionelle stärker unterstützen." Und er
schiebt hinterher: "Sie muss uns helfen. Denn Merkel weiß doch, wie das
Leben unter einer Diktatur ist."
Hinter Tin Oo steht eine Goldbüste von Aung San Suu Kyi. Die Menschen hier
tragen ihr Bild am Revers, als Aufkleber oder gar mit Diamanten umrahmt.
Sie huschen durch die Räume, einige spielen Karten, Frauen kochen im
Eingangsbereich. Vor der NLD-Zentrale werden für umgerechnet wenige Cents
Souvenirs - Schlüsselanhänger und T-Shirts - mit ihrem Foto darauf
verkauft.
Dann taucht sie plötzlich auf und alle versammeln sich um sie, die
Friedensnobelpreisträgerin, die rund 15 Jahre in Hausarrest verbringen
musste. Aung San Suu Kyi ist an diesem Tag gekommen, um Mönchen Spenden zu
übergeben. Kerzengerade sitzt sie da. Sie hat ein gelbes, kurzes Jäckchen
und ein kariertes Longi - den traditionellen Wickelrock an. In ihrem
schwarzen Haar steckt eine gelbe Blume, sie lächelt unentwegt.
Aung San Suu Kyi klagt niemanden an
Sie sagt, "das einzige Gefängnis ist die Angst, und die einzige Freiheit
ist die Freiheit von der Angst". Aung San Suu Kyi klagt niemanden an, sie
verurteilt auch die Junta nicht. Diese Frau sucht den Dialog. Das Militär
habe sie während des jüngsten Hausarrests anständig behandelt. "Ich
wünschte nur, sie würden das Volk genauso behandeln", sagt sie in der
Zentrale ihrer Partei, die es offiziell eigentlich gar nicht mehr gibt.
Denn die NLD war im Mai aufgelöst worden, weil sie der Forderung des
Regimes nicht nachgekommen war, Aung San Suu Kyi aus der Partei
auszuschließen.
Die NLD organisierte sich daraufhin als Hilfsorganisation, um ihre
Strukturen aufrechtzuerhalten, und ist weiterhin in der Opposition aktiv.
An den gefälschten Wahlen am 7. November konnte die Partei deswegen nicht
teilnehmen. Zwar versucht Aung San Suu Kyi gegen das Parteiverbot
gerichtlich anzugehen, aber ein politisches Amt strebe sie nicht mehr an.
"Mein Hauptziel ist die Schaffung eines Netzwerks von Menschen, die für den
Prozess der Demokratisierung arbeiten", sagt sie.
Sie will die birmesische Junta nicht herausfordern, sondern eine
Vereinbarung mit den Generälen erreichen. Und was kann Deutschland machen,
um die demokratischen Strömungen in Birma zu unterstützen? "Es wäre schön,
wenn Deutschland sich stärker für uns einsetzen würde. Wir haben nicht das
Gefühl, dass in Deutschland großes Interesse an der birmesischen Opposition
besteht."
Birma, eines der ärmsten Länder Asiens und eine Diktatur. Das Land gilt als
so korrupt und ineffizient regiert, dass es beim "Weltreport der
Wirtschaftlichen Freiheit" regelmäßig auf einem der letzten Plätze landet,
noch hinter Simbabwe und dem Kongo. Nur in der Rauschgiftproduktion hält
der südostasiatische Staat einen Spitzenplatz. Suu Kyi war nur eine von
vielen Inhaftierten in dem Militärregime. Etwa 2.100 politische Gefangene
werden momentan von den Machthabern festgehalten, die Wahlen fälschen und
ethnische Minderheiten unterdrücken.
Die Medien sind gleichgeschaltet. In der überall ausliegenden Staatszeitung
The New Light of Myanmar werden täglich dieselben Losungen wiederholt:
"Zermalmt alle destruktiven Elemente!", heißt es da unter der Rubrik "Was
das Volk wünscht". Aung San Suu Kyi ist hier die "Hure des Westens". Neun
Magazine, die ausführlich über die Freilassung der
Friedensnobelpreisträgerin berichtet hatten, wurden inzwischen von der
Zensur verboten. Konkrete Gründe wurden von der Aufsichtsbehörde nicht
genannt, aber alle neun Magazine sind zuletzt mit Sonderbeilagen und großen
Fotos von Aung San Suu Kyi erschienen und jetzt von den Zeitungsständen
verbannt worden.
Aung San Suu Kyi, geboren 1945, studierte in Oxford
Aung San Suu Kyi, geboren 1945, ist die Tochter eines Generals, der 1947
für die Unabhängigkeit Birmas kämpfte und ermordet wurde. Sie studierte in
Oxford und lebte lange mit ihrem Mann, dem britischen Tibetologen Michael
Aris, in Bhutan. Zur Aktivistin für die Demokratie wurde sie im Jahr 1988,
als sie nach Birma zurückkehrte, um ihre Mutter zu pflegen. Kurz nach den
blutig niedergeschlagenen Studentenunruhen im selben Jahr wandte sie sich
zum ersten Mal mit einer Rede an die Öffentlichkeit und wurde im Juli 1989
erstmals unter Hausarrest gestellt. Die Wahlen von 1990, die ihre Partei
NLD mit gut 80 Prozent gewann, erkannten die Generäle nie an. Die folgenden
Jahre über wurde Aung San Suu Kyi immer mal wieder unter Auflagen aus dem
Gefängnis freigelassen, aber es fanden sich immer auch wieder Vorwände, um
sie erneut einzusperren - bis jetzt.
Aung San Suu Kyi hat ihr Zen-Lächeln aufgesetzt
Seit ihrer Freilassung ist die Menschenrechtlerin ununterbrochen unterwegs,
trifft sich mit Diplomaten, Politikern und Mönchen. Zehn Tage nach dem Ende
ihrer Gefangenschaft hat die Aktivistin Besuch von ihrem jüngsten Sohn
erhalten. Es war das erste Wiedersehen nach zehn Jahren. Als sie den 33
Jahre alten Kim Aris auf dem Flughafen in Rangun letzten Dienstag
verabschiedet, werden beide von Touristen und Einheimischen umzingelt und
unentwegt fotografiert, alle wollen ein Bild von ihnen und haben Fragen.
Aung San Suu Kyi hat ihr Zen-Lächeln aufgesetzt. Die Frau versucht den
Fragenden aus dem Weg zu gehen. Es ist fast so, als befänden sich gerade
zwei Popstars am Flughafen.
Nun soll ihr Leben auch verfilmt werden. Die Schauspielerin Michelle Yeoh,
bekannt durch ihre Rolle in dem "Bond"-Blockbuster "Der Morgen stirbt nie",
war bereits zu Besuch in Rangun. Der voraussichtliche Titel des Films
lautet: "Dans la Lumière" - "Im Licht".
14 Dec 2010
## AUTOREN
(DIR) Cigdem Akyol
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