# taz.de -- Debatte Naher Osten: Die Propaganda hat versagt
       
       > Die arabischen Revolten werfen die politischen Blöcke der Region
       > durcheinander. Dabei verliert der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten
       > an Bedeutung.
       
 (IMG) Bild: Auch die palästinensische Hamas wandte sich dem Iran zu.
       
       Die konfessionelle Polemik zwischen Sunniten und Schiiten hat in den
       vergangenen Jahren die politische Landkarte des Nahen Ostens geprägt. Dabei
       spielten stets auch Ressentiments zwischen "Arabern" und "Persern" in die
       Konkurrenz zwischen den beiden größten muslimischen Glaubensrichtungen
       hinein.
       
       Viele arabische Regime, allen voran Saudi-Arabien und Ägypten, malten das
       Angstbild einer drohenden "Schiitisierung" an die Wand, um innenpolitische
       Gegner als fünfte Kolonne Irans zu denunzieren.
       
       Iran hatte nach der "Islamischen Revolution" von 1979 zunächst den
       Revolutionsexport propagiert und - mehr ideell als materiell - mehrere
       schiitische Aufstände unterstützt, die in jenen Jahren Nachbarländer wie
       Irak und Kuwait, Bahrain und Saudi-Arabien erschütterten. Diese Aufstände
       wurden von den sunnitischen Regimen alle meist blutig niedergeschlagen.
       Auch vermochte Iran kaum, den konfessionellen Graben zu sunnitischen
       Islamisten zu überwinden.
       
       Einzig der schiitischen Hisbollah ("Partei Gottes") im Libanon gelang es
       damals, den revolutionären Impuls aus Iran aufzugreifen. In den frühen
       1980er Jahren gegründet, um den durch Israel besetzen Süden Libanons zu
       befreien, ersetzte sie die Parole von der "Islamischen Revolution" nach und
       nach durch die vom "Islamischen Widerstand". Ihr größter Erfolg war im Jahr
       2000 der Abzug der israelischen Truppen.
       
       So wurde sie zum Vorbild für sunnitische Islamisten wie die
       palästinensische Hamas, die sich ebenfalls gegen israelische Besetzung und
       die Hegemonie der USA im Nahen Osten richten. Nicht zuletzt durch Israels
       Kriege in Libanon (2006) und im Gazastreifen (2008/09) rückte man enger
       zusammen, und die Hamas wandte sich dem Iran zu, um der politischen
       Isolation zu entkommen.
       
       ## Front gegen Israel und die USA
       
       Zu dieser "Achse des Widerstands" gehört, neben kleineren islamistischen
       oder linksnationalistischen Bewegungen, bereits seit 1980 auch das säkulare
       Regime in Syrien. Die führenden Köpfe dieser Allianz,
       Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah, Syriens Baschar al-Assad in
       Syrien und Mahmud Ahmadinedschad in Iran, genossen in vielen arabischen
       Ländern weit größere Popularität als die eigenen Herrscher wie Mubarak, die
       teils offen Position für die USA und Israel bezogen.
       
       Doch der Umbruch in der arabischen Welt hat diese Blöcke
       durcheinandergeworfen. Nicht länger stehen sich ein prowestliches
       sunnitisches Lager, das den Status quo einer "Pax Americana" garantiert,
       und ein proiranisches "schiitisches" Lager, das für den Widerstand dagegen
       steht, gegenüber.
       
       Zunächst konnte sich die "Achse des Widerstands" durch die Entwicklungen ja
       bestätigt sehen, richteten sich die ersten Revolten und Proteste doch gegen
       jene Regierungen, die auch von ihnen der Kumpanei mit dem Westen, der
       Tyrannei und der Korruption bezichtigt worden waren - Tunesien, Ägypten,
       Libyen, Jemen und Bahrain sowie Jordanien.
       
       Der Kampf gegen soziale und politische Ungerechtigkeit, die Bereitschaft,
       dafür auch das eigene Leben als Märtyrer zu opfern, gehören zu den Werten,
       die sie propagieren. Diese Topoi wurden auch von den demokratischen und
       säkularen Protestbewegungen in der arabischen Welt aufgegriffen - und zwar
       umso stärker, je mehr die Gewalt eskalierte.
       
       ## Warum der "Widerstand" wankt
       
       Aber auch die "Achse des Widerstands" wankt. Bislang beruhte ihre
       Popularität vor allem darauf, dass sie als Einzige von sich behaupten
       konnten, der westlichen Hegemonie wirksam entgegenzutreten. Sollten sich in
       Zukunft in Tunesien und Ägypten und sogar in Libyen, Bahrain und Jemen
       demokratischere und wirtschaftlich erfolgreichere Systeme etablieren, würde
       dies ihren Alleinvertretungsanspruch schmälern. Dass die Diktaturen in
       Iran, in Syrien und im Gazastreifen gegen friedliche Demonstranten nicht
       weniger gewalttätig vorgehen als ihre Konkurrenten, hat ihre
       Glaubwürdigkeit als Vertreter der "Entrechteten" ohnehin schwer
       erschüttert.
       
       Der Westen täte gut daran, diese Entwicklungen zuzulassen - nicht zuletzt
       um sein Negativimage als Stütze autoritärer Regierungen abzustreifen. Dazu
       gehört es, reformbereite islamistische Bewegungen wie die ägyptischen
       Muslimbrüder oder die tunesische al-Nahda als legitime politische Akteure
       zu betrachten. Sie lassen sich dadurch einbinden - und mäßigen.
       
       Obwohl die Muslimbruderschaft bei den Protesten in Ägypten nur eine von
       mehreren Akteuren war, dürfte sie künftig mehr Gewicht bekommen, denn sie
       ist besser organisiert als die neuen sozialen Bewegungen. Zudem kann sie
       als religiöse Bewegung die Frustration auffangen, die in postrevolutionären
       Phasen nicht zu vermeiden ist, wenn nicht sofort ökonomische Verbesserungen
       eintreten. Sicherlich werden die Islamisten die bislang unkritische Haltung
       ihrer Staaten gegenüber Israel und dem Westen verändern wollen. Gerade hier
       finden sie in ihren Gesellschaften breite Zustimmung.
       
       ## Bahrain ist eine Ausnahme
       
       Erfreulich ist, dass die radikalen Dschihadisten durch die aktuellen
       Entwicklungen eher abgehängt wurden - auch wenn Gaddafi derzeit nicht müde
       wird, den Aufstand in seinem Land auf al-Qaida zurückzuführen. Und obwohl
       etwa Mubarak noch versucht hatte, die Proteste in Ägypten als von Hisbollah
       und Hamas gesteuert darzustellen, verfing auch dieses Angstbild von einer
       "schiitischen Unterwanderung" nicht mehr.
       
       Einzig bei den Protesten in Bahrain spielt der Konflikt zwischen Schiiten
       und Sunniten stark hinein. Dahinter steht allerdings weniger ein religiöser
       als ein sozioökonomischer Konflikt. Während die sunnitische
       Herrscherfamilie der al-Khalifa das Land regiert, rekrutiert sich die
       Opposition vorwiegend aus Schiiten, die gleiche Bürgerrechte und Freiheiten
       fordern.
       
       Die sunnitischen Herrscher am Golf fürchten einen Präzedenzfall: Macht der
       König von Bahrain der schiitischen Opposition in seinem Land zu große
       Konzessionen, könnte dies die diskriminierten schiitischen Gemeinschaften
       in den anderen Golfmonarchien zum Aufbegehren animieren. Der Einmarsch von
       Truppen aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten in
       Bahrain aber hat die konfessionelle Polemik nun wieder verstärkt.
       
       28 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stephan Rosiny
       
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