# taz.de -- Europäische Flüchtlingspolitik: Italien ist nicht Griechenland
       
       > Asylbewerber leben in Italien unter menschenunwürdigen Zuständen, sagt
       > Pro Asyl. Die Bundesregierung sieht jedoch keine Probleme und schickt
       > Flüchtlinge dorthin zurück.
       
 (IMG) Bild: Tunesische Flüchtlinge demonstrieren vor dem Einwanderungslager in Lampedusa gegen ihre Abschiebung.
       
       BERLIN taz | Von außen sieht das Gebäude unverdächtig aus. Sieben
       Stockwerke verspiegeltes Glas, ein gesichtsloser Verwaltungsbau in der Via
       Arrivo Cavaglieri in der italienischen Hauptstadt Rom. Doch innen herrschen
       desolate Zustände. 250 Menschen drängen sich allein im ersten Stock, sie
       teilen sich eine Toilette und ein Waschbecken, Warmwasser gibt es nicht.
       Bis zu 1.000 Flüchtlinge aus Somalia, Äthiopien und Eritrea kommen
       zeitweise in dem leer stehenden Gebäude unter.
       
       Anwälte der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hatten im Oktober den Bürobau
       in der Via Arrivo Cavaglieri sowie weitere besetzte Häuser und
       Zeltsiedlungen auf Brachflächen besucht. Mitte März stellten sie ihren
       Bericht über die Lage von Flüchtlingen in Italien vor. Das Fazit:
       Asylsuchende leben in Italien "großenteils im absoluten Elend und in
       Obdachlosigkeit".
       
       Das erinnert frappierend an die Situation in Griechenland. Weil dort keine
       menschenwürdigen Asylverfahren existieren, setzte die Bundesregierung
       Abschiebungen nach Griechenland für ein Jahr aus.
       
       Ähnlich problematische Zustände in Italien sieht die Bundesregierung jedoch
       nicht. Das geht aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine kleine
       Anfrage der Linksfraktion hervor, die der taz vorliegt. "Die
       Bundesregierung hat den Bericht von Pro Asyl zur Kenntnis genommen", heißt
       es da. Die Situation in Italien sei jedoch "nicht mit der Situation des
       Asylsystems in Griechenland vergleichbar".
       
       Marei Pelzer von Pro Asyl widerspricht dieser Auffassung: "Die sozialen
       Bedingungen von Asylbewerbern sind durchaus vergleichbar." In Italien sei
       vor allem die Unterbringung von Asylsuchenden "nur für eine sehr kurze
       Phase und nicht flächendeckend" gewährleistet.
       
       ## Linken-Politikerin: Hinweis auf Rechtsweg ist zynisch
       
       ## 
       
       Flüchtlinge, die in Italien ankommen, werden für die Dauer von maximal
       sechs Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Danach werden die
       meisten - egal ob ihr Asylantrag positiv, negativ oder noch gar nicht
       beschieden wurde - obdachlos. Eigentlich sollten sie über das staatliche
       Aufnahmesystem SPRAR eine Unterkunft finden. Doch laut Pro Asyl stehen
       landesweit nur 3.000 Plätze zur Verfügung. Allein 2009 lag die Zahl der
       ankommenden Asylsuchenden dagegen bei 17.000 - und seit Beginn der
       Umwälzungen in der arabischen Welt sind bereits über 26.000 Flüchtlinge auf
       der Mittelmeerinsel Lampedusa gelandet.
       
       Ihr lägen keine Erkenntnisse darüber vor, "dass auf ganz Italien bezogen
       nicht ausreichende Unterbringungsplätze für Asylbewerber zur Verfügung
       stehen", schreibt dagegen die Bundesregierung. Ob es "Fälle etwaiger
       Obdachlosigkeit" gebe, ließe sich nicht bewerten. Im Übrigen bestehe ein
       "Rechtsanspruch auf Unterkunft, der gerichtlich durchgesetzt werden kann".
       Deutschland will deshalb weiter Flüchtlinge nach Italien abschieben, wie es
       das Dublin-System für über Drittländer eingereiste Asylbewerber vorsieht.
       
       "Indem die Bundesregierung an den Rücküberstellungen nach Italien festhält,
       obwohl ihr die Missstände bekannt sind, straft sie ihre eigenen
       Humanitätsbeteuerungen Lügen", kritisiert die Linken-Flüchtlingspolitikerin
       Ulla Jelpke. Der Hinweis, Flüchtlinge könnten sich auf dem Rechtsweg
       wehren, sei zynisch. "Denn wie soll ein Migrant, ohne Kenntnisse der
       Landessprache, ohne Unterkunft und ohne Geld, einen Anwalt finden, der den
       italienischen Staat verklagt?"
       
       26 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) N. Wirminghaus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) UNO gegen deutsche Asylpolitik: Rüge für Umgang mit Flüchtlingen
       
       Überfüllte Unterkünfte, schlechte Sozialleistungen, medizinische
       Notfallversorgung: Die UNO verschärft ihre Kritik an Deutschlands Umgang
       mit Asylsuchenden.
       
 (DIR) Abschiebung aus Europa: Mit Scham zurück nach Togo
       
       Afrikanische Flüchtlinge, die in Europa scheitern und abgeschoben werden,
       stoßen in ihren Gesellschaften auf Unverständnis. So auch Sahmoudine
       Coubadja.
       
 (DIR) Tunesische Flüchtlinge in Frankreich: "Wir sind wie ein Spielball"
       
       Rund 400 tunesische Flüchtlinge halten sich in einer Gartenanlage am Rande
       von Paris auf. Jetzt werden sie nach und nach festgenommen.
       
 (DIR) Schengen-Vertrag soll überprüft werden: Gemeinsam gegen die Flüchtlinge
       
       Berlusconi und Sarkozy stritten lange über den Umgang mit Flüchtlingen.
       Jetzt sind sie sich einig und fordern von der EU die Überprüfung des
       Schengen-Abkommens.
       
 (DIR) Kommentar Europas Flüchtlingspolitik: Wasser auf Le Pens Mühlen
       
       Sarkozy fühlt sich nicht verantwortlich für die tausenden Flüchtlinge aus
       Nordafrika. Für ihn sind sie ein Kollateralschaden der arabischen
       Revolutionen.
       
 (DIR) Umgang mit Migranten: Club der Pensionäre
       
       Eine "hochrangige Konsensgruppe" soll Vorschläge für mehr hochqualifizierte
       Zuwanderung erarbeiten. Die Mitglieder sind fast ausschließlich
       Polit-Rentner.
       
 (DIR) Umgang mit Flüchtlingen: Union begrenzt lernfähig
       
       Innenpolitiker der Union wollen unter keinen Umständen Flüchtlinge aus
       Nordafrika aufnehmen. Offen zeigen sie sich hingegen für Arbeitsmigration
       auf Zeit.
       
 (DIR) Sachverständige gegen EU-Abschottung: Im Boot ist noch Platz
       
       Der Sachverständigenrat für Integration und Migration kritisiert den Umgang
       der EU-Staaten mit Flüchtlingen und warnen vor "populistischer
       Kulturpanik".