# taz.de -- Libyens Diktator Gaddafi: Drei Säulen geschleift
       
       > Wie konnte sich der Diktator Muammar al-Gaddafi so lange an der Macht
       > halten? Er schränkte zentrale Gruppen der libyschen Gesellschaft in ihrer
       > Macht ein.
       
 (IMG) Bild: Will nicht abtreten: Muammar al-Gaddafi.
       
       Das libysche Regime ist eines der repressivsten der Welt. Die Tatsache,
       dass der selbsternannte Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi seit 42 Jahren
       an der Macht ist, hängt auch damit zusammen, dass er bei einem von ihm
       angeführten Putsch "Freier Offiziere" 1969 gleich drei tragende Pfeiler von
       Politik und Gesellschaft in ihrer Macht beschnitt: die Armee, die Stämme
       und das religiöse Establishment.
       
       Hinsichtlich der Streitkräfte gibt es einen wesentlichen Unterschied zu
       Ägypten. In dem Land am Nil war das Militär seit 1952 der zentrale
       Machtfaktor. In Libyen hingegen sorgte Gaddafi in den ersten beiden
       Jahrzehnten seiner Herrschaft für eine Schwächung der Armee - eingedenk der
       Tatsache, dass die meisten Regime in der Region durch einen Militärputsch
       gestürzt wurden. Auch in Libyen gab es die meisten Umsturzversuche aus den
       Reihen des Militärs.
       
       Gaddafis Ankündigung damals, die Streitkräfte perspektivisch durch eine
       "Volksarmee" zu ersetzen, sorgte für Unruhen in deren Rängen, ebenso die
       Tatsache, dass die Macht der Revolutionskomitees auf Kosten der Armee
       ausgebaut wurde und, ähnlich wie im Iran, eine parallele bewaffnete
       Struktur entstand. Gaddafi sorgte für eine schnelle Rotation unter den
       Kommandeuren oder zwang sie in den Ruhestand. Insofern sind Berichte aus
       Bengasi über Armeeeinheiten, die sich den Aufständischen anschließen, nicht
       überraschend.
       
       Etwas differenzierter stellt sich die Lage bei den Stämmen dar, die von der
       Regentschaft König Idris (1951-1969) profitiert hatten und das Rückgrat der
       libyschen Gesellschaft bilden. Wie viele - sich als revolutionär und modern
       verstehende - Führer sagte auch Gaddafi, der Beduinensohn, dem Tribalismus
       den Kampf an, entzog den Stämmen ihre administrativen Rechte, wechselte die
       Führungsschicht aus und erkannte die Grenzen ihrer Gebiete nicht mehr an.
       
       Doch Tribalismus und Stämme waren für Gaddafi auch in jenem ersten
       Jahrzehnt seiner Herrschaft zweierlei. Familie, Stamm und Nation stellen
       die Basis der Gesellschaft, zusammengeschweißt durch menschliche Wärme,
       Gruppenzusammenhalt, Einheit, Liebe. In späteren Schriften Gaddafis
       erscheint das traditionelle Leben auf dem Land in strahlendstem Licht.
       Selbst die strikte soziale Kontrolle und harte Arbeit sind ein durchaus
       positiv - und naiv - bewerteter Teil eines "ruhigen und glücklichen Lebens"
       in Freiheit.
       
       So ist es wenig verwunderlich, dass Gaddafi Anfang der 90er Jahre das Ruder
       herumriss, um seine Basis zu stärken, und den Stämmen wieder mehr Rechte
       einräumte. Seither sind die wichtigsten Stämme auch in den Streitkräften
       repräsentiert. Dies stärkte angesichts der Rivalitäten der Stämme
       untereinander zugleich seine Kontrolle über das Militär. Heute stellt sich
       allerdings die Frage, welche Rolle die Stammeszugehörigkeit in den Städten
       spielt, wenn es darum geht, sich für oder gegen Gaddafi zu positionieren.
       
       Das religiöse Establishment schließlich zeigte sich nach der Machtübernahme
       zunächst erfreut, dass der Revolutionsführer die Scharia einführte. Doch
       das währte nicht lange, denn Gaddafi forderte die Ulema, die islamischen
       Gelehrten, heraus, indem er ihre Rolle als Interpreten des Koran infrage
       stellte. Gaddafis Interpretation des Islam sieht nämlich nicht die
       Notwendigkeit einer Vermittlung zwischen Gott und den Menschen vor. Er
       änderte den muslimischen Kalender, was ebenso auf Kritik stieß wie die
       Tatsache, dass sich Gaddafis "Dritte Universaltheorie" nicht nur an die
       muslimischen Länder, sondern sich an die Dritte Welt insgesamt richtete.
       
       Diese Woche erklärte ein Bündnis von 50 Geistlichen, es sei die Pflicht
       aller Muslime, gegen die libysche Führung aufzubegehren, und forderte die
       Freilassung der festgenommenen Demonstranten.
       
       22 Feb 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Beate Seel
       
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