# taz.de -- RAF-Film "Wer wenn nicht wir": Nachkrieg und Verzweiflung
       
       > Westdeutschland in den frühen 60er Jahren: Andres Veiels Spielfilm "Wer
       > wenn nicht wir" erzählt eine der Vorgeschichten zur Entstehung der RAF.
       
 (IMG) Bild: Konnten der Inszenierung der Verlobung nicht widerstehen: Bernward Vesper und Gudrun Ensslin in "Wer wenn nicht wir".
       
       Filme über die Rote Armee Fraktion bilden in Deutschland inzwischen ein
       eigenständiges Genre. Und wie der "Baader Meinhof Komplex" von Uli Edel und
       Bernd Eichinger 2008 zeigt, sind sie in der Lage, ein breites Publikum
       anzusprechen. Der Grundkonflikt der alten Bundesrepublik bewegt immer noch,
       auch wenn sich die RAF mit Ende des Kalten Kriegs längst aufgelöst hat.
       
       Vieles aus der damaligen Geschichte ist bis heute ungeklärt, verborgen
       unter dem ideologische Korsett einer erbittert geführten
       Auseinandersetzung. Nach seiner Premiere auf der Berlinale im Februar kommt
       nun Andres Veiels Spielfilm "Wer wenn nicht wir" in die Kinos. Er fügt dem
       Genre eine weitere Facette hinzu und zoomt die Familiengeschichte der
       RAF-Mitbegründerin Gudrun Ensslin sowie ihres zeitweiligen Lebensgefährten
       Bernward Vesper aus den 60er Jahren heran.
       
       Der 51-jährige Veiel biografisiert in seinem ersten Spielfilm die Früh- und
       Vorphase der RAF. Gudrun Ensslin, die Pfarrerstochter aus Tuttlingen,
       Bernward Vesper, der Sohn des Nazischriftstellers Will Vesper, waren in den
       frühen 60ern ein zumindest für Tübingen schillernd zu nennendes Paar. Sie
       zogen schließlich nach Berlin, wo Gudrun Ensslin über Andreas Baader den
       Weg zum Aufbau der westdeutschen Guerilla fand, während Bernward Vespers
       Abzweigung über Literatur und Drogen in die Psychatrie führte. Es sind zwei
       Lebensläufe, die aus der Normalität des Postfaschismus in die Extreme von
       68 führten und die sehr viel von den Konflikten der alten Bundesrepublik
       erzählen.
       
       Regisseur Veiel, der 2001 den Dokumentarfilm "Black Box BRD" drehte,
       gelingen in "Wer wenn nicht wir" teilweise grandiose Spielfilmszenen. Vor
       allem in den Sequenzen, die von den 1960ern, vom Kennenlernen und der Liebe
       zwischen Gudrun Ensslin und Bernward Vesper erzählen. Die beiden
       Hauptdarsteller - August Diehl als Bernward Vesper, aber vor allem Lena
       Lauzemis als Gudrun Ensslin - nutzen ihre Freiheiten, die bislang filmisch
       nicht ausgedeuteten Lebensabschnitte Ensslins und Vespers zu
       interpretieren. Lauzemis Gudrun Ensslin rechtfertigt allein schon den
       Kinobesuch.
       
       Die Vorphase der RAF-Gründung lag bislang zumeist unter einer ikonografisch
       wirkenden Bildsprache der späteren Ereignisse begraben. Veiels Film
       inszeniert hingegen zunächst keine Fahndungs- und Protestästhetik. Er
       nähert sich vielmehr über den Alltag zwei wachen und leidenschaftlichen
       Jugendlichen an, die nach Leben gieren und es noch weitgehend vor sich
       haben. Bernward und Gudrun haben beide Sinn für exzentrische
       Inszenierungen, lernen sich beim Rhetorikstudium des berühmten Walter Jens
       in Tübingen kennen. In der Provinzstadt werden sie sich ausprobieren und
       ihre naiv-familiäre Unschuld verlieren. Kulissen und Inventar sprechen
       kulturell davon, dass das nationalsozialistische System erst 15 Jahre zuvor
       besiegt wurde.
       
       ## Psychosen der NS-Elterngeneration
       
       Das tradierte Familienleben gleicht häufig noch einem Schlachtfeld.
       Nachgeborene wie Gudrun und Bernward werden von den Psychosen der
       NS-Elterngeneration bedrängt, die nachfaschistische Gesellschaft hat sich
       noch nicht gefunden. Bernward Vesper, Jungkritiker und Jungverleger mit
       starkem Drang zu Liebe, Sex und Rockn n Roll, will zugleich freier Mensch
       sein, aber auch das völkische Schriftgut des Vaters pflegen. Die emotional
       versteinerte Mutter bezeichnet Bernward in einer Filmszene als "Kreatur des
       Führers" - und das meint sie positiv. Vater Ensslin, der Pfarrer, hingegen,
       ist ein moralisierender Antifaschist, aber leider auch verhinderter
       NS-Widerstandskämpfer. Die Gudrun soll es besser machen. Zumindest beim
       Beten wird sie es später nicht belassen.
       
       Die Vorgeschichte von 68 ist eine zumeist schon vergessene - zu Unrecht,
       wie Veiels Film deutlich macht. "Wer wenn nicht wir" rückt familiäre
       Konfrontationen aus politischen Gründen in den Blickpunkt, die für die
       Nachkriegsjugend oft unvermeidbar gewesen war. Menschen wie Bernward Vesper
       lebten ein schizophrenes Leben: Nachlassverwaltung väterlicher NS -Prosa
       und Herausgabe von Black-Power-Schriften, das ging alles viel zu schnell,
       wie man heute weiß. Studieren bei Jens, rezensieren für die Deutsche
       Nationalzeitung, Warenhäuser anzünden -ein schmaler Grat trennte das eine
       von dem anderen und kündigte den baldigen Generationenbruch an.
       
       Veiels Film inszeniert dabei die junge Gudrun Ensslin als herausragende
       Persönlichkeit. Eine, die allerdings in ihrer Entwicklung auf extreme
       Männer fixiert bleibt. Eine sensible Frau mit Hang zu existenzieller
       Dramatik, die, nachdem sie die freie Liebe mit Bernward in Tübingen immer
       stärker als Betrug erlebt, in eine Alpenhütte reist und zur
       Genitalselbstverstümmelung schreitet - eine Szene, die Veiels Film wohl als
       frühen Selbstmordversuch interpretiert.
       
       Der unreife und verhätschelte Bernward Vesper ist jedenfalls nicht der
       Mensch, der Gudrun Ensslin weiterhelfen kann. Der entschlossene und
       charismatische Andreas Baader, der urplötzlich Gudruns Leben und Veiels
       Film betritt, schon eher, auch wenn der Film-Baader in "Wer wenn nicht wir"
       so blass bleibt wie fast alles, was auf die starke Tübinger Phase folgt.
       
       Für die Beziehung Vesper/Ensslin findet Veiel Bilder, die man noch nicht
       kannte. Die Härte des deutschen Tons, die Nachkriegskultur mit ihren miesen
       Umgangsformen stellt der Film gut dar. Von wegen heutige
       Bussi-Bussi-Gesellschaft - es gibt und gab weitaus Schlimmeres. Veiel
       verklärt hier nichts: Gudrun und Bernward, die Kommunarden und später die
       RAF sprechen in den Filmdialogen über weite Strecken genauso roh wie die
       verhasste deutsch-deutsche Gartenzwergumgebung. Doch gelingt es Veiel
       nicht, die persönliche Geschichte mit der großen plausibel zu verbinden.
       
       ## Ein Baby und Kleinkind
       
       Veiel scheint seiner künstlerischen Fiktion zu wenig zu trauen und will
       dann doch lieber objektiver Geschichtenerzähler bleiben. Die Einblendungen
       dokumentarischer Sequenzen von Atombombenzündungen oder Vietnamkrieg machen
       jedoch ästhetisch keinen Sinn, sie wirken ideologisch und schablonenhaft.
       Genau wie Teil zwei des Films, in dem die Entstehungsphase der RAF
       nachgestellt wird. Der Regisseur scheint sich hier nicht wirklich zwischen
       Dokumentation und Spielfilm entscheiden zu können. Sein Baader bleibt so in
       der medial vorgestanzten Inszenierungsspur, das naturalistisch
       nachgestellte Kommunarden- und RAF-Frühgequatsche hat keinen Glam, die
       Bettszenen erscheinen unfreiwillig verklemmt und hölzern.
       
       Veiel fehlt in diesen Filmpassagen die Respektlosigkeit vor dem großen
       Stoff, die er in "Wer wenn nicht wir" nur bei der Inszenierung der frühen
       Liebensbeziehung von Ensslin und Vesper findet. So gleitet sein Film gegen
       Ende in das erwartbare Hysterische und in ein Heuldrama ab, in dessen
       Mittelpunkt ein Baby und Kleinkind steht, für das dieser Film überhaupt
       kein Instrumentarium findet.
       
       Dabei wäre gerade der 1967 geborene Felix, Sohn der Gudrun Ensslin und des
       Bernward Vesper, Sohn zweier an sich und der frühen Bundesrepublik
       Gescheiterter, vielleicht der perspektivische Schlüssel gewesen, um aus dem
       Jetzt und Heute an die Geschichte heranzugehen, einen Fluchtpunkt zu finden
       und ihr am Ende eine neue Wendung zu geben. So viel Freiheit muss Kunst
       sich nehmen.
       
       "Ich wurde einem Paar geboren, das zwar der Inszenierung einer Verlobung
       nicht widerstehen mochte, aber, getrieben durch die aufkommende Winde des
       Zeitgeistes, am Hafen der bürgerlichen Ehe vorbeisegelte." Dieser Satz
       stammt von eben jenem Felix Ensslin, der heute ein angesehener Autor und
       Theoretiker ist. Er schrieb ihn für das Nachwort einer Briefsammlung seiner
       toten Eltern, die er vor zwei Jahren im Suhrkamp Verlag herausgegeben hat.
       Veiel wäre wohl besser konsequent an der Beziehung Vesper-Ensslin
       geblieben, anstatt die fiktive Vorgeschichte auch noch mit der
       tatsächlichen RAF-Gründungsgeschichte zu belasten.
       
       8 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
 (DIR) Andreas Fanizadeh
       
       ## TAGS
       
 (DIR) ZDF
 (DIR) August Diehl
       
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