# taz.de -- Cohn-Bendit über einseitigen Atomausstieg: "China kann alles bauen"
       
       > Treiben nur die Deutschen den Atomausstieg voran? Der Grüne Daniel
       > Cohn-Bendit ist überzeugt, dass die Industrienationen aus der Atomkraft
       > aus- und die Schwellenländer einsteigen werden.
       
 (IMG) Bild: Volle Kraft voraus: AKW-Neubau im südchinesischen Tangxing.
       
       taz: Herr Cohn-Bendit, ist Deutschland beim Atomausstieg Trendsetter oder
       einsamer Alleingänger? 
       
       Ich glaube schon, dass Deutschland zum Vorbild werden könnte. Wenn eine der
       stärksten Industrienationen zeigt, dass man industriell auch ohne Atom
       stark sein kann, wird das die Debatte in anderen Ländern beflügeln.
       
       Auch in der Atomnation Frankreich? 
       
       Die französische Gesellschaft ist durchaus atomskeptisch. Sie kennt jedoch
       kein Alternativszenario. Deswegen muss Deutschland dafür sorgen, dass sein
       Ausstieg nicht kompensiert wird durch Atomstromimporte. Die Deutschen
       müssen beweisen, dass sie imstande sind, den wegfallenden Strom durch
       erneuerbare Energien zu ersetzen. Nur dann sind sie glaubwürdig. Momentan
       gibt es in Deutschland nach wie vor sehr viele Kohlekraftwerke. Deswegen
       wird im EU-Ausland die deutsche Ausstiegsdebatte zuweilen als recht
       verlogen wahrgenommen. Der Klimaschutz darf nicht auf der Strecke bleiben.
       
       Warum müssen die Deutschen den Ausstieg vormachen? Hat Fukushima die
       Franzosen nicht aufgeschreckt? 
       
       Natürlich sitzt der Schrecken auch in Frankreich tief. Aber die Franzosen
       haben ein anderes Verhältnis zur Atomkraft. Das geht auf die deutsche
       Besatzung im Zweiten Weltkrieg zurück. Die Niederlage und die anschließende
       Kollaboration haben die Franzosen in ihrem nationalen Stolz tief verletzt.
       Nach dem Krieg sahen sie in der Verknüpfung aus atomarer Bewaffnung und
       ziviler Nutzung von Atomenergie den Garanten für Frankreichs
       Unabhängigkeit. Das ist natürlich nicht mehr zeitgemäß. Und deswegen muss
       man den Franzosen klar machen: Eure Zukunft liegt in der EU. Ihr braucht
       keine eigene atomare Absicherung.
       
       Der Ausstieg bei unserem Nachbarn bleibt unwahrscheinlich? 
       
       Das würde ich nicht behaupten. Innerhalb der Sozialistischen Partei gibt es
       zum ersten Mal eine ernsthafte Auseinandersetzung um Atomkraft. Der
       vorläufige Kompromiss lautet: Bis 2025 wollen sie auf 50 Prozent
       erneuerbare Energien kommen. Die Grünen haben vorgeschlagen: Falls es eine
       linke Mehrheit gibt, soll es ein Jahr nach der Wahl des neuen Präsidenten
       im Anschluss einer fundierten Debatte einen Volksentscheid geben. Unser
       Vorschlag scheint sich nun im gesamten linken Lager durchzusetzen.
       
       Aber auch der Blick auf andere EU-Länder stimmt nicht gerade
       zuversichtlich. Die niederländische Regierung hat ankündigt, dass sie am
       Bau zweier neuer AKWs festhalten wird. Was nützt Deutschland der Ausstieg,
       wenn es von AKWs umzingelt ist? 
       
       In den EU-Ländern wird entscheidend sein, wie die Realkosten aussehen. Und
       genau dieses Kostenargument müssen wir in den Vordergrund rücken. Zum
       Beispiel Finnland: Dort kostet der Neubau eines AKWs bereits 6,5 Milliarden
       Euro. Und da sind nicht die Kosten einberechnet, die im Zuge der
       verstärkten Sicherheitsdebatte nach Fukushima noch folgen werden. Das
       möchte ich sehen, ob die Holländer zwei AKWs finanzieren werden, ohne die
       Frage nach der Entsorgung des Atommülls beantwortet zu haben. Auch die
       Briten halten an Atomkraft fest - jedoch ohne staatliche Zuschüsse. Ich bin
       mir sicher: Dort wird kein AKW mehr entstehen.
       
       Es geht auch um den Weiterbetrieb alter Meiler. EU-weit sind noch immer
       fast 200 Reaktoren in Betrieb. Und die meisten von ihnen sollen trotz
       Fukushima am Netz bleiben. 
       
       Die Finanzierung wird letztlich ausschlaggebend sein. In Frankreich etwa
       würde eine Erneuerung des bestehenden Atomparks bedeuten, 50 AKWs mit hohem
       Kostenaufwand zu ersetzen. Selbst wenn die Franzosen in den nächsten 30
       Jahren nur 40 in Angriff nehmen, müssten sie gigantische 280 Milliarden
       Euro investieren.
       
       Das Kostenargument mag auf die Industrieländer zutreffen. Der größte
       Bauboom findet aber in Schwellenländern statt. Fast 100 AKWs sind allein in
       China geplant oder werden bereits gebaut. Und dort finanziert ein reicher
       Staat die Meiler. 
       
       Das ist richtig. China ist momentan in der Lage, alles zu bauen:
       Atomkraftwerke, Windparks, Wasserkraftwerke, und auch bei der
       Energieeffizienz gibt es große Fortschritte. Aber auch die chinesische
       Regierung ist geschockt von Fukushima und prüft nun ihre Pläne. Die Frage
       ist, ob die Kommunistische Partei vernünftig handeln wird. Eine kritische
       Öffentlichkeit ist nicht wirklich vorhanden. Die Regierung weiß aber:
       Erdbebensicher sind auch viele Regionen in China nicht. Chinas Führung will
       zwar grundsätzlich am Bau von AKWs festhalten. Zugleich ist sie dabei, ihre
       Lehren aus Fukushima zu ziehen.
       
       Der Vorteil von Atomkraft: Sie kann innerhalb kurzer Zeit enorme Mengen
       Strom auf einmal produzieren. Und genau das ist es, was rasant sich
       entwickelnde Länder wie China oder Indien momentan brauchen. Ist die
       Atomkraft den Chinesen wirklich vorzuenthalten? 
       
       Nein, grundsätzlich ist dies weder möglich und auch nicht gewollt. Ich
       halte deswegen bei der Atomfrage vorübergehend eine zweigeteilte Welt für
       möglich: Die Industrienationen steigen aus der Atomkraft aus, die
       Schwellenländer steigen ein.
       
       Kann man das den Schwellenländern übel nehmen? 
       
       Das ist keine moralische Frage. Ich bin der Überzeugung, dass
       Atomkraftwerke hier in Europa falsch sind und uns wegen der Kosten und
       Risiken mehr Schaden als Nutzen bringen. Die Chinesen werden wahrscheinlich
       die Atomkraftwerke so lange haben, bis ihnen ein Unglück geschieht. Und
       dann wird wahrscheinlich auch dort ein Umdenken stattfinden.
       
       Jedes Land soll sein eigenes Fukushima erleben? 
       
       Das sage ich nicht. Ich vermute nur, dass die Schwellenländer eher weiter
       auf Atomkraft setzen werden. Das ist eine Beschreibung. Das ist natürlich
       der falsche Weg. Nur wäre es vermessen zu sagen: Ich könnte das weltweite
       Ende der Atomkraft auf dem Reißbrett zeichnen.
       
       Aber sollte man nicht dafür sorgen, dass die Schwellenländer nicht die
       gleichen Fehler machen wie wir? 
       
       Es steht allen Ländern das gleiche Recht zu, Fehler zu machen. Bei den
       Chinesen bin ich zuversichtlich, dass sie Alternativen aus ihrer eigenen
       Logik entwickeln werden. Die Chinesen sind sich des Klimawandels sehr
       bewusst.
       
       Es mangelt ihnen ja auch nicht an Umweltkatastrophen. 
       
       Ich habe mehrmals Vertreter der Kommunistischen Partei getroffen. Der
       Klimawandel ist für sie sehr real. Die chinesische Führung tickt nicht wie
       einst Bush, der behauptete, dass der Klimawandel ein Märchen sei. Beim
       UN-Klimagipfel 2009 in Kopenhagen hatten die Chinesen nicht so sehr ein
       Problem damit, den CO2-Ausstoß um 20 oder 30 Prozent zu reduzieren. Sie
       verweigern sich nicht prinzipiell ehrgeizigen Zielen, ganz im Gegenteil.
       Sie sagen sich nur: Grundsätzlich wollen wir uns von niemandem vorschreiben
       lassen, was wir einzuhalten haben - egal ob es um Menschenrechte geht oder
       um CO2-Ausstoß.
       
       Der erhobene Zeigefinger funktioniert nicht. Aber wie sollte der Westen
       dann mit China umgehen? Immerhin hat so gut wie jeder chinesische Beschluss
       inzwischen Auswirkungen auf die gesamte Welt. 
       
       Das Problem ist nicht der erhobene Zeigefinger. Chris Patten, der letzte
       britische Gouverneur von Hongkong und anschließend EU-Kommissar in Brüssel,
       hat mal gesagt: Mit den Chinesen muss man knallhart verhandeln. Das stört
       sie nicht. Sie tun es auch. Wovon Patten abriet: im vorauseilenden Gehorsam
       vorzeitig Zugeständnisse machen, nur um sie nicht zu brüskieren. Man kann
       den chinesischen Verhandlungspartnern ganz klar sagen: So geht das nicht.
       
       Herr Cohn-Bendit, wie wollen die reichen Industrieländer, die selbst so
       schonungslos mit den Erdressourcen umgegangen sind, vermitteln, dass zum
       Fortbestand der Erde Verzicht unausweichlich ist? 
       
       Statt von Verzicht würde ich lieber von Umbau reden.
       
       Weil die Grünen schon mal mit dem Plädoyer auf Verzicht auf die Schnauze
       gefallen sind? 
       
       Das hat mit Wählerstimmen nichts zu tun. Ich bin tatsächlich überzeugt,
       dass nachhaltiges Wachstum möglich ist, ohne unsere Umwelt zu zerstören.
       Davon sind wir aber zugegeben noch weit entfernt.
       
       Das Ende der Atomkraft rückt näher. Aber wird die von den Grünen so lange
       geforderte Energiewende nicht zu neuen Kämpfen führen? Schon jetzt wächst
       der Widerstand gegen ohrenbetäubende Windräder und gigantische
       Hochspannungsleitungen. 
       
       Ohrenbetäubende Windräder - da wird mal wieder übertrieben. Klar, wenn die
       Mehrheit aus der Atomenergie aussteigen will, muss die Gesellschaft
       Alternativen finden. Das sind gesellschaftliche Prozesse, die dauern und
       auch nicht reibungslos verlaufen werden. Ich kann mich erinnern, wie in den
       80er Jahren viele Grüne gegen den ICE wetterten. Heute stellt ihn niemand
       infrage.
       
       16 May 2011
       
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