# taz.de -- Anwältin über Flüchtlingsstrom nach Italien: "Der Exodus wird weitergehen"
       
       > Die italienische Regierung ist an der Notstandssituation auf Lampedusa
       > gelegen, sagt Anwältin Paola La Rosa. Mit der taz spricht sie über
       > Fluchtgründe und die Zukunft der Insel.
       
 (IMG) Bild: Der Notstand auf Lampedusa wurde künstlich herbeigeführt - kritisiert die Anwältin Paola La Rosa.
       
       taz: Frau La Rosa, in Lampedusa herrscht humanitärer Notstand. Wie kam es
       dazu? 
       
       Paola La Rosa: Am Donnerstagabend gegen 21 Uhr ging die Nachricht um, dass
       sich auf der Hafenmole 258 frisch eingetroffene Immigranten befänden. Das
       Innenministerium in Rom verfügte daraufhin, sie sollten dort im Freien
       übernachten. Das Aufnahmelager der Insel sollte auf keinen Fall geöffnet
       werden, obwohl es komplett funktionstüchtig war. In Wirklichkeit nämlich
       ist dieses Lager mit 850 Plätzen nie geschlossen worden; die
       Infrastrukturen sind perfekt in Schuss, und der Staat leistet es sich,
       weiterhin das Personal zu bezahlen.
       
       Was war die Folge? 
       
       Es war bizarr: Die Mitarbeiter des Lagers übernahmen die Betreuung und
       Versorgung der Immigranten mit Lebensmitteln oder Kleidung - durften das
       aber nicht im Lager tun. So wurde der Notstand gleichsam künstlich
       herbeigeführt. In jener Nacht sanken die Temperaturen auf 7 Grad. Erst als
       der Pfarrer sich bereit erklärte, die Flüchtlinge in der Pfarrei
       unterzubringen, wurden sie in Hotels geschafft. Doch der Abtransport mit
       Kleinbussen dauerte so lange, dass sie am Ende doch die ganze Nacht in der
       Kälte ausharren mussten.
       
       Wie ging es dann weiter? 
       
       Von Freitagnacht an eskalierte die Situation mit weiteren hunderten
       Ankünften. Doch das Innenministerium hielt stur an seiner Linie fest, das
       Lager nicht zu nutzen. Stattdessen kamen die Flüchtlinge in ein
       Seniorenzentrum und ins Zentrum der Naturschutzparkverwaltung, wo sie auf
       dem nackten Boden schlafen mussten - viele aber fanden selbst dort keinen
       Platz.
       
       Die Regierung hat darauf hingewiesen, dass Flüchtlinge sofort weggeschafft
       werden. 
       
       In der Tat wurde eine Luftbrücke nach Sizilien und zum italienischen
       Festland errichtet. Gleichzeitig aber kamen mehr Menschen an, als
       abtransportiert werden konnten. Erst am Sonntagabend kam endlich die
       Anweisung, das Lager doch zu öffnen. Am Montag hielten sich dort mehr als
       2.000 Personen auf. Damit hat sich die Situation etwas entspannt -
       weiterhin aber kommen Boote an. Das Problem der Regierung ist, dass sie
       auch nicht weiß, wo sie die Leute in Italien hinschaffen soll. Sie ist auf
       diese Situation überhaupt nicht vorbereitet, obwohl sie durchaus absehbar
       war nach dem Umsturz in Tunesien.
       
       Was ist von der Warnung des Innenministers Roberto Maroni zu halten, unter
       den Tunesiern könnten Al-Qaida-Kämpfer sein? 
       
       Meiner Meinung nach müsste der Mann sofort zurücktreten. Wenn es wirklich
       so wäre, dann wäre es ja noch gravierender, dass die Regierung sich auf
       diese Lage keinen Deut vorbereitet hat. Sie würde Lampedusa mit seinen
       6.000 Einwohnern - und in Zukunft ganz Italien - ja gleichsam einer
       Bedrohung überlassen, die sie nicht im Griff hat.
       
       Wie geht es weiter? Kommen immer noch Flüchtlinge an? 
       
       Genaue Zahlen habe ich nicht, aber in der Nacht zum Montag trafen wieder
       hunderte Menschen ein. Zurzeit verschlechtert sich die Wetterlage, wird das
       Meer rauer. Es ist nur zu hoffen, dass die Tunesier in den nächsten Tagen
       nicht in See stechen, weil sonst auch Katastrophen nicht auszuschließen
       wären. Doch sobald das Meer wieder ruhiger wird, wird der Exodus
       weitergehen. Die Tunesier, mit denen ich bisher gesprochen habe, kommen
       alle aus ganz wenigen Städten im Süden des Landes, aus Djerba oder Zarzis -
       anderswo hat sich die Nachricht von der neuen Ausreisemöglichkeit über See
       offenbar noch gar nicht herumgesprochen. Es ist also durchaus möglich, dass
       die Auswanderungswelle deutlich größere Ausmaße annimmt.
       
       Auch dass Menschen aus anderen Ländern den Weg über Tunesien wählen? 
       
       Das ist eine sehr realistische Möglichkeit. Wir dürfen nicht vergessen,
       dass tausende Personen aus Eritrea, Somalia und anderen Ländern in Libyen
       festsitzen, seitdem Gaddafi mit Italien in der Flüchtlingsabwehr
       kooperiert. Viele von ihnen könnten sich jetzt nach Tunesien aufmachen.
       
       Hatten Sie Gelegenheit, mit den Flüchtlingen zu sprechen? 
       
       Man trifft sie überall in der Stadt, an der Bar, oder wenn sie Zigaretten
       kaufen. Viele wollten auch gar nicht ins Lager, weil sie Angst vor
       Abschiebung haben. Die meisten sind junge Männer, die ganz entspannt mit
       den Italienern sprechen.
       
       Was wissen Sie über ihre Fluchtgründe? 
       
       Durchweg alle geben als erste Antwort: "Ich komme, um Arbeit zu finden",
       egal ob in Italien, Frankreich oder Deutschland. Ich sprach zum Beispiel
       mit einem, der sehr gut Französisch kann. Auf meine Frage, wieso er gerade
       jetzt flieht, da doch der Diktator gestürzt sei, gab er zurück, richtig
       frei werde Tunesien womöglich in zehn Jahren sein, so lange aber könne er
       mit seinen heute 26 Jahren nicht warten. Viele sagen, ich will jetzt erst
       mal Geld verdienen - und dann in einigen Jahren in ein freies Tunesien
       zurückkehren.
       
       In Tunesien waren sie arbeitslos? 
       
       Viele, mit denen ich reden konnte, haben bis vor Kurzem als Kellner oder
       Koch in den Hotels Südtunesiens, in Djerba und den anderen
       Touristenhochburgen gearbeitet. Doch infolge der Unruhen sind diese Hotels
       jetzt alle geschlossen, ist der Touristenstrom abgebrochen - und die früher
       in dieser Branche Beschäftigten stehen jetzt auf der Straße.
       
       Wie wird es auf Lampedusa weitergehen? 
       
       Wenn der Regierung nicht daran gelegen wäre, künstlich
       "Notstandssituationen" zu schaffen, dann würde sie sich auf einen starken
       Flüchtlingsstrom aus Nordafrika vorbereiten, würde sie schon im Vorfeld
       Schiffe und Flugzeuge für deren Weitertransport organisieren, statt wie
       bisher ihre Politik auch auf dem Rücken unserer Insel durchzuziehen.
       
       14 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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