# taz.de -- Öffentliche Haushalte in den USA: "Ground Zero" für Gewerkschaften
       
       > Mit Gehaltskürzungen und der Abschaffung von Tarifverhandlungen will der
       > neue Tea-Party-Gouverneur von Wisconsin seinen Haushalt sanieren. Das
       > gibt Ärger.
       
 (IMG) Bild: Sie wollen ihre Krankenversicherung nicht selbst bezahlen müssen: Tausende stürmten das Parlamentsgebäude in Madison, Wisconsin.
       
       WASHINGTON taz | "Kill the bill", skandieren sie. Und: "Respekt statt
       Diktat". Dazu schwenken die DemonstrantInnen US-Fähnchen und vereinzelt
       ägyptische Wimpel. Die hohe Kuppel des Kapitols in Madison verstärkt den
       Hall der Slogans. Das Foyer, die Galerien und die Gänge des massiven
       Gebäudes, aber auch die verschneiten Straßen rundherum sind schwarz vor
       Menschen. Sie wollen den Frontalangriff von Gouverneur Scott Walker auf das
       Einkommen, auf das Recht auf Tarifverhandlungen und auf die Finanzen der
       Gewerkschaften im öffentlichen Dienst von Wisconsin verhindern.
       
       Der republikanische Gouverneur, der erst sechs Wochen im Amt ist, kontert,
       Wisconsin sei pleite. Das Gesetz, das Walker vorgelegt hat, sieht vor, dass
       die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes künftig größere Teile ihrer
       Kranken- und Rentenversicherung selbst bezahlen. Das Ergebnis sind
       Einkommenssenkungen von bis zu 9 Prozent.
       
       LehrerInnen mit einem Jahreseinkommen von 50.000 Dollar können dabei mehr
       als 4.000 Dollar einbüßen. Gleichzeitig soll das Gesetz die Gewerkschaften
       schwächen: Es reduziert die Möglichkeit von kollektiven Lohnverhandlungen
       und Tarifverträgen gen null, und es schafft den Abzug der
       gewerkschaftlichen Mitgliedsbeiträge vom Lohn ab. Die einzig mögliche
       Alternative zu seinem Gesetz, sagt Walker, sei die Entlassung von mehr als
       12.000 Beschäftigten sowie die Streichung der staatlichen
       Gesundheitsversorgung für Kinder.
       
       Madison, die beschauliche Hauptstadt von Wisconsin, hat seit dem
       Vietnamkrieg keine Demonstrationen dieses Ausmaßes mehr erlebt. Früher
       einmal war der Bundesstaat eine Hochburg der Gewerkschaftsbewegung und der
       sozialistischen Bewegung in den USA. Dabei spielten die Nachfahren von
       deutschen EinwandererInnen, die nach der gescheiterten 48er Revolution in
       die USA gegangen waren, eine zentrale Rolle.
       
       Am Montag dieser Woche sind 2.000 Menschen zu einer ersten Demonstration
       nach Madison gekommen. Am Donnerstag, dem vierten Protesttag sind es
       bereits 25.000 bis 30.000. Am Freitag sind schon am frühen Morgen die
       meisten Schulen im Bundesstaat Wisconsin geschlossen. Viele LehrerInnen
       haben sich krankgemeldet, um zu den nächsten Protesten nach Madison zu
       fahren. Viele haben ihre SchülerInnen mitgenommen.
       
       In Washington gilt das, was in Madison passiert, als "Ground Zero" für die
       US-amerikanische Gewerkschaftsbewegung. Die Demokratische Partei und die
       Gewerkschaften haben ihre besten Leute nach Madison entsandt. Präsident
       Barack Obama nennt das Gesetz in einem Interview mit Medien aus Wisconsin
       einen "Angriff auf die Gewerkschaften". Führende RepublikanerInnen fordern
       ihren Gouverneur in Madison auf, durchzuhalten. Und der Fernsehsender Fox
       vergleicht die GegnerInnen des Gesetzes mit Bin Laden.
       
       Während immer mehr DemonstrantInnen nach Madison strömen, haben die 14
       demokratischen SenatorInnen den Regierungssitz am Donnerstagmorgen
       klammheimlich verlassen. Am späten Donnerstagnachmittag melden sie sich von
       einem Ort, dessen Namen sie nicht nennen wollen, beim Fernsehsender CNN,
       und erklären, dass sie erst zurückkommen, wenn der Gouverneur bereit zu
       Verhandlungen ist. Am Abend geben einige von ihnen Interviews im
       Nachbarbundesstaat Illinois.
       
       Im Senat von Wisconsin haben die RepublikanerInnen seit den Halbzeitwahlen
       19 Sitze. Das ist eine Mehrheit, die ausreicht, um das Gesetz anzunehmen.
       Aber um überhaupt darüber abstimmen zu können, ist die Anwesenheit von
       mindestens 20 SenatorInnen nötig.
       
       Zu Hause, in Madison, wütet Gouverneur Walker am Donnerstag Abend in einer
       Presskonferenz über die DemokratInnen: "Sie sollen gefälligst zurückkommen
       und die Arbeit erledigen, für die sie bezahlt werden." Er hat den Posten an
       der Spitze von Wisconsin mithilfe der Tea-Party-Bewegung erobert. Und
       bereits im Wahlkampf hatte Walker angekündigt, dass er die "Macht der
       Gewerkschaften" brechen will.
       
       Zur Rechtfertigung seines Gesetzes argumentiert der Gouverneur mit dem
       3,6-Milliarden-Dollar-Loch im Haushalt von Wisconsin. Er will bei fast
       allen 1.700.000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sparen - nur die
       PolizistInnen verschont er.
       
       18 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dorothea Hahn
       
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