# taz.de -- Zensus in Berlin: Ein Volk lässt sich zählen
       
       > Ab Montag sollen zehntausende Berliner zu ihren Lebensverhältnissen
       > befragt werden. Während sich in den 80er Jahren Großproteste gegen die
       > Volkserhebung stemmten, bleibt Widerstand diesmal aus.
       
 (IMG) Bild: Liegt bereit zum Zählen: Kugelschreiber mit Zensus 2011-Logol
       
       Berlin, 1987: Tausende gehen auf die Straße gegen die geplante
       Volkserhebung. "Zählt nicht uns, zählt eure Tage", skandieren sie,
       monatelang. Am Ende boykottiert eine Vielzahl der Bürger die Befragung.
       Berlin, 2011: Am Montag beginnt wieder eine Volkszählung. Rund 126.000
       Berliner sollen direkt für den bundesweiten Zensus befragt werden. Und
       keinen interessierts.
       
       Einzig eine kleine Kundgebung gab es am Samstag vor dem Statistischen
       Bundesamt in der Friedrichstraße. Mit Fragebögen stürzten sich Protestler
       auf Passanten, die sie bis ins intime Privatleben hinein befragten. Ein
       wenig "Dramatisierung", um auf die Problematik des Zensus hinzuweisen, so
       die "Antivolkszähler". Eine nette kleine Aktion. Dazu "Protesterklärungen"
       der Humanistischen Union und der Internationalen Liga für Menschenrechte.
       Aber Großdemonstrationen? Boykottaufrufe? Fehlanzeige.
       
       "Wir kümmern uns ja schon um fast alles", heißt es aus der Geschäftsstelle
       von Attac Berlin. Anti Atom, Bankenkrise, Privatisierungsirrwege. "Da hat
       sich schlicht niemand gefunden, dem auch noch der Zensus auf den Nägeln
       brannte." Schulterzucken auch bei Avanti, dem Netzwerk der "undogmatischen
       Linken". "Bei uns ist gerade alles auf Anti Atom und Mietenprotest
       geschaltet, damit sind wir gut ausgelastet", sagt Mitglied Henning Obens.
       Der Zensus sei da "hinten runtergefallen". Und selbst bei der Berliner
       Piratenpartei: Keine Zeit. Man müsse erst mal die Zulassung zur
       Abgeordnetenhauswahl packen, Unterschriften sammeln und am Wahlprogramm
       basteln, entschuldigt sich Christopher Lauer.
       
       Ricardo Remmert-Fontes vom Verein Freiheit statt Angst kennt die
       Ausflüchte. Rund 300 Organisationen habe er angeschrieben, ob sie
       Gegenprotest zum Zensus unterstützen wollen, berichtet der Datenrechtler.
       Die Antworten könne er an einer Hand abzählen. Die Kundgebung vor dem
       Statistikamt hat Remmert-Fontes organisiert. "Es werden viel mehr Daten
       erhoben, als für eine statistisch-demografische Planung gebraucht werden."
       Fragen zum Lebensumfeld und zum Glauben seien "völlig abwegig". Zudem
       hebele die Zusammenführung von Daten aus den verschiedenen Ämtern den
       Datenschutz aus. Sein Protest komme spät, räumt Remmert-Fontes ein. "Ich
       hatte auch erwartet, dass sich viel früher Menschen zusammentun. Haben sie
       aber nicht." Die Bürger seien wohl zu wenig über den Zensus informiert. Und
       längst daran gewöhnt, ihre Daten preiszugeben, vor allem im Internet.
       
       Auch beim Arbeitskreis (AK) Zensus zeigt man sich ratlos. "Selbst viele
       ,digitale Bürgerrechtler' sehen den Zensus halb so wild", hat Mitglied
       Michael Ebeling bemerkt. Die große Angst der 80er Jahre vor einer
       unbekannten elektronischen Erfassung sei heute weg. Die heutige Stichprobe
       schrecke weniger als die damalige Vollerhebung. Zudem werde mit
       freundlichen Bildern für den Zensus als "Wohlfühlveranstaltung" geworben.
       
       Dabei gebe es genug Gründe für Skepsis, findet Ebeling. Die
       Kompletterfassung von sogenannten Sonderbereichen, etwa Frauenhäusern,
       Knästen oder Psychiatrien: "Ohne Anonymisierung unhaltbar." Die
       Zusammenführung der Ämterdaten: "Ein Grauen, niemals sind diese Daten
       wirklich sicher." Das Problem sei nur, sagt Ebeling, all das sei zu
       komplex, um es den Leuten auf der Straße "in drei Minuten erklären zu
       können".
       
       Fragt man den Berliner Datenschutzbeauftragten Alexander Dix, berichtet er
       von ein paar besorgten Anrufen, ein paar Nachfragen - das wars. "Das
       Interesse zum Zensus hält sich sehr in Grenzen." Dabei sieht auch Dix
       Kritisches, etwa die Fragen zur Religionszugehörigkeit. "Zu weitgehend",
       seien diese, und "nicht mal von der EU-Zensusverordnung gefordert".
       Hauptaufgabe sei es nun, die Einhaltung der Sicherheitsvorgaben für die
       Daten über die nächsten Jahre im Auge zu behalten.
       
       Michael Ebeling vom AK Zensus zieht den Boykott vor: Er jedenfalls werde
       die Auskunft verweigern. Und vielleicht schlössen sich die Leute ja noch
       dem Protest an, hofft Ebeling. Wenns konkret wird. Wenn die ersten
       Benachrichtigungen zur Befragung in den Briefkästen liegen.
       
       8 May 2011
       
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 (DIR) Konrad Litschko
       
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