# taz.de -- Zwei neue Bücher über Wikileaks: Sprunghaft, charismatisch, manisch
       
       > Wie tickt Julian Assange und wie taktiert Wikileaks? Ein tief
       > recherchiertes Buchporträt und eine Essaysammlung versuchen sich an
       > Antworten.
       
 (IMG) Bild: Pop-Ikone: Wer Wikileaks verstehen will, muss Assange verstehen.
       
       Wenn eine Organisation die dunkelsten Geheimnisse dieser Welt aufdecken
       wollte und sie hätte selbst eines – wie würde sie es wohl nennen? Bei der
       Enthüllungsplattform Wikileaks heißt es das "chinesische Paket". Kein
       Karton natürlich, sondern ein Paket aus Bits und Bytes. Würde man es
       auspacken, kämen wohl Daten über die russische Mafia und die indische
       Regierung ans Licht. Sicherlich interessant. Aber viel bemerkenswerter ist,
       wie diese Daten zu Wikileaks kamen. Sie wurden gestohlen und zwar
       chinesischen Hackern, die sie - wahrscheinlich im Auftrag ihrer Regierung –
       zuvor selbst geraubt hatten.
       
       Das "chinesische Paket" ist die Umschreibung dafür, dass ein großer Teil
       der Daten Wikileaks nicht von Whistleblowern zugespielt wurde. Zugleich ist
       es aber auch so etwas wie ein Geburtshelfer der Internetseite. Denn nur mit
       diesen Daten konnte Julian Assange, Mitbegründer und heute das prominente
       Gesicht des Projektes, bei Unterstützern damit werben, man verfüge über
       eine Million Dokumente, obwohl Wikileaks überhaupt noch nicht online war.
       Bis heute äußert sich Assange nicht zu diesem Thema, das Gros des Pakets
       ist noch immer unter Verschluss.
       
       Es sind Geschichten wie diese, welche den Reiz von "Staatsfeind Wikileaks"
       ausmachen, einem von zwei Büchern über das aufsehenerregendste
       Medienprojekt der jüngeren Vergangenheit. Geschrieben haben es die
       Spiegel-Journalisten Marcel Rosenbach und Holger Stark.
       
       Das andere Buch trägt den weniger martialischen Titel "Wikileaks und die
       Folgen", ein Sammelband des Suhrkamp-Verlags mit Texten aus der Feder
       verschiedener Autoren. Erschienen sind beide Bücher in der vergangenen
       Woche. Weitere werden folgen, denn die Geschichte des Kampfes zwischen den
       anarchistischen Enthüllern des Internetzeitalters und der Weltmacht Nummer
       eins, den USA, ist noch lange nicht auserzählt.
       
       Zwei Jahre recherchiert 
       
       Rosenbach und Stark haben in ihrem Buch das getan, was von
       Spiegel-Redakteuren erwartet wird – gründlich recherchiert. Vor über zwei
       Jahren, als kaum ein Mensch etwas mit dem Wort Wikileaks anfangen konnte,
       begannen sie, Informationen zu sammeln. Sachlich erzählen sie die
       Geschichte des im Juli 1971 in Townsville, Queensland, geborenen
       Australiers Assange, davon, wie dessen Eltern sich auf einer Demonstration
       gegen den Vietnamkrieg kennen lernen und bald wieder trennen; vom
       Nomadenleben, das Assange mit seiner Mutter führt, davon, wie er mit 18
       Jahren Vater und kurz darauf von seiner Frau verlassen wird.
       
       Ein Computer der Marke C64 weckt eine schicksalhafte Leidenschaft in
       Assange, noch bevor es das Internet gibt. Er wird ein Hacker, polizeilich
       überwacht und verurteilt. Er schließt sich einer Gruppe namens
       "Cypherpunks" an, die private Informationen verschlüsseln und staatliche
       Geheimnisse allen zugänglich machen will. Er reist viel. In Berlin campiert
       er in den Räumen des Chaos Computer Clubs, in Nairobi knüpft er auf dem
       Weltsozialform der Globalisierungskritiker Kontakte.
       
       Zusammen mit linken Aktivisten und Hackerngründet Assange Ende 2006
       Wikileaks, einen überwachungssicheren digitalen Briefkasten, dem
       Informanten geheime Dokumente anvertrauen können. Ein Jahr später
       veröffentlichen sie dort erste vertrauliche Berichte über Korruption in
       Kenia. Wirklich bekannt wird die Internetplattform aber 2010, als ein Scoop
       dem anderen folgt: das Video "Collateral Murder", Dokumente über die Kriege
       in Afghanistan und Irak, 250.000 Depeschen von US-Diplomaten – bis die
       spektakulären Enthüllungen durch die Vorwürfe von zwei Schwedinnen
       überlagert werden, Assange habe sie vergewaltigt.
       
       Das Buch von Rosenbach und Stark bietet vor allem Informationen – selbst
       recherchiert oder, wie das Gerücht vom "chinesischen Paket", durch eigene
       Nachforschungen erhärtet. Eine tiefergehende Analyse und Diskussion der
       Taktiken von Wikileaks und des Verhältnisses zwischen Internet-Aktivisten,
       Journalisten und Politikern fehlt allerdings. Wer das geboten bekommen
       möchte, sollte das Suhrkamp-Buch lesen, es ist so etwas wie das
       theoretische Begleitheft zu "Staatsfeind Wikileaks".
       
       Gold und Schrott 
       
       Hier schreiben teils bekannte Fachleute wie der Internetpionier Jaron
       Lanier, der US-Diplomat John C. Kornblum oder die Journalistin Mercedes
       Bunz. Sie reflektieren über die Macht der Hacker, die Auswirkungen auf das
       Internet, Politik und Diplomatie. Leider erinnert der Band selbst an
       Wikileaks – denn es findet sich Gold neben Schrott, Erleuchtendes neben
       esoterischem Gefasel.
       
       Gewinnbringend sind etwa die Ausführungen von Niklas Hofmann, der gelesen
       hat, was Assange bisher so geschrieben hat und dies mit den theoretischen
       Grundlagen der politischen Utopie des Anarchismus abgleicht. Wohltuend ist
       hier die fehlende Hysterie, in die deutsche Veröffentlichungen meist
       verfallen sobald das böse A-Wort auftaucht. Ebenso spannend zu lesen ist
       das ins Deutsche übersetzte Porträt Julian Assanges, das im Sommer 2010 im
       US-Magazin New Yorker erschien.
       
       Leider war es das dann auch schon zu Assange. Es ist aber nun einmal so:
       Wer Wikileaks verstehen will, muss Assange verstehen. Denn ob einem dessen
       zentrale Rolle bei der Plattform nun gefällt oder nicht, er hat sie inne.
       Mehrere Beiträge der Suhrkamp-Sammlung bezeichnen Wikileaks treffend als
       "single person organisation", ergehen sich im Beschreiben der Wichtigkeit
       des Hackers – und können doch nicht viel zu ihm sagen.
       
       Stattdessen dürfen amerikanische und deutsche Ex-Botschafter nochmals das
       hinreichend bekannte Lied vom Ende der Diplomatie singen. Und Lanier gibt
       mal wieder die traurige Rolle des erwachsen gewordenen Internet-68ers, der
       seine Jugend bereut und vor allem warnt, was er früher vertreten hat.
       
       Zugegeben, es ist nicht ganz leicht, etwas über Julian Assange
       herauszufinden, weil der eben nun einmal gern bestimmen will, was über ihn
       bekannt wird und was nicht. Dementsprechend erscheint er oft als
       verschwommene, wie hinter Milchglas stehende Figur.
       
       Schärfere Konturen 
       
       Deshalb ist die große Stärke des Buches von Rosenbach und Stark, dass sie
       Assange ein gutes Dutzend mal getroffen haben und es schaffen, seine
       Konturen etwas schärfer herauszuarbeiten. Sie zeigen zudem, welch
       konfliktreiche Geschichte ihn mit den USA verbindet und liefern damit
       zumindest eine mögliche Erklärung, wieso sich die Plattform mit ihren
       Veröffentlichungen so stark auf die Vereinigten Staaten konzentriert.
       
       Der intensive Kontakt der Autoren zum Wikileaks-Kopf hat allerdings auch
       seine Kehrseite. Als Vertreter eines Mediums, das bei drei Enthüllungen mit
       Wikileaks kooperiert hat, sind sie potenziell befangen. Das führt im Buch
       aber nicht dazu, dass sie Assange sichtbar schonen.
       
       Sprunghaft, charismatisch, manisch, gedanklich schnell, mit Verachtung für
       die etablierten Medien – so wird Assange gezeichnet; als libertärer Linker
       mit Hang zu Superlativen und Verschwörungstheorien.
       
       Basisdemokratie ist ihm fern. Den deutschen Wikileaks-Sprecher, Daniel
       Domscheit-Berg, der Kritik an ihm formulierte, warf er einfach raus. Einem
       isländischen Mitstreiter schrieb er: "Ich bin das Herz und die Seele dieser
       Organisation, ihr Gründer, ihr Sprecher, der erste Programmierer,
       Organisator, Finanzier und ganze Rest. Wenn du ein Problem damit hast,
       verpiss dich."
       
       Sätze wie dieser provozierten den Bruch mit engen Vertrauten. Seither gibt
       es immer wieder Scharmützel um die Deutungshoheit über Wikileaks und
       Whistleblower-Systeme allgemein. Domscheit-Berg ist jetzt dabei, mit
       Openleaks seine eigene, politisch möglichst neutrale Alternative
       aufzubauen. Der daraus erwachsende Konflikt der Whistleblower könnte sich
       zu einem Krieg auswachsen, wenn Domscheit-Berg im Februar seine Sicht auf
       Wikileaks veröffentlicht und Assange im April 2011 seine Biografie. Die
       Lektüre beiden in der vergangenen Woche erschienenen Bücher lohnt sich
       hingegen auch deshalb, weil sie vor diesem kommenden Kampf entstanden sind,
       vor dem Bedürfnis, sich für eine der beiden Seiten entscheiden zu müssen.
       
       Marcel Rosenbach, Holger Stark: Staatsfeind Wikileaks, DVA-Verlag München 
       
       Heinrich Geiselberger (Hg.): Wikileaks und die Folgen, Suhrkamp-Verlag,
       Berlin 
       
       Unser Co-Autor Michael Sontheimer war von 1992 bis 1994 Chefredakteur der
       taz, seitdem schreibt er für den Spiegel. Weil er sein Büro ein paar Meter
       neben Rosenbach und Stark hat, hat er selbst miterlebt wie gut die beiden
       ihre Kontakte zu Assange selbst in der eigenen Redaktion abgeschottet
       haben.
       
       30 Jan 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) M. Sontheimer
 (DIR) D. Schulz
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Algorithmen
       
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