# taz.de -- Deutscher Herbst: Meine RAF-Erfahrung
       
       > Schleyer wird als Geisel genommen. Ein Flugzeug wird gestürmt.
       > Terroristen bringen sich um. Vier junge Menschen über ihren Bezug zur
       > RAF.
       
 (IMG) Bild: Wie hast du’s mit der RAF?: Eine Szene aus dem Film „Der Baader Meinhof Komplex“.
       
       ## Die Lehrer sind schuld
       
       „Faschistische Lehrkräfte“ seien es gewesen, die zur kriminellen
       Entwicklung von Ulrike Meinhof beigetragen hätten. Das sagt ihre Biografin
       Jutta Ditfurth. Sie muss damit die katholische Liebfrauenschule in
       Oldenburg meinen, auf der Meinhof lange war. So wie ich auch.
       
       Über unsere berühmte Ehemalige wurde allerdings an der Schule nie
       gesprochen, zumindest nicht, wenn ich da war. Als der Deutsche Herbst in
       der 11. Klasse drankam, war ich im Ausland. In der Oberstufe war die RAF
       dann kein Thema mehr. Und zwischen mir und meinen Eltern kam die Zeit auch
       nie zur Sprache. Ich fragte nicht, sie erzählten nicht. So entstand mein
       Bild der RAF aus Fernsehdokus, Zeitungsartikeln und dem Filmhit „Der
       Baader-Meinhof-Komplex“.
       
       Kürzlich trafen sich ehemalige Mitschülerinnen der toten Terroristin zum
       60. Klassentreffen in unserer Schule. Sie unterhielten sich mit
       Zehntklässlern über früher, es ging vor allem um Meinhof. Dass sie zur
       Terroristin wurde, hatte wohl mit der autoritären Erziehung damals zu tun.
       
       Irgendwas muss sich in den vergangenen 60 Jahren aber verändert haben. Ich
       kenne niemanden, den meine Schule seither zum Terroristen machte. Bei mir
       hat es auch nicht geklappt.
       
       Jannik Deters, 21, taz-Praktikant 
       
       ## Bei uns wurde differenziert
       
       Hättet ihr flüchtige RAF-Terroristen in eurer WG aufgenommen? - „Was heißt
       hier Terroristen? Da muss man schon differenzieren“, antworten meine
       Eltern.
       
       Die RAF war nicht ständig Thema zu Hause, in der Alt-68er-WG auf dem
       bayerischen Land, aber gesprochen wurde über sie. Für mich hatte die RAF
       immer etwas mit der politischen Situation der BRD zu tun, so, wie meine
       Eltern sie mir schilderten und wie ich sie in Dokumentarfilmen sah: Da
       waren alte Männer, die sagen, früher hätte man die Langhaarigen vergast.
       
       Da war eine Zeitung, die Hetzkampagnen veranstaltet, und Polizisten, die
       auf Demonstranten einprügeln. Da war ein Polizist, der einen Demonstranten
       erschießt. Es war, so mein Eindruck, ein repressives System, das mit Gewalt
       und Verachtung gegen die vorging, die es verändern wollten. Schon früh
       glaubte ich, die Verzweiflung derer, die zur RAF gingen, zu verstehen.
       
       Meine Eltern wollten anarbeiten gegen eine Geschichtsschreibung, die die
       Ursachen des Protests vernachlässigt und die RAF nur als Mörder ohne
       Kontext darstellt. Dass sie Mörder waren, war klar. Dass Mord inakzeptabel
       ist, auch. Es ist nicht leicht, die Ideen von Mördern zu verteidigen. Wenn
       meine Eltern von der RAF redeten, schwang Enttäuschung mit: Ein Haufen
       Egomanen, die sich selbst bald wichtiger nahmen als die Sache.
       
       Und, hättet ihr jetzt einem von der RAF Unterschlupf gewährt? - „Es hat nie
       einer an unsere Tür geklopft“, antworten sie.
       
       Lisa Goldmann, 30, ist taz-Praktikantin 
       
       ## Welt verbessern oder küssen?
       
       RAF - lange geisterte sie nur vage in meinem Kopf herum. Schahbesuch.
       Reden, ohne zu handeln, ist unrecht. Deutsche Terroristen. Alles mal
       gehört. Und? Bis ich mit meiner Mutter an einem Novemberabend 2008 in die
       roten Sessel des Berger Kinos in Frankfurt versank, war mir der Deutsche
       Herbst egal. Und in der Schule war er kein Thema. Der Kinobesuch sollte das
       jetzt ändern: „Der Baader-Meinhof-Komplex“ - ein Blockbuster.
       
       Moritz Bleibtreu als Baader kam mir arrogant vor. Johanna Wokalek spielte
       Ensslin als Tussi mit großen Idealen und noch größerem
       Aufmerksamkeitsbedürfnis. Gefesselt hat mich nur Martina Gedeck in der
       Rolle der Meinhof. War die echt so verschlossen und undurchsichtig? Viel
       mehr als die Personen faszinierte mich ihre Zeit, die auf der Leinwand
       auflebte. Brennende Kaufhäuser, „Schah, Schah, Scharlatan“, Reden und
       Handeln, „Landshut“-Entführung - „Mann, Mama! Wie krass muss sich das
       angefühlt haben?“
       
       Nach dem Film in der Kneipe fängt meine Mutter an, von dem Typen zu
       schwärmen, der sie immer von konspirativen Treffen im Nachbarkaff Rödermark
       nach Hause brachte. Welt verbessern oder küssen? „Weißt du, warum das mit
       den großen Zielen nicht geklappt hat damals, warum das Terror wurde?“,
       fragt sie. „Weil es so schnell nur noch ums eigene Ego ging - auch für
       Sympathisanten wie mich.“ Das Aufbegehren nur eine Streicheleinheit fürs
       Selbstbewusstsein? Wie wäre es mir wohl gegangen?
       
       Karen Grass, 21, ist taz-Volontärin 
       
       ## Ich, eine Schläferin
       
       Als meine Mutter entdeckte, dass unzählige Seiten mit dem RAF-Logo durch
       den Firmendrucker meines Vaters rauschten, lief sie aufgeregt durchs Haus
       und suchte ihren Mann. Wir lebten in einem unterfränkischen, katholischen
       Dorf, mein Vater wählt, wie das restliche Dorf, CSU, und sich in die
       Geschichte der RAF zu vertiefen, war in etwa so, als würde ich mich mit
       schwarzer Magie beschäftigen.
       
       Ich war im Internet auf eine Seite gestoßen, [1][www.rafinfo.de], ich war
       14 und leicht zu begeistern. Mit zusammengekniffenen Lippen las ich von
       Brandanschlägen, Flugblättern, Flucht und Tod. In meinem hellblauen
       Kinderzimmer hatte das eine ziemlich elektrisierende Wirkung auf mich. Mein
       Vater konnte es nicht fassen. Er wollte eine Aussprache. Ich auch.
       
       Ich zwang ihn, sich auf einen Stuhl in der Mitte unseres Wohnzimmers zu
       setzen, so wie es Polizisten machen, wenn sie einen Verbrecher vernehmen.
       Ich wollte von ihm hören, dass die Grundidee der RAF gut war. Er konterte
       mit der „Landshut“-Entführung; ich wollte über Axel Springer sprechen, er
       konterte mit Schleyer. Am Schluss haben wir uns fürchterlich gestritten und
       mein Vater vermutete in mir wohl eine Art Schläferin.
       
       Ich habe ihn jetzt noch mal angerufen. „Du hast mit der RAF sympathisiert,
       Stefanie“, sagte er, etwas vorwurfsvoll. Dann ein eher überraschender Satz:
       „Meinhof hat eigentlich ganz vernünftige Ideen gehabt.“ Und weiter: „Sie
       hätten nie morden dürfen. Sachbeschädigung ja, vielleicht Brandanschläge
       …“, sinnierte er. Mein Vater, ein militanter Linker? Vielleicht habe ich
       das damals in der ganzen Aufregung irgendwie übersehen.
       
       Steffi Unsleber, 24, ist taz-Praktikantin
       
       31 Aug 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.rafinfo.de/
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Mogadischu
       
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