# taz.de -- Sebastian Jungers "War. Ein Jahr im Krieg": Eine Art skrupulöser Waffengang
       
       > Der preisgekrönte US-Reporter Sebastian Junger sprach in Berlin über
       > seine Beobachtungen innerhalb einer im Osten Afghanistans stationierten
       > Einheit.
       
 (IMG) Bild: "Ich bin ein Liberaler. Ich habe die allergrößten Schwierigkeiten mit der Präsidentschaft von George W. Bush", beteuert Sebastian Junger.
       
       Light them all up, fire! Allright, hahaha, I hit them! Spätestens seit
       Wikileaks im Sommer letzten Jahres geheimes US-Filmmaterial unter dem
       reißerischen Titel "Collateral Murder" zusammenschnitt und ins Netz
       stellte, stehen die schockierenden Szenen, die dort zu sehen waren, für die
       US-amerikanische Kriegsführung schlechthin. Unter dem Gelächter der
       Beteiligten werden von Bord eines Kampfhubschraubers mit dem Namen "Crazy
       Horse" am 12. Juni 2007 über den Straßen von Neu-Bagdad zwölf Zivilisten
       von US-Soldaten erschossen, darunter zwei irakische Journalisten, die für
       die Nachrichtenagentur Reuters arbeiteten. Besser hätte man Kurt Tucholskys
       Satz, dass Soldaten Mörder sind, kaum belegen können.
       
       Seit dieser "Kommunikationspanne" hat die amerikanische Regierung, wie man
       so schön sagt, ein Problem. Und man wundert sich, dass sie Sebastian
       Jungers gerade auf Deutsch erschienenes Buch "War. Ein Jahr im Krieg" nicht
       längst nachgedruckt und den Mann auf Welttournee geschickt hat, um die
       Legitimationsprobleme zu beheben, mit denen sie seither zu kämpfen hat.
       Denn der Kriegsreport des 1962 geborenen, preisgekrönten US-Journalisten,
       zeigt die US-Armee von einer charakterfesteren Seite. Nicht, weil er den
       Krieg in Afghanistan, einer anderen Baustelle von Uncle Sam, schönmalt.
       Aber es ist doch eine Art skrupulöser Waffengang, den der Vanity-Fair-Mann
       einfängt, als er ein Platoon des 503. Infanterieregiments der US-Armee vor
       vier Jahren in den Osten Afghanistans begleitete.
       
       Im "Korenga Outpost" liegt diese Einheit an einem Tal, in das sich selbst
       die Sowjets nach ihrer Intervention 1979 nicht hineintrauten. "Wo die
       Straße aufhört, fangen die Taliban an", heißt es in der Filmversion des
       Buchs namens "Restrepo", für den Junger und sein Fotograf Tim Hetherington
       vor einem Jahr auf dem Festival von Sundance ausgezeichnet wurden.
       
       Junger, studierter Kulturanthropologe mit deutschem Großvater aus Dresden,
       ist kein Freund der US-Regierung. Auch wenn er als "Embedded Journalist"
       nach Afghanistan gehen durfte. "Ich bin ein Liberaler. Ich habe die
       allergrößten Schwierigkeiten mit der Präsidentschaft von George W. Bush",
       beteuert der Mann. Aber er ist auch kein Erich Maria Remarque. Selbst wenn
       er, ähnlich "unpolitisch" wie der Autor des Weltbestsellers "Im Westen
       nichts Neues", beteuert, es sei ihm nur darum gegangen, zu zeigen, was
       Krieg mit jungen Männern im Alter von kaum zwanzig Jahren macht.
       
       Befürworter der Berufsarmee dürften aufmerksam lesen, wie sie sich in der
       Wildnis hinter mannshohen Schutzwällen aus eingegittertem Geröll ohne
       Alkohol, Internet, Drogen, Sport und Frauen zu furchtsamen Kampfmaschinen
       verwandeln, die einmal im Monat duschen dürfen und jede Sekunde damit
       rechnen, getötet zu werden und selbst töten zu müssen.
       
       Doch "sobald unbeteiligte Zivilisten zu sehen waren, hörten die Soldaten
       auf zu schießen", gab der Autor vor zwei Tagen in Berlin zu Protokoll, wo
       er sein Buch bei einer merkwürdigen Veranstaltungsreihe der Bundeszentrale
       für Politische Bildung im Veranstaltungszentrum "Meistersaal" am Potsdamer
       Platz vorstellte. Ob der Antimilitarist und Pazifist Kurt Tucholsky, der in
       dem Haus 1921 Lesungen abhielt, in dem George Grosz eine Galerie betrieb,
       es gebilligt hätte, dass eine Veranstaltungsserie über "Amerika im 21.
       Jahrhundert" den Titel "Die Neue Weltbühne" trägt?
       
       Junger "respektiert" nach eigenem Bekunden "die Intentionen des
       Pazifismus". Lässt aber keinen Zweifel daran, dass er den "war in
       Afghanistan" für nötig hält. Der sensible Beobachter, dem es mit seinen
       Reportagen nicht um politische Stimmungsmache geht, sondern um pure
       Anschaulichkeit, klingt plötzlich wie ein Buchhalter, wenn er aufrechnet,
       dass nach dem Einmarsch der UdSSR Ende 1979 knapp zwei Millionen Zivilisten
       starben. Im gegenwärtigen Konflikt sind es "nur" 30.000.
       
       Angesichts der korrupten Regierung Karsai und der anhaltenden
       Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban hält er es für
       verantwortungslos, das Land zu verlassen: "Die Afghanen würden den Preis
       bezahlen." Junger sieht den Krieg am Hindukusch nur deswegen verloren, weil
       der völkerrechtswidrige US-Einmarsch in den Irak die nötigen Ressourcen von
       Afghanistan abgezogen habe. Thilo Sarrazins Buch hat Angela ja nicht
       gelesen; Jungers Buch dürfte größere Chancen haben.
       
       Mit seinem Kriegsreport führt er wieder einmal nicht gerade Unbekanntes
       vor: die Sinnlosigkeit des Krieges samt des Prozesses der Dezivilisierung
       derer, die ihn führen müssen.
       
       Beängstigender erscheint aber ein Befund, den er "Bruderschaft" und
       "Lebensintensität" nennt. Damit meint er das Gefühl von Zusammengehörigkeit
       und "Sinn", den die jungen Männer in ihrem Einsatz empfunden und sie zu
       einer verschworenen Gemeinschaft gemacht habe. Gefühle, die sie nie gekannt
       hätten, als sie ein Jahr zuvor in Cincinnati nach einem Job und einer
       Freundin suchten.
       
       Einer der GIs, mit denen Junger nach dem Einsatz Freundschaft schloss, habe
       ihm nach der Heimkehr in die Staaten gestanden: "I miss almost everything
       of it!" Der Krieg mag der Vater vieler Dinge sein. Aber drastischer hätte
       man die Herausforderung nicht illustrieren können, die Gustav Heinemann
       1969 so formulierte: "Der Friede ist der Ernstfall, in dem wir uns alle zu
       bewähren haben."
       
       6 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arend
       
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