# taz.de -- Atomare Landesgeschichte Japans: Katastrophal friedliche Nutzung
       
       > Nach Hiroshima und Nagasaki: Warum ausgerechnet Japan, das bittere
       > Erfahrungen mit radioaktiver Strahlung hat, auf Atomenergie baut.
       
 (IMG) Bild: Erst Hiroshima und Nagasaki. Nun Fukushima.
       
       Am 6. 8. 1945 explodierte die Atombombe "little boy" über der japanischen
       Hafenstadt Hiroshima. Drei Tage später warf ein amerikanisches
       Militärflugzeug die Atombombe "fat man" in Nagasaki im Süden Japans ab.
       Mindestens 250.000 Menschen starben sofort. In späteren Jahren starben
       ungezählte Opfer an den Folgen der radioaktiven Strahlung. Bis heute ist
       das Ausmaß der Spätschäden in Hiroshima und Nagasaki unbekannt.
       
       Warum aber hat gerade Japan, das die Leiden der Strahlungsopfer aus eigener
       bitterer historischer Erfahrung kennt, in den letzten Jahrzehnten so eifrig
       Atomkraftwerke gebaut? Noch dazu auf einer Erde, die regelmäßig durch
       schwere Beben erschüttert wird? Dabei ist es nicht so, als hätten die
       Japaner die Tragödie von 1945 schnell vergessen. Im Gegenteil.
       
       Generationen konnten damals mit eigenen Augen mit ansehen, wie die
       Atombombenopfer litten. Als im Jahr 1954 ein japanisches Fischerboot durch
       einen überirdischen Wasserstoffbombenversuch der Amerikaner radioaktiv hoch
       verseucht nach Japan zurückkehrte, gab es einen kollektiven Aufschrei der
       Öffentlichkeit. Aikichi Kuboyama, ein Besatzungsmitglied des Fischerbootes,
       starb wenig später an akuter Strahlungskrankheit. Sein Schicksal verstärkte
       noch einmal das Anti-Atom-Gefühl im Nachkriegsjapan. Den Kindern sagte man
       damals, sie sollen bloß auf Regen aufpassen, der radioaktiv verseucht sein
       könnte.
       
       Doch bald begann das sogenannte Wirtschaftswunder. Mit dem Wachstum nahm
       auch der Energieverbrauch rasch zu. Der Inselstaat suchte nun den Ausweg in
       der neuen Technologie der Atomenergie. In den 50er und 60er Jahren war die
       Anti-Atomwaffen-Bewegung noch gesellschaftlicher Mainstream. Doch gerade
       weil sich die Friedensbewegung hauptsächlich mit der Bedrohung durch
       Atomwaffen befasste, kamen Regierung und Stromkonzerne mit der "friedlichen
       Nutzung" der Atomenergie unbehelligt davon. Das erste kommerzielle
       Atomkraftwerk ging im Jahre 1966 ans Netz. Eins nach dem anderen folgte.
       
       ## 2007: Sieben Atomkraftwerke beschädigt
       
       Nur hin und wieder gab es lokale Proteste. Es bedurfte des AKW-Unfalls in
       Three Mile Island im Jahr 1979, um die traditionellen Atomwaffengegner für
       die Gefahren der Atomenergie zu sensibilisieren. Und es brauchte
       Tschernobyl 1986, um in der breiten Gesellschaft eine größere Skepsis
       gegenüber Atomkraftwerken hervorzurufen. Eine Atomkraft-Nein-danke-Haltung
       setzte sich am Ende aber nicht durch. Denn gerade in den 80er Jahren
       florierte die japanische Wirtschaft enorm.
       
       Man brauchte mehr Energie, mehr Atomkraftwerke - bis das Land Anfang der
       90er Jahre in eine schwere Finanz- und Wirtschaftskrise stürzte, von der es
       sich bis heute nicht richtig erholt hat. Neue Atomkraftwerke wurden jetzt
       kaum noch gebaut. Der Staat allerdings hielt an der Atomenergie fest. Auch
       nach einem schweren Erdbeben in der Präfektur Niigata im Jahr 2007, bei dem
       gleich sieben Atomkraftwerke beschädigt wurden, drei von ihnen schwer, nahm
       die Betreibergesellschaft Tokyo Electric Power Company (Tepco) von der
       Erdbebengefahr keine Notiz.
       
       Jetzt versucht Tepco verzweifelt seine Meiler in Fukushima unter Kontrolle
       zu bekommen - während die Japaner mit der Rettungsaktion in den von
       Erdbeben und Tsunami verwüsteten Städten und Dörfern nördlich von Fukushima
       befasst sind. Hunderttausende Überlebende brauchen Notunterkünfte, Nahrung,
       Wasser. Sie haben kein Zuhause mehr. Ihre Angst steigt, dass auch sie
       radioaktiv verseucht werden könnten. Schon mehrt sich die Zahl der
       "Atomflüchtlinge". Sie aber verstopfen die Straßen und behindern
       Rettungseinsätze. Dabei verhält sich die Bevölkerung insgesamt erstaunlich
       ruhig.
       
       Ausländische Beobachter aber wundern sich nun, warum sich die Japaner nicht
       mehr aufregen. Warum drängeln, streiten und schimpfen sie nicht? Sie lernen
       in der Tat Gemeinschaftssinn und Disziplin von früh auf. Es gehört für sie
       zu einem stark ausgeprägten Gemeinsinn, die anderen in der Gesellschaft
       nicht zu belästigen oder zu stören. Man soll Geduld haben. Diese Erziehung
       wirkt auch in der Krisensituation. Die Rettungseinsätze lassen sich besser
       organisieren ohne unnötige Reibereien.
       
       Dieses Verhalten kann jedoch in einer anderen Situation die richtigen
       Schritte verhindern. Man will nicht auffallen, wartet lieber ab, was die
       anderen sagen. So hielten sich bisher viele Bewohner an den AKW-Standorten
       mit Kritik zurück, obwohl sie die Meiler im Grunde für gefährlich hielten.
       Aber wenn der Staat dafür Subventionen fließen lässt, wenn die Stromfirma
       Arbeitsplätze schafft, wenn auch der Bürgermeister dafür ist, dann wagen in
       Japan nur noch wenige zu widersprechen, weil sie es nie gelernt haben.
       
       Und doch könnte die Stimmung diesmal kippen. Mit Fukushima wird jedem klar,
       was für eine gefährliche Zeitbombe in jedem AKW tickt. Man sollte im Westen
       nicht gleich große Veranstaltungen oder Demonstrationen erwarten. Dafür ist
       der Schock der Katastrophe noch zu groß. Außerdem fehlt es jetzt gerade
       auch an Strom - da lassen sich die übrigen Atommeiler nicht so leicht
       abschalten. Die Umsetzung eines energiepolitischen Umdenkens in Japan
       braucht Zeit. Aber sie ist heute sicher nicht mehr undenkbar wie noch vor
       einer Woche.
       
       Erst Hiroshima und Nagasaki. Nun Fukushima. Als Aikichi Kuboyama starb,
       hinterließ er ein Testament: "Ich wünsche mir, dass ich das letzte Opfer
       von Atomstrahlung sein werde." Sein Wunsch wurde nicht erfüllt.
       
       17 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Chikako Yamamoto
       
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