# taz.de -- Plädoyers im Kriegsverbrecherprozess: Demjanjuk "muss bestraft werden"
       
       > Sechs Jahre Haft. Das fordert die Staatsanwaltschaft im Verfahren gegen
       > den mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher John Demjanjuk. Doch das Gericht hat
       > ein Problem.
       
 (IMG) Bild: Versteckt hinter Sonnenbrille und Basecap verfolgt John Demjanjuk die das Schlussplädoyer der Anklage.
       
       John Demjanjuk ist schuldig. Diese Überzeugung äußerte Staatsanwalt
       Hans-Joachim Lutz am Dienstag in seinem Schlussplädoyer vor dem Münchner
       Landgericht. Als Wächter im Vernichtungslager Sobibor habe der heute
       90-jährige Angeklagte 1943 am Mord an mindestens 27.900 Juden mitgewirkt.
       Lutz verlangte eine sechsjährige Haftstrafe. "Wer Schuld in derart hohem
       Maß auf sich geladen hat, muss bestraft werden, auch noch nach 60 Jahren
       und in so hohem Alter", sagte Lutz.
       
       Über 80 Verhandlungstage hat sich das Gericht mittlerweile mit dem
       Verfahren Zeit gelassen. Seit November 2009 sind vier Zeugen und 15
       Sachverständige angehört worden. Vor allem aber hat der Richter hunderte
       Akten verlesen. Demjanjuks Verteidiger konterte mit mehr als 600
       Beweisanträgen und lehnte das Gericht 22-mal wegen Besorgnis der
       Befangenheit ab. Jetzt neigt sich das Verfahren endlich dem Ende entgegen,
       im Mai soll das Urteil gefällt werden. Doch eine Verurteilung scheint
       unsicher.
       
       Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nahm der gebürtige Ukrainer John
       Demjanjuk nach seiner Gefangennahme durch die Wehrmacht "den
       Rassevernichtungswillen der NS-Ideologie in sich auf". Er habe auch alle
       Möglichkeiten zu einer Flucht ausgelassen. "Er wusste in seiner Zeit in
       Sobibor spätestens kurz nach der Ankunft, dass der Zweck des Lagers die
       Vernichtung der dorthin transportierten Juden war und dass es seine Aufgabe
       war, sich hieran zu beteiligen", sagte Lutz, während der Angeklagte
       scheinbar teilnahmslos auf einer Liege den Prozess verfolgte.
       
       Die Anwesenheit Demjanjuks in Sobibor sei unter anderem durch einen
       SS-Dienstausweis sowie die Aussagen eines verstorbenen Wachmanns belegt.
       
       ## Durchsichtige Strategie
       
       Die Verteidigung hatte argumentiert, der Ausweis sei eine Fälschung, die
       Aussage des Wachmanns eine Lüge des KGB und Demjanjuk selbst sei niemals in
       Sobibor gewesen. Verteidiger Ulrich Busch ist so weit gegangen, der
       deutschen Justiz Voreingenommenheit zu unterstellen. Das
       US-Justizministerium und Israel seien darauf versessen, einen gebrechlichen
       alten Mann zu verurteilen, behauptete er.
       
       Doch nicht die mehr als durchsichtige Strategie der Verteidigung macht die
       Verurteilung Demjanjuks zum Problem. Tatsächlich waren sich Gutachter darin
       einig, dass der SS-Ausweis eben keine Fälschung sei. Schließlich existieren
       keinerlei Zweifel über die Funktion des Vernichtungslagers Sobibor im
       Rahmen der "Aktion Reinhardt", bei der die Nazis 1942 und 1943 bis zu zwei
       Millionen polnische Juden ermordeten.
       
       Das Problem des Gerichts ist ein anderes: Es gibt keinen Zeugen, der
       Demjanjuk als Mordteilnehmer identifiziert hat. Die Staatsanwaltschaft
       behilft sich, indem sie postuliert, dass jeder Angehörige des ukrainischen
       Hilfspersonals an dem Vernichtungsprozess beteiligt war - beim Hetzen der
       Opfer in die Gaskammern, beim Verschließen der Kammern, beim Mord an nicht
       mehr Gehfähigen. Deshalb sei der individuelle Schuldnachweis nicht
       notwendig.
       
       Auch wenn Historiker diese Interpretation stützen, so ist es dennoch
       ungewiss, ob der besonnene Richter Ralph Alt dieser Beweisführung im Urteil
       folgen wird. Er würde damit Rechtsgeschichte schreiben. Der Fall Demjanjuk
       aber wird so oder so zur Revision beim Bundesgerichtshof landen - wenn der
       greise Angeklagte dann noch verhandlungsfähig ist.
       
       22 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Hillenbrand
       
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