# taz.de -- Urteil zur Sicherungsverfahrung: Der weite Weg zurück in die Freiheit
       
       > Vier Sicherungsverwahrte haben beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
       > geklagt. Sie berufen sich auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs für
       > Menschenrechte.
       
 (IMG) Bild: Wer die Freiheit bekommt und wer nicht, ließen die Richter in Karlsruhe offen.
       
       KARLSRUHE taz | Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur
       Sicherungsverwahrung müssen bis zum Jahresende wohl zahlreiche sogenannte
       Altfälle aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden. Wer die Freiheit
       bekommt und wer nicht, ließ das Bundesverfassungsgericht aber offen, dies
       müssen die Fachgerichte entscheiden. Betroffen sind bundesweit rund 80
       Männer.
       
       Geklagt hatten vier Straftäter, die einst wegen Vergewaltigung oder Mord
       verurteilt wurden. Ihre langjährigen Haftstrafen haben sie längst
       abgesessen und befinden sich nun in Sicherungsverwahrung, weil sie noch als
       gefährlich gelten. In zwei Fällen wurde die Sicherungsverwahrung
       rückwirkend über die ursprünglich angeordneten zehn Jahre hinaus
       verlängert. In den anderen beiden Fällen wurde die Verwahrung erst
       nachträglich, also während der Haftzeit, angeordnet.
       
       Die Kläger beriefen sich auf zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofs für
       Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Dieser hatte entschieden, dass beide
       Konstellationen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen.
       So sei unter anderem das Verbot rückwirkender Strafgesetze verletzt. Über
       hundert Verwahrte hätten daraufhin freigelassen werden müssen, doch nur in
       rund vierzig Fällen ordneten deutsche Gerichte die Freilassung an, die
       anderen Betroffenen blieben in Haft, weil andere Gerichte dem EGMR nicht
       automatisch folgen wollten. Die Betroffenen hofften nun auf Karlsruhe.
       
       Nicht zu Unrecht, denn das Bundesverfassungsgericht ist zumindest teilweise
       auf die Linie des EGMR eingeschwenkt. Karlsruhe erklärte sowohl die
       rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung als auch deren
       nachträgliche Anordnung für verfassungswidrig. Zwar prüften die Richter
       nicht das Verbot rückwirkender Strafgesetze, denn die Sicherungsverwahrung
       sei nach deutschem Verständnis keine Strafe, sondern eine präventive
       "Maßregel". Allerdings halten sie den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz
       für verletzt, wenn eine Freiheitsentziehung nachträglich verlängert wird.
       Dies gelte jedenfalls dann, so Karlsruhe, wenn die Verwahrung praktisch
       kaum anders aussieht als eine Freiheitsstrafe.
       
       ## Strafgerichte müssen Fälle "unverzüglich" prüfen
       
       2004 hatte Karlsruhe noch anders entschieden und den Vertrauensschutz
       verneint. Den Schwenk begründeten die Richter unter anderem mit einer
       "völkerrechtsfreundlichen" Auslegung des Grundgesetzes.
       
       Doch die Verfassungsrichter haben keinen der Kläger sofort entlassen.
       Vielmehr müssen nun die Strafgerichte "unverzüglich" die Fälle prüfen. Wer
       als höchst gefährlich und "psychisch gestört" gilt, muss nicht freigelassen
       werden, sondern in eine geschlossene Therapie-Einrichtung überführt werden.
       Dies wäre auch mit der Menschenrechtskonvention vereinbar, die die
       Freiheitsentziehung bei psychisch Kranken relativ einfach erlaubt. Die
       Richter ordnen quasi die sinngemäße Anwendung des seit Jahreswechsels
       geltenden "Therapie-Unterbringungsgesetzes" (ThUG) an, das den gleichen
       Trick anwenden wollte.
       
       Wie viele "Altfälle" am Ende entlassen werden, hängt nun von den
       Strafgerichten und insbesondere von den zu beauftragenden Gutachtern ab.
       Denkbar ist es, Fälle schwerer Pädophilie, von Sadismus oder allgemein
       dissozialer Persönlichkeiten als "psychische Störung" einzustufen. Viele
       Ärzte wehren sich aber gegen ein Abschieben heikler Fälle in die
       Psychiatrie. Wenn die Gerichte keine herausragende Gefährlichkeit oder
       keine psychische Störung erkennen können, müssen die Altfall-Verwahrten
       entlassen werden. Zur ordentlichen Vorbereitung auf die Freiheit kann die
       Entlassung aber bis Ende des Jahres hinausgezögert werden. Anders als der
       EGMR halten die Karlsruher Richter also keine sofortige Freilassung für
       geboten.
       
       Zu den bereits entlassenen rund 40 Personen, die teilweise rund um die Uhr
       von der Polizei überwacht werden, sagte Karlsruhe nichts. Hier kann das
       ThUG, das nicht für verfassungswidrig erklärt wurde, aber weiterhin direkt
       angewandt werden. Das heißt, wenn Gutachter sie für hochgefährlich und
       psychisch gestört halten, können sie zwangsweise untergebracht werden.
       
       4 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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